Mensch und Material

Wandern im Dauerregen stellt höchste Ansprüche an Mensch und Material, wobei der Mensch zuerst einknickt: Die Sicht ist schlecht, die Stimmung sinkt mit jedem Kilometer. Nach zwei Stunden – und noch nicht am Ziel – wünschen wir uns nur noch, dass der Regen aufhört oder wir ankommen, am liebsten beides. Das ist der Moment, in dem das Material nachgibt: „Welches Fassungsvermögen haben meine Wanderstiefel?“, frage ich mich. Mein Fuß ist von Wasser umgeben; „quitsch-quatsch“ macht es bei jedem Schritt. Wir gehen weiter, denn: Wenn auch das Material seinen Geist aufgibt, hält der Mensch noch durch. Ich gebe der Frage keinen Raum, wie die Schuhe bis zum nächsten Tag wieder trocken werden sollen. Sonst wäre es auch um den Menschen geschehen.

Eine weitere Stunde später strahlt uns unser Gastgeber für diese Nacht an. Er spricht mit starkem schottischen Dialekt, wir verstehen nicht jedes Wort. Was hängenbleibt ist: „… dry room, take off … wet – I will sort it all out for you!“ Seine Worte trösten den Menschen, sein Trockenraum dient dem Material. Am nächsten Morgen sind wir erfrischt und all unser Zeug trocken – Mensch und Material sind bereit für die nächste Etappe.

Trockener Sommer

Letztens las ich von einem Bauern, der in diesem sehr trockenen Sommer sein Getreide den Kartoffeln geopfert hat. Beides konnte er nicht bewässern; er hat sich für die Kartoffeln entschieden. Ich weiß nicht, ob es daran lag, dass er nicht wollte (zu hoher Wasserverbrauch) oder nicht konnte (eine logistische Frage der zur Verfügung stehenden Sprenger und Generatoren in einem landwirtschaftlichen Betrieb). Auf jeden Fall fand ich es interessant, dass eben nicht alles möglich gemacht werden kann in der Landwirtschaft – und wenn wir hundertmal im 21. Jahrhundert leben.

Auf meiner Spazier- und Laufrunde komme ich regelmäßig an den Feldern eines anderen Bauern vorbei. Auch er bewässert seine Flächen, wenn nötig: im Frühsommer das Getreide, später die Kartoffeln. Gehe oder laufe ich weiter, passiere ich irgendwann das Grundstück einer asiatisch aussehenden Familie, die eine asiatische Variante von Vorgarten kultiviert: Zwei oder drei kurze Reihen Mais, Grünkohl, diverse andere Gemüsesorten, alles auf kleinstem Raum und von jedem ein bisschen – jeder Quadratmeter ist genutzt. Es sieht ertragreich und üppig aus, denn auch hier läuft oft ein Sprenger. Bei uns in der Gegend hat fast jeder einen eigenen Brunnen.

Und dann gibt es da noch den Menschen in der Nachbarschaft, der in seinem Garten das Putten üben will und deshalb den halben Garten in die Grünfläche um das Loch eines Golfplatzes umgestaltet hat. Auch er bewässert – so ein Golf-Rasen muss grün, dicht, frisch und was weiß ich noch sein.

Unlängst ging durch die Presse die Diskussion, dass in besonders trockenen Sommern den Landwirten das Bewässern ihrer Flächen limitiert werden sollte. Der Grund ist der Grundwasserspiegel, der nicht zu sehr absinken soll. Ich denke an den Bauern mit seiner Prioritätenliste – Kartoffeln vor Getreide – und habe meine ganz eigene im Kopf. Für mich käme der Landwirt immer zuerst…