Der erste Schluck Kaffee am morgen schmeckt am besten – genau wie der erste Spargel der Saison. Die erste Fahrt mit einem neuen Auto, der erste zwitschernde Vogel nach einem langen Winter, die erste Liebe – all das sind besondere Momente. Manche erlebt man nur einmal im Leben, manche einmal am Tag. Alle versprühen den Zauber der „ersten Erfahrung“; vielleicht ist dieser größer, wenn die Ereignisse weit auseinander liegen. Heute trinken wir den ersten Sundowner dieses Jahres – der vorherige liegt lange zurück. Wir werden Abstand halten und vorsichtig sein, aber dennoch: Das Wetter ist genau richtig; ich freue mich diebisch. Das erste Mal ist immer besonders; dieser erste Sundowner wird noch besser.
Kein Schlusspunkt
Sundowner heißt übersetzt Abendtrunk oder Dämmerschoppen. Damit könnte ein Getränk gemeint sein, das man kurz vor der Nacht trinkt: Während des Sonnenuntergangs einen Wein genießen, schläfrig werden und ab ins Bett – wie ein Schlusspunkt hinter einem langen Tag. Für mich ist ein Sundowner etwas ganz anderes und das liegt an unseren Nachbarn.
Sie sind besonders, diese Nachbarn: Vor Jahren waren sie die besten Babysitter – und lange die einzigen vor Ort, die alle fünf Kinder übernahmen, ohne sich zu übernehmen. Neben der eigenen Familie und einem üppigen Freundeskreis hatten sie dennoch Zeit für uns von schräg gegenüber. Mittlerweile sind die „Ersatz-Enkel“ dem Baby-Alter lange entwachsen und der Schwerpunkt unserer Nachbarschaftsbeziehung hat sich verlagert. Hieß es früher von uns: „Wir brauchen eure Hilfe mit den Kindern!“, so sind wir heute eher als Ehepaare durch anregende Gespräche verbunden.
Ein Schnack am Gartenzaun, seltener ein gemeinsamer Abend, Haus (oder Hasen) hüten während des Urlaubs – unser Miteinander ist sehr angenehm nachbarschaftlich. Aber hinzu kommt gelegentlich im Sommer die Frage: „Wollt ihr/willst du einen Sundowner mit uns trinken?“ Meist ist der Abend noch früh – würden wir auf die Dämmerung warten, wäre ich wohl zu müde. Es bedarf kaum der Planung – Frage und Antwort sind gleichermaßen spontan. Wir trinken ein Glas Wein, knabbern ein paar Erdnüsse und reden für ein Stündchen über alles mögliche. Dieser Sundowner ist ebenso besonders wie die Nachbarn selbst: Er markiert nicht den Schlusspunkt hinter einem langen Tag, er macht mich nicht schläfrig. Er ist eine willkommene Pause zwischendrin – ein Doppelpunkt, dem der beschwingte Rest des Abends folgt.