Normalerweise halte ich mich für differenziert und ausgewogen. In einem Gespräch mit meinem Mann lasse ich mich zu einer – wie er sagt – `scharfen Aussage´ hinreißen. Er weist mich darauf hin; ich nehme sie nicht zurück. Daraufhin streicht er mir mit freundlichen Worten etwas auf mein Selbstbild: Ich sei weder differenziert noch ausgewogen, sondern radikal und einseitig – zumindest in dieser speziellen Frage. Ich bin nicht sicher, ahne jedoch, dass er (wie meist) mindestens ein bisschen recht hat. Mit dieser differenzierten Korrektur meiner unausgewogenen Selbstwahrnehmung muss ich erstmal zurechtkommen.
Jogginghosen
„Wer
eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben
verloren.“
Karl Lagerfeld
Jetzt ist Karl Lagerfeld gestorben, aber ich hätte ihn auch vorher schwerlich fragen können, ob er das wirklich ernst gemeint hat. Oder ob dieser Satz ebenso zu seiner ganz persönlichen Performance in der Öffentlichkeit gehört hat wie sein Outfit mit Sonnenbrille, gepudertem Zopf und hohem Hemdkragen. Natürlich alles in schwarz/weiß.
Es ist ein Satz, der einen schmunzeln lässt – egal ob man Jogginghosenträger ist oder nicht. „Ist da was dran?“, frage ich mich. Ich habe den Wechsel vom absoluten Jogginghosen-Gegner zum Jogginghosenträger schon vor Jahren vollzogen – und keinen Kontrollverlust dabei empfunden. Vielleicht sieht man den auch nur von außen, keine Ahnung. Ich lasse meinen Sohn sogar mit Jogginghose in die Schule. Solange er die Teile bequem findet und nicht peinlich, gibt es andere Dinge, die mir deutlich wichtiger sind für sein Auftreten in der Öffentlichkeit. Und auch für sein Selbstbild.
Der Satz selbst beschreibt einen Massenzwang – selbst auferlegt -, dem ich mich nur ungern beugen möchte. Solange wir derartige Sätze „chic“ finden, haben wir nicht verstanden, wie viel wichtiger unser Verhalten als unsere äußere Erscheinung ist. In Verbindung mit Karl Lagerfeld ist der Satz aber auch ein Vermächtnis – selbst auferlegt -, dem er sich vielleicht gar nicht wirklich gebeugt hat: Ich will ihm nicht unterstellen, dass er ein oberflächlicher Mensch war. Es kann sogar sein, dass er seinen Worten deutlich weniger Gewicht beigemessen hat als die Welt um ihn herum. Sie sind nur (leider) die ersten und vielleicht einzigen, die uns zu Karl Lagerfeld einfallen.