Reden ist Silber, Schweigen ist Gold?

Immer häufiger passiert es mir, dass Menschen nicht antworten. Bei Briefen ist es mittlerweile ohnehin total unüblich – wer schreibt schon noch Briefe? Aber auch Mails bleiben oft unbeantwortet, selbst wenn das der einzige Kommunikationsweg ist, den wir nutzen. Diese kommunikative Zurückhaltung irritiert und ärgert mich; sie existiert privat und beruflich. Besonders nervig ist sie im Geschäftlichen: Wenn ich eine Rechnung stelle oder eine Arbeit abliefere, kommt von manchem – eine Weile gar nichts. Kein `Es dauert noch, tut mir leid!´, keine Rückmeldung, stattdessen nur Stillschweigen. Erschreckenderweise gewöhne ich mich immer mehr daran und rechne damit, dass ich nicht mit einer Reaktion rechnen kann. 

Kürzlich erfuhr ich, dass es auch anders geht: Eine Bekannte rief mich an wegen eines Jobs. Ich solle darüber nachdenken, sie sei jetzt erstmal im Urlaub. Zwei Wochen später schrieb ich eine Mail, ob wir uns treffen könnten. Umgehend kam die Antwort: „Ja, gern“, hieß es, „ich bringe Ordnung in mein Nach-Urlaubs-Chaos und melde mich in den nächsten Tagen.“ Das tat sie; wir trafen uns und einigten uns auf ein Schnupperarbeiten. Auch den Termin dafür habe ich inzwischen abgemacht, und zwar mit ihrer Kollegin, die sich deswegen bei mir meldete. Ich war jedes Mal überrascht und bin beeindruckt von der verlässlichen Kommunikation. Sie sollte normal sein, wirkt auf mich aber wie ein selten gewordenes Gütesiegel. 

Vom Schweigen

„Wenn du nicht auf das hörst, was Menschen zu sagen haben, wirst du irgendwann von Menschen umgeben sein, die nichts zu sagen haben.“ Dieser schlaue Satz ist nicht von mir, kam mir aber heute in den Sinn. Denn ich war mit jemandem unterwegs, der sehr viel (oder zu viel) zu sagen hatte. Nicht nur, dass mir das Zuhören zunehmend schwer fiel; mir verging auch die Lust, mich selbst zu äußern. Ich hätte nichts dagegen gehabt, ein bisschen gemeinsam zu schweigen.

Wie sagt mein Mann gern und oft zutreffend: Nicht jeder hat die Gabe der wenigen Worte … 

Still

Wenn ich schweige, wird es nicht automatisch still, sondern ich „höre“ das Durcheinander in meinem Kopf. Je mehr ich mich darauf fokussiere, nichts zu denken, umso mehr (unerwünschte?) Gedanken kommen mir in den Sinn. Ich kann zwar aktiv und bewusst das Schweigen wählen, aber nicht das Nicht-Denken. Darüber kann ich mich ärgern, aber das hilft nicht weiter. Ich muss aufhören, nichts denken zu wollen – und alle Anspannung und Kontrolle aufgeben. Das geht weder von allein noch sofort und an manchen Tagen gar nicht. Erst wenn ich übe, im Schweigen ruhig zu sein, werde ich still.

Gute Gespräche

Ich kenne Menschen, die eher schweigen als reden. Sie überlegen lange und ausgiebig – und sagen am Ende gar nichts. Entweder fehlt ihnen die Lust oder die Lücke, weil ständig „wer anders“ spricht. Vielredner gibt es nämlich auch, und die beanspruchen von den begrenzten Kommunikations-Gelegenheiten doch ein großes Stück: „Überlegte Schweiger“ ziehen sich dann lieber zurück in die Rolle des Zuhörers.

Letztens in einer Predigt hörte ich die Bezeichnung „gedankenloser Schwätzer“, was ja eher das andere Ende des Spektrums illustriert. Irgendwie fühlte ich mich angesprochen. Zwar will ich kein solcher Mensch sein, aber ich spürte: Von außen betrachtet (und aus Sicht eines „überlegten Schweigers“) könnte man mich so wahrnehmen. Ich rede manchmal, bevor ich nachdenke – oder währenddessen. Nicht immer ist das eine schlaue Idee, aber es ist auch nicht per se schlecht. Hinsichtlich der Kommunikation bin ich kein ausgesprochen durchstrukturierter, überlegter und bedachter Typ Mensch. Stattdessen bin ich spontan und impulsiv: Vorhandene Gedanken werde zu Worten; weitere Gedanken strömen unablässig nach. Nicht immer ist es gut, umgehend zu formulieren; aber langes Abwägen und Überlegen kann doch auch nicht immer die einzige und beste Lösung sein.

Beides – „gedankenloses Schwätzen“ und „überlegtes Schweigen“ – hat Vor- und Nachteile. Wahrscheinlich findet ein „gutes Gespräch“ irgendwo dazwischen statt. Wie immer.

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold

Mein Sohn hat einen Rüffel bekommen (nicht von mir!), weil er sich nicht an eine Abmachung gehalten hat. Für ihn war seine Grenzüberschreitung eine kleine Sache; die empfangene Schelte kam ihm überzogen vor. Die ganze Sache ist kein Drama, aber mein Sohn ist wütend und artikuliert das auch – mir gegenüber.

Ich bin ratlos, wie ich reagieren soll, empfinde seine Wut als dem Vorfall unangemessen. Eine Weile höre ich mir an, wie er sich über die „ungerechte Strafe“ aufregt. Offenbar sucht er bei mir auch nach Bestätigung seiner Sicht: „Wie blöd ist das denn?“ Ich weiß nicht und werfe einen Satz ein, den ich von meiner Oma gelernt habe: „Liebe Seele hab` Geduld, es haben alle beide Schuld.“

Ganz falsch. „Immer schlägst du dich auf die Seite der anderen, nie stehst du einfach nur zu mir“, ist die prompte Reaktion meines Sohnes, und das Gespräch ist vorbei.

Was wäre besser gewesen? Nach einer Weile dämmert`s mir: Gar nichts zu sagen. Ich hätte es wissen können: „Hör mir zu und sag nichts“ ist genau das, was ich mir oft als Reaktion wünsche. Für „Hör mir zu und sag was“ brauche ich meist ein paar Tage in der Schmoll-Ecke.

Sprachlos, aber verständlich

Vor Jahren besuchte ich einen todkranken Menschen im Krankenhaus. Im Vorfeld hatte ich mir die Zeit für Anfahrt und Begegnung freigeschaufelt. Als ich endlich dort war – fehlten mir die Worte. Was bespricht man mit jemandem, der dem Tod ins Auge sieht? Für „wird schon wieder“ war die Lage zu ernst; einem Lebewohl stand die klitzekleine Hoffnung auf Heilung entgegen. Es war schwierig für uns beide; mit seiner Sprachlosigkeit hatte ich gerechnet, auf meine eigene war ich nicht vorbereitet. Als der Mensch in mir schwieg – „flüchtete“ ich mich ins Gebet und wurde beschenkt: mit Worten und Nähe zu Gott und dem Kranken. Wir spürten, dass Gott hört und versteht.

Regelmäßig treffe ich mich zum Gebet mit einer Freundin. Bei unseren Treffen geht es nicht um Fürbitte, es geht uns um Jesus selbst. Wir wollen ihn anbeten und seiner Gegenwart Raum geben in uns. Es läuft nicht immer gleich. Vor ein paar Tagen mitten in diesem Gebet – fehlten mir die Worte. Was sagt mein Verstand im Angesicht eines Gottes, der allmächtig, allwissend, allgegenwärtig ist, sich nahbar gemacht hat durch die Menschwerdung seines Sohnes und trotzdem ein großes Geheimnis bleibt? Als mein Mund schwieg – „redete“ mein Herz. Wir spürten, dass Gott hört und versteht.

Beredtes Schweigen

Manches Schweigen ist einfach nur nervig. Da fragt man was, da sagt man was – und es kommt keine Antwort. Warum auch immer. Mir geht das auf den Keks. Vielleicht weil ich selbst ungern eine Antwort schuldig bleibe.

Etwas ganz anderes ist beredtes Schweigen – doch das beherrschen nur wenige Leute. Gemeint ist ja nicht ein Stillsein mit Augenrollen, das meist einen Hauch von Verachtung in sich trägt. Auch nicht gemeint ist ein Nicht-Reagieren, mit dem man den anderen zappeln lässt: „Dazu sage ich jetzt nichts, vielleicht später, wart mal noch ein Weilchen.“ Es wird gern als Macht-Demonstration eingesetzt.

Beredtes Schweigen ist das, was mir von einem schlauen Menschen bisweilen entgegenschlägt, wenn ich nach langem Überlegen, Abwägen, Zögern wortreich zu derselben Erkenntnis gelangt bin wie er. Manchmal ist es mir peinlich, dass ich so lange gebraucht habe. Öfter freue ich mich einfach nur über das stille Einvernehmen.

Wann, wenn nicht jetzt? Der richtige Zeitpunkt!

„Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde: …. schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit …“
Prediger 3, 1+7b

Leider gibt es bei uns die 21.30 Uhr-Regel. Zwar geht es mir manchmal gegen den Strich, aber eine Abmachung zwischen uns als Ehepaar lautet: Nach halb zehn werden keine wichtigen Gesprächsthemen mehr angesprochen. Aber auch tagsüber ist es bisweilen mehr als schwierig, den richtigen Zeitpunkt abzupassen: So wichtig kontroverse und konstruktive Streitgespräche der Eltern sind, so wenig brauchen sie den Nachwuchs als Zeugen oder Moderator. Und wenn es nur die Kinder wären! Nein, es gibt noch viel mehr Grund, Dinge nicht anzusprechen: Müdigkeit, Frust, Eile – um nur einige zu nennen.

Kurzfristig betrachtet kann ich mich darüber ärgern: Manche Dinge erscheinen so drängend, die müssen doch einfach raus! Ein Problem will unbedingt angesprochen werden, die Wahrheit muss auf den Tisch – Aufschub scheint unmöglich. In mir brodelt´s.
Langfristig gesehen weiß ich inzwischen, dass die Wahl des richtigen Zeitpunktes mehr als das Zünglein an der Wage sein kann: Hier entscheidet sich oft Erfolg oder Misserfolg eines Anliegens, der richtige Moment kann die Stimmung in die eine oder andere Richtung kippen lassen. Wann ich herausplatze mit welchem Problem, vermittelt manchmal Wertschätzung, manchmal Ignoranz.

Erst überlegen, dann reden – das entspricht wahrscheinlich nicht hundertprozentig meiner Persönlichkeit, kann aber schlau sein. Dringlichkeit ist dagegen oftmals ein schlechter Ratgeber. Irgendwo dazwischen liegt der richtige Zeitpunkt.