Vom erfolgreichen Schreiben?

Im wöchentlichen Wechsel schreiben Journalisten einer Tageszeitung einen Newsletter. Diese Woche kommt einer der freien Mitarbeiter zu Wort. Ich `kenne´ ihn; er ist einer derjenigen, deren Texte ich ganz gern lese – auch wenn sie meist etwas zu lang sind für meinen Geschmack. Bisher hat mich das nicht sehr gestört, aber dieser Newsletter gibt mir zu denken: Hierin beschreibt besagter Autor in epischer Breite einen seiner Tage, an denen er nichts Vernünftiges zu Papier bringt. Er braucht etwa 11.000 Zeichen dafür. Schon die ersten 2.000 Zeichen bestätigen eine Vermutung, die ich schon länger hege: Wenn man erst einen gewissen Namen hat als Autor, kann man buchstäblich schreiben, wie man will und wird dafür gefeiert. Das ist an sich nicht schlimm; vor der Narrenfreiheit, die mit dem Ruhm kommt, sind wohl gerade erfolgreiche Schreiber nicht gefeit. Wäre ich an ihrer Stelle, würde mir der Ruhm sicher auch zu Kopf steigen – und sich negativ auf die Güte meiner Arbeit auswirken. Ich hoffe jedoch, ich wäre nicht auch noch stolz darauf und es wäre mir peinlich, damit hausieren zu gehen!

Ins Wort schreiben

Gespräche laufen besser, wenn man sich gegenseitig ausreden lässt: erst reden, dann zuhören, dann antworten. Leider wird heutzutage in Talkshows genau das Gegenteil praktiziert. Obwohl das wahrscheinlich alle Teilnehmer nervt und noch dazu die Zuschauer am heimischen Bildschirm, scheint es selten anders zu gehen – was vielleicht mit Einschaltquoten zu tun hat.

In der schriftlichen Konversation ist das Nacheinander einfacher zu praktizieren: Wenn ich einen Brief erhalte, ist der andere `fertig´; ich kann zwar zügig antworten, ihm aber nicht `ins Wort schreiben´. Selbst schnell übertragene Mails laufen nach dem Schema: erst schreiben, dann lesen, dann antworten.

Unterhaltungen per SMS, WhatsApp, Threema etc. sind eine Mischung: persönlichen Gesprächen im Tempo sehr ähnlich, aber schriftlich geführt. Sie eignen sich hervorragend für den schnellen Austausch zwischendurch – und leider auch wunderbar zum Unterbrechen: Da diese Kurznachrichtendienste vor allem für spontane Mitteilungen genutzt werden, versendet man leichter auch Gedanken, die vielleicht nicht gut überlegt und vor allem nicht fertig gedacht sind. Mir geht es jedenfalls so. Dann `lege ich nach´ und schreibe den nächsten Gedanken direkt hinterher – und versende ihn ebenso. Gleichzeitig trudelt aber manchmal schon die erste Antwort meines Gegenübers ein. Daraus entwickelt sich bisweilen ein lustiges Hin-und-Her-Geschnattere am Handy: schreiben (1), schreiben (2), lesen (1), antworten (auf 1), lesen (2), schreiben (3 auf Antwort 1), antworten (auf 2), lesen (3), antworten (auf 3) …

Sich digital `ins Wort zu schreiben´, überfordert nach kürzester Zeit auch den versiertesten Kommunikator. Ich verliere dabei schnell den Überblick und breche ab – oder rufe den anderen an. Sich im persönlichen Gespräch ins Wort zu fallen, ist ebenso unübersichtlich und außerdem ziemlich unhöflich – übrigens auch in Talkshows.

Was man in der Schule lernt – und was nicht

Mein jüngster Sohn kann sprechen und zuhören. Das hat er zu Hause gelernt, neben vielen anderen Dingen, die nichts mit der deutschen Sprache zu tun haben. Er weiß, dass man miteinander reden kann – direkt oder per Telefon. Für andere Kommunikationswege und auch, um noch mehr zu lernen, muss man schreiben und lesen können. Das – und viele andere Dinge – lernt er in der Schule, er ist in der vierten Klasse. Deutschunterricht ist wichtig, aber auch mühsam, denn unsere Sprache hat viele Worte und ein kompliziertes Regelwerk. Wir helfen ihm, indem er zu Hause redet, liest und manchmal etwas schreibt.

Heute kam er aus der Schule nach Hause und sagte als erstes: „Mama, das war so cool – wir hatten keinen Deutschunterricht.“ „Wieso? Kannst du schon alles oder war die Lehrerin krank?“ „Nein, wir hatten stattdessen Klassenrat, weil XY gemobbt wird. Über WhatsApp, da werden von anderen Mitschülern blöde Sachen über sie ins Internet gestellt. Das kann jetzt die ganze Welt sehen – naja, vielleicht nicht die GANZE, aber doch ziemlich viele Leute. Und die Dinge bleiben ja da stehen, weißt du?“

Ja, weiß ich. Noch bevor die Kinder heutzutage wissen, wie man richtig Schreckschraube schreibt, bezeichnen sie einander so und schlimmer – aber nicht mehr direkt von Angesicht zu Angesicht, sondern von einem mobilen Handgerät zum nächsten. Und „alle Welt“ kann daran teilhaben. Es ist wichtig, dass die Kinder darüber sprechen – keine Frage. Aber ich denke, für diese Lernfelder sind die Eltern zuständig. Deutschunterricht hilft Kindern, gut mit ihrer Muttersprache umzugehen. Eltern helfen ihren Kinder, gut miteinander umzugehen. Wenn es sein muss auch mittels eines Gerätes, das Kinder bedienen können, ohne lesen und schreiben zu können.

Schule kann sich nicht um die gesamte Erziehung kümmern – auch wenn wir gern jemanden hätten, den wir für alles verantwortlich machen können.

Aufmerksamkeit

Letztens las ich einen Artikel, der besagte, die Aufmerksamkeitsspanne von Menschen sei unter die von Goldfischen gesunken – von zwölf Sekunden im Jahr 2000 auf acht Sekunden in 2016; Goldfische können sich neun Sekunden auf eine Sache konzentrieren. Das heißt, dass spätestens an dieser Stelle in meinem Text ein verbaler Höhepunkt folgen sollte, damit Sie überhaupt weiter lesen. Aber vielleicht habe ich Sie schon verloren, weil es ihnen von vornherein nicht gefällt, über derartige Dinge nachzudenken? Oder Ihr Handy geklingelt hat? Oder sich die Frage nach den Wetteraussichten für die nächsten zwei Stunden in ihr Gehirn schleicht. Dagegen habe ich schlechte Karten, zumal ich Ihnen nichts zu bieten habe – außer verständlich (und eventuell interessant) geschriebene Texte.

Dabei stellt sich doch ganz offensichtlich vor allem die eine Frage: Woher wissen wir, wie lange sich ein Goldfisch konzentrieren kann? Wer untersucht so etwas und warum? In derselben Studie hieß es, ein Goldfisch könne sich zwölf Tage lang an eine Futterquelle erinnern. Da ich nicht weiß, wo ich vor anderthalb Wochen unser Mittagessen gekauft habe, bin ich also mit einem schlechteren Erinnerungsvermögen ausgestattet als ein Goldfisch? Diese haben als Haustiere, die gefüttert werden, einen gewissen Vorteil mir gegenüber – in einem Gartenteich gibt es schließlich nur einige Orte, an denen Futter auf der Oberfläche landet. Ich dagegen kann wählen zwischen Supermarkt, Bauer um die Ecke, Markt in der Stadt… , eventuell eigener Garten???

Wenn Sie bis hierher gelesen haben: Ist Ihre Aufmerksamkeitsspanne deutlich höher als die des Durchschnittslesers? Sind Sie besonders an Goldfischen und ihrem Fressverhalten interessiert? Oder ist dieser Text so toll geschrieben, dass Sie begeistert gern noch weiter lesen würden? Wenn ja, ist das dann auch der Beweis dafür, dass der Inhalt weniger wichtig ist als die Schreibe? Lass ich mich mal in dem (Irr-) Glauben!