Mut zur Lücke

„Immer wenn die Sonne scheint, denke ich, ich sollte meine Fenster putzen“, sagt meine Schwester am Telefon, „aber wer putzt denn im November Fenster?“ Ich nicht; aber den Impuls kenne ich auch: Mich motiviert die Sonne sogar zum Fensterputzen, wenn ich meine Fenster gerade geputzt habe!

Eine Freundin meiner Schwester ist pragmatisch und findet, Putzen sei total überbewertet: Anstelle einen halben Tag lang alle Fenster zu putzen, nutzt sie die Werbeblöcke im Fernsehen, um sich nebenbei mal dem einen und mal dem anderen Fenster zu widmen. Auch ich denke, man braucht Mut zur Lücke oder (weil die Sonne im November selten scheint) zu schmutzigen Fenstern. „… oder zum Fensterputzer!“, ergänzt meine Schwester – und wir lächeln beide.

Der mentale Aspekt vom Putzen

Ich habe unser Bücherregal ausgewischt; drei bis vier Stunden hat´s gedauert. Der Vorher-Nachher-Effekt ist schon aus zwei Metern Entfernung mit bloßem Auge kaum wahrzunehmen. Aber ich WEISS, dass es sauber ist – und das reicht mir.

Küchenschränke

Grundsätzlich liebe ich es sauber und aufgeräumt. Meine Ansprüche in Sachen „gründliches Reinemachen“ sind jedoch in den letzten Jahren von einem hohen Level abgesunken auf ein Maß, mit dem ich leben und das ich gut leisten kann. Es ist nicht schmutzig bei uns, aber ich kann mich mit vielen anderen Dingen besser beschäftigen als zum Beispiel mit dem Auswischen von Küchenschränken.

In der Teeküche der Schule, in der ich regelmäßig aushelfe, machten wir vor den Weihnachtsferien gründlich sauber. Diese Putzaktion löste in mir ein schlechtes Gewissen aus hinsichtlich meiner eigenen Küchenschränke: „Habe ich lange nicht gemacht, wäre mal wieder nötig“, so kreisten meine Gedanken. Allerdings setzte ich diese nicht sofort in die Tat um. Ein Hinderungsgrund für derartige Reinigungsaktionen ist der Faktor Zeit: Es dauert lange – was könnte ich stattdessen alles tun. Ein weiterer Hinderungsgrund ist der auf den ersten Blick nicht sichtbare Effekt: Kein Mensch sieht, dass meine Schränke innen sauber sind – von außen nicht einmal ich selbst.

Heute kämpfte ich mit Spannungsschmerzen in der Halswirbelsäule und fragte mich, was mir unverkrampfte, leichte Bewegung verschaffen würde. Da fielen mir die Küchenschränke wieder ein. So machte ich mich an die Arbeit und wischte mich durch die Fächer, während zwei Kinder sich mit Latein-Vokabeln und Mathe-Gleichungen beschäftigten.

Was soll ich sagen: Die Vokabeln des einen und die Mathe-Aufgabe der anderen lenkten mich ab – und erfreuten mein Hirn ob der ihnen innewohnenden Logik (ein Level, auf dem ich noch mithalten kann). Sozusagen „nebenbei“ wurden meine Küchenschränke sauber. Jetzt drängt sich die Halswirbelsäule langsam wieder in mein Bewusstsein; aber in den Nachmittagsstunden hätte ich mich nicht besser beschäftigen können.

Dass ich das jemals über eine Putzaktion in meiner Küche aussprechen würde…

Mehr als nur putzen

Unsere vier großen Kinder müssen, dürfen, sollen abwechselnd eins unserer Badezimmer putzen. Jeder macht es ein bisschen anders gründlich, besonders gern macht es keiner von ihnen. Letzten Samstag war ein Sohn dran, der sich anschließend gebührend aufregte über „Mädchen-Haare, -Schminksachen und -Deos, die überall herumstehen oder -liegen“ und immerzu im Weg sind.

Als ich heute dieses Bad betrat und benutzte, freute ich mich darüber, wie sauber und aufgeräumt es ist. Und ich dachte: So sehr sie diese Aufgabe nervt, so schnell aus ihrer Sicht die vier Wochen vergehen, bis der Einzelne wieder dran ist – so wunderbar dient dieses Bad-Putzen ihrer Persönlichkeit. Den eigenen Dreck zu beseitigen ist nicht schwer; sich um die Hinterlassenschaften anderer zu kümmern – das ist die höhere Kunst der Lebensschule.

Mama und Putzfrau in Personalunion

Papier-Abholung morgen. Schnell noch einen Papierkorb in die Tonne entleert und ab damit auf die Straße, auf der zwei unserer Kinder mit – mir unbekannten – anderen Kindern aus der entfernteren Nachbarschaft spielen: „Und wer sind Sie?“ „Ich? Wer soll ich denn sein, die Putzfrau?“ „Ja, meine Mama hat eine Putzfrau.“ „Ich nicht, ich bin Mama und putze.“

Ich weiß nicht warum, aber dieses kurze Gespräch hat mich irritiert. Ich persönlich würde erstmal davon ausgehen, dass derjenige, der sich auf einem Grundstück um die Mülltonnen kümmert, der Bewohner ist. Für einige Kinder heutzutage (und ehrlich gesagt nicht die Kinder von Schwerreichen, die wohnen hier nämlich nicht um die Ecke) gibt es die Option, dass es sich um Dienstleister handeln könnte. Vielleicht war das früher auch schon so – und ich habe mich nur grundsätzlich in anderen Kreisen bewegt. In wie vielen Haushalten werden – nicht aufgrund von Gebrechlichkeit – Arbeiten ausgelagert, die noch vor 40 Jahren zum normalen Lebensalltag gehörten?

Noch interessanter finde ich, dass ich mich durch die Frage nach meiner Funktion abgewertet fühlte – „nur“ die Putzfrau? Wieso? Ich habe nicht nur die Aufgabe, hier sauber zu machen; ich wohne und lebe hier – und ich mache hier auch sauber, bringe den Müll raus. Ist eine Mutter mehr wert als eine Putzfrau? Vom Verdienst her nicht, aber sonst? Dieser Vergleich ist schwierig und nicht hilfreich. Ist es kein ehrenwerter Beruf, sauber zu machen?

Vielleicht liegt es daran, dass Muttersein für mich soviel mehr ist als ein „Job“ – eine Lebensaufgabe, eine Berufung, ein Geschenk, eine Herausforderung, ein Segen. Für mich beinhaltet er – derzeit – auch das Putzen, aber das ist eben nur ein Aspekt unter vielen. Nicht der beliebteste, nicht der, für den ich am besten geeignet bin, nicht der wichtigste. Die Aussage „Sind Sie hier die Mama?“ hätte mich stolz gemacht – obwohl ich dafür gar nichts kann…