Der erste Schritt

„Ich will euch trösten, wie einen eine Mutter tröstet …“
Jesaja 66, 13

Väter sind lösungsorientiert, das ist großartig. Sie ermutigen durch Worte und bleiben dabei schön sachlich. Dadurch helfen sie, die Perspektive zu wechseln – und dann spiele ich vielleicht morgen doch wieder mit dem Mädchen, das mich heute so blöd angemacht hat. Aber letztlich machen Väter dadurch oft den zweiten Schritt vor dem ersten.

Wenn die Seele weint, braucht sie erstmal keine Ablenkung („Anderen geht es noch schlechter.“), keine pauschale Ermutigung („Wird schon wieder.“) und auch keine gute Alternative („Dann gehst du eben nicht zur Bahn, sondern zur Polizei.“). Ein trauriges Herz braucht Trost, den es spüren kann. Wieso sagt Gott dann hier nicht: „Ich will euch so trösten, dass ihr es im Herzen spürt“? Gott spricht oft in Beispielen zu uns; wir verstehen ihn dann besser. Und weil Trost eine zutiefst empathische Aktion ist, sagt „wie eine Mutter tröstet“ alles.

Denn in Empathie sind Mütter besser. Zwar fehlen uns manchmal die Worte, und wir haben selten eine Lösung: So ticken wir nicht. Stattdessen wagen wir uns hinein in das Elend des anderen – durch eine Umarmung, durch Zuhören und dadurch, dass wir die Verzweiflung des anderen zulassen. Dadurch vermitteln wir Nähe und sagen ohne Worte: „Deine Traurigkeit darf sein, ich ertrage sie mit dir zusammen.“ Genau dadurch erfährt die Seele Trost und Annahme. Und das ist der erste Schritt. Danach kann der zweite kommen – gern mit Ablenkung, Ermutigung und Alternativen. Darin sind Väter super; aber trösten können Mütter besser.

(Zwei Ermutigungen für Väter: Es gibt Ausnahmen; und der zweite Schritt ist genauso wichtig wie der erste.)

Mütter mit Vorsprung

Erziehung ist individuell und nur bedingt aus einem Ratgeber zu lernen. Als Mutter muss ich meinen Stil selbst finden, sozusagen „learning by doing“. Manchmal bin ich ratlos und sehne mich nach Orientierung – auch nach 19 Jahren. Erziehungsbücher sind gut, die Erfahrung anderer Mütter ist oft besser.

In meinem Bekanntenkreis sind einige Mütter, die mir eine Lebensphase voraus sind – Mütter mit Vorsprung: Sie haben früher Kinder bekommen und sind in der Regel etwas älter. Ihre Erfahrung empfinde ich als hilfreich; sie sind abgeklärt und verändern meine Perspektive. Wir begegnen uns auf Augenhöhe – egal, wie viele Lebensphasen diese Mütter mir voraus sind. Auch für sie gilt noch „learning by doing“; sie belehren mich nicht, wir unterhalten uns nur.

Nur einige der Mütter mit Vorsprung halte ich nicht gut aus. Bei ihnen schwebt über jedem Gespräch ein „kenn ich, weiß ich, war ich schon“. Ihnen gegenüber fühle ich mich klein und unerfahren und weiß doch, dass ich es nicht bin. Von ihrer Erfahrung profitiere ich nicht, denn: Ich unterhalte mich nicht gern mit ihnen. 

Mittlerweile bin ich selbst eine Mutter mit Vorsprung. Trotzdem habe ich nicht auf jede Frage eine Antwort – und bleibe „learning by doing“. Das ist auch gut so, denn: Nichts beendet ein Gespräch schneller als „kenn ich, weiß ich, war ich schon“.