Luxus-Stress?

Ich unterhalte mich mit einer entfernten Bekannten; es geht um Arbeit. Sie kann sich überhaupt nicht vorstellen, jemals weniger als voll zu arbeiten. Aus ihrer Sicht müssten wir alle in den nächsten zehn Jahren mehr arbeiten, nicht weniger, auch Mütter. Unsere Gesellschaft könne sich Teilzeit-Arbeiter eigentlich gar nicht mehr leisten, sagt sie. Sie scheint sich auszukennen – und vor allem ihrer Sache sehr sicher zu sein. Ich verstumme, denn ich habe keine Ahnung und meine Perspektive ist eine andere. Sie hat ein Kind, ich hab´ fünf; mir war die Haus-Arbeit immer wichtiger, ihr die Außer-Haus-Arbeit. Wahrscheinlich kommunizieren wir aneinander vorbei.

Kinder `nebenbei´ bekommen und alles andere genauso weiterlaufen lassen, das ist unmöglich – finanziell, zeitlich, von der Kraft her. Zudem sind in den vergangenen 50 Jahren unsere Ansprüche gestiegen, was zum Leben dazugehört: Wir waren früher sonntags zum Mittag bei meiner Oma und im Herbst zum Pilzesuchen im Wald. Heute besuchen Familien einen Freizeitpark oder unternehmen einen Wochenendtrip an die See; manche fliegen auch nach London und schenken dem volljährigen Kind ein eigenes Auto. Früher gehörte das nicht zum Standard und niemand hat dieser Art Luxus vermisst: Das Glück in Familien hängt nicht an Dingen, die Geld kosten.

Luxus

Luxus ist, wenn man im eigenen Bezugssystem mehr als der Durchschnitt besitzt. Sagt zumindest das Internet. Auch ein Eigenheim in Deutschland ist daher ein Luxus – egal, wie gut es in Schuss ist.

Mein Mann bringt gern meine Liebe zu Jacken ins Spiel, wenn es um Luxus geht; ich besitze mindestens acht: jeweils zwei Regen-, Winter- und Softshell-Jacken sowie mehr als eine Fleece-Jacke. Einige habe ich geerbt, aber das spielt keine Rolle. Für meinen Mann ist das ebenso luxuriös wie zwei Fernseher in einem Haushalt, alle zwei Jahre ein neues Handy und eine Mitbewohnerin namens Alexa. Verglichen damit halte ich meine Jacken für normal, aber mein Mann hat das Internet auf seiner Seite: Acht Jacken sind in Deutschland wahrscheinlich genauso überdurchschnittlich wie zwei Fernseher – und damit eben luxuriös. Stufen wie luxuriöser oder gar am luxuriösesten sind nicht vorgesehen: Mehr als der Durchschnitt reicht, um dazuzugehören; wie viel mehr ist nicht entscheidend.

Luxus? Selbstverständlich!

Ausnahmsweise mache ich meinen Wocheneinkauf mit dem Auto: Eine erfolgreich abgearbeitete Einkaufsliste würde die Aufnahmekapazitäten meines Fahrradanhängers sprengen. Auf dem Parkplatz schnappe ich mir diverse Tüten und Kisten aus dem Kofferraum und will das Auto abschließen. Mit vollen Händen gelingt es erst beim dritten Versuch, per Knopfdruck die Zentralverriegelung auszulösen. Bevor ich mich darüber ärgern kann, realisiere ich, dass ein ehemaliger Luxus für mich selbstverständlich geworden ist: Unser vorheriges Auto besaß drei Türen und eine Kofferraumklappe – jedes mit rein mechanischen Schlössern versehen. Jahrelang hatte ich (per se) mit mindestens einem Kleinkind die Hände voll; aber ich kann mich nicht erinnern, dass mir das Abschließen Probleme bereitet hätte. Ich war wohl einfach besser sortiert; vor allem am Anfang reichte mir außerdem der Luxus eines geräumigen Autos. Als dieser selbstverständlich geworden war, wünschte ich mir Extras wie `mehr als 100 PS für zwei Tonnen´ oder `eine bis zu den hinteren Sitzen spürbare Heizung´ – vielleicht sogar eine Klimaanlage? Das nächste Auto erfüllte manche Wünsche und brachte die Zentralverriegelung gleich mit: für mich Luxus!

Gemessen an dem, was heute auf deutschen Straßen unterwegs ist, läuft unser Auto eher unter Standard. Ich könnte mir leicht mehr Luxus wünschen – muss ich aber nicht: Denn ich bin sehr zufrieden mit dem, was ich mittlerweile als selbstverständlich erlebe.

Luxus – braucht keiner und trotzdem erstrebenswert?

Kürzlich hatte ich ein kurzes Gespräch mit einer flüchtigen Bekannten, einer jungen Mutter. Es ging darum, was für die Vereinbarung von Familie und Beruf besser ist: in der Nähe der Eltern bleiben – auf dem Land – und weite Wege haben oder aber wegziehen – in Stadtnähe, kürzere Wege haben und keine Großeltern am Ort. Ihre Tochter ist anderthalb. Es gibt keine Standardlösung – wie immer.

Als ich sagte, ich sei noch immer hauptsächlich zu Hause und mein Jüngster sei neun Jahre alt, kam eine überraschende Antwort: „Luxus“, sagte sie. Diese Bemerkung schwingt in mir nach, denn in diesem Zusammenhang ist das Wort noch nie (und wenn, dann nur äußerst selten) gefallen.

Luxus ist laut Wikipedia etwas, was man nicht braucht, was teuer ist und nicht für jeden erschwinglich – und deshalb für viele erstrebenswert. In unserer Gesellschaft scheint es mir erstrebenswert zu sein, arbeiten zu gehen – für Männer und Frauen und auch für Mütter. Das Zuhause-Sein mit Kindern wird immer mehr zu einer zeitlich begrenzten Zwischenphase, die nicht das Eigentliche ist. Das Eigentliche ist der Beruf, der Job, das Geld, das man damit verdient, die Anerkennung, die man damit bekommt. Zumindest ist das mein Eindruck.

Für unsere Familie gilt: Was wir an Geld haben, reicht für das, was wir uns leisten wollen, obwohl ich kaum etwas verdiene. Ist das Luxus? Ich empfinde unser Leben nicht als luxuriös in materiellem Sinn. In anderer Hinsicht schon. Ob die Kinder es nun wollen oder nicht: Unser Zuhause ist wie eine Basisstation, die immer besetzt ist. Trotzdem werden unsere Kinder mit zunehmendem Alter selbständiger und organisieren sich ohne meine Hilfe. Meine Präsenz wirkt wie Luxus – nice to have, aber nicht wirklich nötig. Ich bezweifle, dass dieser Zustand ebenso erstrebenswert ist wie Luxus im herkömmlichen Sinn. Vielleicht klang die Bemerkung deshalb so merkwürdig in meinem Ohr…