Ein Lächeln macht den Unterschied

Auf einem Termin treffen ich einen Kollegen von der Konkurrenz. Da ich neu im Geschäft bin, kennen wir uns nicht persönlich; sicher hat er aber schon ebenso von mir gehört wie ich von ihm. Begegnungen mit anderen aus seiner Branche verliefen oft unpersönlich und distanziert. Entsprechend bin ich ein bisschen vorsichtig – und unsicher. Wir sitzen zwar neben-, reden aber nicht miteinander, sondern hören zu und stellen Fragen. Irgendwann im Verlauf der nächsten halben Stunde lächelt er mich an. Das ändert alles: Ich fühle mich gesehen, ernst genommen und wohl.

Im Supermarkt suche ich Palmherzen. Weil ich sie nicht finde, spreche ich zwei Mitarbeiterinnen an, die im Gang stehen. Eine von ihnen schaut mit mir zusammen bei den Konserven – erfolglos. Von der anderen erwarte ich keine Hilfe. Zum einen ist sie normalerweise nicht zugänglich und immer sehr ernst; zum anderen sieht sie aus, als hätte sie schon Feierabend. Überraschenderweise trottet sie uns hinterher und schlägt dann vor, in einem anderen Regal nachzuschauen. Dort sind Artischocken-Herzen – und ich will mich schon freuen. „Das ist, glaube ich, nicht dasselbe“, sagt sie, holt ihr Handy raus und `fragt´ Google. Eine Minute später wissen wir, dass sie recht hat. „Dann haben wir wohl wirklich keine Palmherzen“, sagt sie bedauernd und lächelt mich an. Das ändert alles: Ich fühle mich gesehen, ernst genommen und wohl.

Ein Lächeln

Letzte Woche musste ich mich testen lassen und wartete zusammen mit einigen anderen auf das Ergebnis. Ich kannte niemanden von ihnen, aber mit einem älteren Herrn kam ich ins Gespräch. Es ging weniger um Corona oder DIE Impfung; es war einfach ein freundliches Allerwelts-Gespräch. Als wir unsere Bescheinigungen erhielten, sagte er zu mir: „Ich bin negativ – das ist ja positiv.“ Wir verabschiedeten uns mit einem Lächeln.

Ein Lächeln im Supermarkt

Ich gehe meist vormittags einkaufen, wenn die Regale voll, die Flure leer und die Verkäufer noch frisch sind. Ab und zu verschlägt es mich aber doch zur Feierabendzeit in einen Supermarkt – und jedesmal fällt mir ein Unterschied auf: Zum einen sind mehr Leute unterwegs, die gestresst wirken, weil sie schon einen Arbeitstag in den Knochen haben. Zum anderen sind Verkäufer unterwegs, die abgearbeitet wirken, weil sie schon einen Arbeitstag in den Knochen haben – und vielleicht sogar einige weniger angenehme Begegnungen mit gestressten Kunden.

Gestern Abend um 17 Uhr traf ich auf eine solche Kassiererin. Sie sah unkonzentriert und gelangweilt aus und starrte sekundenlang ins Leere, sobald ihre ansonsten automatisierten Handgriffe durchs Bezahlen kurz unterbrochen wurden. Ihr Blick schien ausdruckslos und abgeschlafft, das Gesicht ernst und abwesend. Während ich noch in der Schlange wartete, gab es offenbar einen Blickwechsel mit ihrer Kollegin an der anderen Kasse. Ohne Worte stahl sich ein Lächeln in das Gesicht „meiner“ Kassiererin – die Veränderung war frappierend: Die Mundwinkel gingen minimal in die Höhe (es war „nur“ ein Lächeln, kein Lachen), die Augen öffneten sich ein wenig, die Wangen wurden straffer, Lachfalten tauchten auf. Das ganze Gesicht sah schön aus, weich, freundlich, entspannt, wach.

So hatte ich die Frau noch nie gesehen – so schön! Ich glaube nicht, dass ihr in diesem Moment bewusst war, dass sie jemand ansah und sich über ihr Lächeln freute. Es war auch schnell wieder vorbei. Aber ich hatte es gesehen und musste ebenfalls lächeln, doch das hat niemand bemerkt. Oder? Wer weiß.

Was die Stimme offenbaren kann

Ich höre, wenn jemand lächelt, während er redet. Sogar am Telefon. Andere können das auch, es ist keine Kunst. Ich finde es spannend, dass die Stimme so wenig verbergen kann, dass man lächelt. Zwar könnte ich nicht sagen, woran ich es höre, was sich anders anhört, aber ich höre es. Faszinierend. Höre ich genauso auch Wut? Ich glaube, ja. Oder Traurigkeit, die auch. Unsere Stimme ist ein offenes Tor hinein in unsere Gefühle – ob wir es wollen oder nicht. Vielleicht können Schauspieler die Stimme dahingehend modulieren, dass sie Gefühle vortäuschen oder unterdrücken können; Normalsterbliche können das nicht ohne weiteres, sondern nur, wenn sie sich bemühen. Oder?

Im normalen Tagesgeschäft begegnen mir andauernd Menschen (nicht digital!), denen ich nicht abspüre, in welcher Stimmung sie sich gerade befinden. Woran liegt das? Leben wir in einem Miteinander, in dem Gefühle keinen Platz haben? Ist unsere Gemeinschaft darauf ausgerichtet, nur Sachinformationen auszutauschen? Ich schätze, manches wollen wir gar nicht wissen, manche Gefühlsuntiefe ist auch nicht für jedermann; und die meisten Begegnungen sind kurz und bleiben oberflächlich.

Außerdem ist sich nicht jeder seiner eigenen Befindlichkeit bewusst. Ich kann mir vorstellen, dass das auch mit unserer Geschäftigkeit zu tun hat. Wir laufen im Erledigungsmodus durch unseren Alltag und funktionieren. Mal gut, mal weniger gut. Das ist nicht per sé schlecht: Manches muss einfach gemacht werden. Aber wir brauchen die Pausen, ganz sicher. Nicht um Nabelschau zu betreiben, sondern um Mensch zu sein. Dann sind Begegnungen möglich, in denen man die Stimmung hört – und im besten Fall reagieren und Anteil nehmen kann. Das ist wohl das, was wir menschliche Gemeinschaft nennen.

Ich freue mich jedenfalls immer, wenn ich jemanden lächeln höre…