Jetzt oder später

Ich erledige Aufgaben gern zeitnah; für mich gilt: `Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.´ Nicht immer lässt sich das realisieren, dann lasse ich weniger Dringliches für `später´ liegen. Aber leider ist mir das Unerledigte doch sehr präsent und trübt mein `Jetzt´. Daher finde ich, dass es nur selten schlau ist, etwas auf später zu verschieben – zu prokrastinieren, wie es heute gern heißt. Zwar fühlt es sich jetzt ohne Auftrag gut an, aber später drohen Zeitdruck und Stress.

Andere Menschen sind geborene Prokrastinierer: Aufgaben erledigen sie möglichst spät, nämlich erst, wenn diese sich nicht mehr auf `noch später´ verschieben lassen. Sie leben jetzt fröhlich mit Unerledigtem und ärgern sich auch dann nur ein wenig, wenn es später hektisch wird. Eine meiner Töchter fällt unter diese – bisweilen beneidenswerte – Gruppe Mensch. Sie müsste sich jetzt auf ihre theoretische Führerscheinprüfung vorbereiten; aber sie verschiebt es auf später. Denn ihr macht so ziemlich alles andere mehr Spaß: Klavier oder Fußball spielen, chillen, Videos schauen, essen, der Schwester die Haare schneiden, Musik hören … Noch verspürt sie keinerlei Druck: Zwar würde sie gern jetzt schon Auto fahren dürfen, aber es geht eben auch ohne.

Kürzlich kam diese Tochter von der Schule nach Hause und verkündete: „Ich mache meine Hausaufgaben jetzt immer sofort, wenn ich sie bekomme. XY macht das auch so; die hat nachmittags viel planbarer Zeit.“ Ich bin gespannt, ob das, was sie jetzt begeistert, auch später noch attraktiv sein wird – und ob es sich auch auf die Führerschein-Theorie anwenden lässt. 

Gerade jetzt

Persönliche Treffen sind gerade jetzt nur noch eingeschränkt angesagt. Gleichzeitig sollen wir uns weder isolieren noch zulassen, dass allein lebende Menschen vereinsamen. Was tun? Soziale Medien können Verbindungen schaffen, das gebe ich zu; aber man kann auch in anderer Weise die von außen aufgezwungene Kontaktbegrenzung aktiv, sinnvoll und zur beiderseitigen Freude nutzen. Ich plädiere für das Medium „Brief“ – wieder oder erstmalig.

Gerade jetzt haben die meisten Menschen Zeit, einen Brief zu schreiben. Ebenso haben die meisten Menschen gerade jetzt den Wunsch nach menschlicher Zuwendung wie Anteilnahme, Ermutigung und Interesse. Als Alternative zum persönlichen Gespräch ist ein Brief hervorragend geeignet: Beim Schreiben wird man in der Regel nicht unterbrochen, kann in Ruhe Ordnung in die eigenen Gedanken bringen und sich intensiv auf das Gegenüber einlassen. Neben Werbung, Rechnungen und den vornehmlich negativen Schlagzeilen, die uns täglich aus dem Briefkasten entgegen fallen, sind persönliche Briefe eine erfreuliche Besonderheit. Es ist keine Kunst, jeder kann es ausprobieren: Schreibt Briefe – gerade jetzt!