Nostalgie

Kürzlich las ich einen kurzen Artikel in der Zeitung. Der Autor war ein Ende der 70er Jahre in der DDR geborener Journalist; der schrieb, wie er sich die Vollendung der Einheit ursprünglich vorgestellt hatte: Solche Dinge wie Kitas, die Gleichberechtigung der Frau und längeres gemeinsames Lernen seien doch der Erhaltung wert gewesen, müssten im Westen aber heute (30 Jahre nach dem Mauerfall) noch immer erst mühsam erkämpft werden.

Heute folgte das Zitat einer bekannten Sportlerin. Sie war als Jugendliche und junge Erwachsene eine der erfolgreichsten Spitzensportlerinnen der DDR und dabei sehr engagiert fürs und überzeugt vom System des real existierenden Sozialismus. Sie sei stolz auf ihre DDR-Vergangenheit, denn sie sei viel selbstbewusster, toleranter und freier im Denken, weil Männer und Frauen dort auf Augenhöhe gewesen seien.

Ich bin in einem ähnlichen Alter wie die beiden; ihre Meinung zur DDR und deren Beitrag zur Gleichberechtigung der Frau sehe ich allerdings deutlich kritischer. Ich war 1989 gerade erst erwachsen, im Grunde kann ich mir kein ausgewogenes Urteil erlauben. Dennoch frage ich mich, ob man dermaßen zusammenhanglos die Rechte der Frau in der DDR begutachten kann. Ist es möglich, dass das Recht auf Arbeit hier mit dem Zwang verwechselt wird, durch ein zweites Einkommen überhaupt erst das Leben der Familie finanzieren zu können? Zudem gab es ein starkes Interesse von Seiten des Staates, Kinder sehr früh in eine kontrollierte und systemtreue Obhut zu bekommen – sozusagen ein sehr gewünschter Nebeneffekt der „Gleichberechtigung“.

Als nächstes schwelgen wir noch in positiven Erinnerungen darüber, dass Menschen in der DDR schon so früh heirateten, zügig Kinder bekamen und dann noch lange dem Arbeitsmarkt zur Verfügung standen. Dabei sollten wir dann aber auch nicht verschweigen, dass man überhaupt erst einen Antrag auf eine eigene Wohnung stellen durfte, wenn man verheiratet war. Und zwar noch 1989!

Es stößt mir unangenehm auf, wenn die Diktatur in der DDR so auf das vermeintlich Positive reduziert wird. Manche der „Errungenschaften“ dort hatten einen sehr hohen Preis.

Gleichberechtigung – geht alles gar nicht?

Als ich noch nicht wieder an Berufstätigkeit dachte …,
aber schon wieder Zeit zum Denken hatte.

Folgender Text war ein Kommentar zum Artikel „Geht alles gar nicht“ von Marc Brost und Heinrich Wefing in der ZEIT vom 30. Januar 2014.

Interessant und lobenswert finde ich Ihren Artikel zum Stress der heutigen Väter, die sich mit ihren Rollen als solche zurecht finden müssen in einer Welt, in der sie außerdem noch Ehemänner und Berufstätige sind. Und es ist in der Tat schön, wenn jemand den Stress einmal beim Namen nennt, den die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für alle Beteiligten erzeugt. Auch dass der aus meiner Sicht völlig überstrapazierte Begriff der Qualitäts-Zeit von seinem Heiligenschein befreit wird, gefällt mir.

Sie schreiben, wir wollten Gleichberechtigung; es sei gut, dass Frauen das gleiche Recht auf Karriere hätten. Haben sie doch. Nur geht das zulasten der Familie, wie Sie richtig bemerken. Aber – heißt Gleichberechtigung wirklich, dass wir alle die gleichen Aufgaben zu gleichen Teilen wahrnehmen? Und – geht das überhaupt, oder müssen wir an diesem Anspruch unweigerlich scheitern, weil wir eben nicht gleich veranlagt, gleich begabt, gleich interessiert sind? Also haben wir anstelle der Vereinbarkeit von Familie und Beruf deren Unvereinbarkeit und daraus folgend wohl die einzig logische und vielfach praktizierte Konsequenz – dass gerade hoch qualifizierte Frauen sich gegen Kinder entscheiden.

Zu dieser Kategorie gehöre ich wohl auch – habe ich doch zumindest einen Hochschulabschluss, danach noch eine Ausbildung, aber in beiden Berufen habe ich kaum gearbeitet, sondern spät – wie sollte es anders sein – mit Anfang 30 mein erstes Kind bekommen. Fünf sind es geworden, wofür ich dankbar sein kann, weil die Gesellschaft und die Frauen um mich herum nicht erwarten, dass ich das mit einem Job noch hinbekomme und ich mich somit kaum diesbezüglichem Druck ausgesetzt fühle. Mein Jüngster ist noch im Kindergarten, mein Zeitfenster noch sehr klein; aber seien wir ehrlich: Wie soll ich als Mutter von egal wie vielen (kleinen!) Kindern überhaupt einer Arbeit nachgehen, ohne sowohl bei der Arbeit als auch in der Familie nur noch halb anwesend zu sein? Von meiner Rolle als Ehefrau mal ganz abgesehen.

Es mag ja mit ein bis zwei Kindern noch eine gewisse Vereinbarkeit existieren, aber auch hier habe ich meine Zweifel. Jedenfalls kenne ich in meinem Umfeld kaum Familien, in denen es gut klappt, wenn beide Eltern arbeiten gehen. Das halbe Leben scheint mit dem Organisieren der Kinder angefüllt zu sein – von der von Ihnen beschriebenen spontan auftauchenden Grippe in der Tat mal ganz zu schweigen. Solange alles läuft, in Ordnung. Aber wie lange läuft denn alles normal, wenn Kinder zu sehr sich selbst überlassen bleiben, wenn beide Eltern Terminen hinterher rennen, wenn meine Aufmerksamkeit als Mutter immer eine geteilte sein muss, damit ich auf dem Arbeitsmarkt mithalten kann?

Wenn es finanziell nicht anders geht, kann man wohl froh sein, dass beide Partner Arbeit haben. Ist das Finanzielle keine Frage, muss man sich jedoch fragen lassen, was die Motivation ist, sich Stress ins Haus zu holen, obwohl das der einzige Ort ist, an dem man dem Stress, den unsere Kinder heutzutage spüren, entgegenwirken kann.

Einen wichtigen Aspekt finde ich nebenbei noch: Was ist mit den Frauen, die keine Karriere machen wollen? Sind die deswegen nicht gleichberechtigt? Sind die rückschrittlich, altmodisch, Auslaufmodelle, wie einer Freundin von mir schon bescheinigt wurde, weniger mit der Zeit gehend? Ist die Aufgabe, die eine Nur-Mutter wahrnimmt, eine gleichermaßen berechtigte Tätigkeit? Meiner Wahrnehmung nach nicht. Sie muss erledigt werden, sie wird im allgemeinen nicht vergütet, und sie hat einen deutlich geringeren ideellen Stellenwert.

Ist es wirklich so, dass bestimmte Karrierewege nur lückenlos beschritten werden können? Und – sind das dann auch meine Wege? Lebe ich im Morgen, wenn ich eine bestimmte Stufe endlich erreicht haben werde, oder lebe ich im Heute, in dem meine Kinder mich einige (wenige) Jahre intensiv brauchen? Ist das auch ein mich erfüllendes Leben? Ich persönlich bin sicher nicht diejenige, die ihre Selbstverwirklichung im Kochen und Putzen findet, trotzdem bin ich nicht berufstätig, sondern investiere meine Zeit in meinen Nachwuchs. Dabei zahle ich ebenso einen Preis wie Sie.

Ich empfinde es als Vollzeitjob, meinen Kindern die Prägung mitzugeben, die mir wichtig ist, ihnen in der Schule helfend zur Seite zu stehen, Ansprechpartner zu sein, wenn sie das denn wollen und brauchen – was nicht unbedingt immer in oben erwähnter Qualitäts-Zeit vorkommt (und überhaupt selten, wenn es MIR am besten passen würde).

Mein großer Vorteil ist: Ich erlebe die Freude meiner Kinder über gelernte Dinge, erreichte Ziele, teile ihre Enttäuschungen, muss die auftauchenden Konflikte aushalten – wie jede andere Mutter auch –, bin aber meist mit dem ganzen Ohr dabei.

Mein großer Nachteil: Ich kann eben nichts anderes machen. Ich erfahre keine außerhäusige Anerkennung, meine Rente steigert sich – wenn überhaupt – nur spärlich, meine Aussichten, an diesem Zustand jemals etwas zu verändern, sinken mit jedem Jahr weiter ab. Und wenn ich Pech habe, komme ich in der gesamten Diskussion über Gleichberechtigung überhaupt nicht vor!

Was ich später einmal machen werde beruflich? Keine Ahnung, noch nicht jedenfalls. Das ist das eigentliche Problem, finde ich. Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht schwerlich (oder gar nicht, wie Sie feststellen) mit kleinen Kindern. Mit größeren Kindern sieht die Sache sehr anders aus, nur bin ich dann als bisherige Nur-Mutter zu lange aus dem Job/dem Thema raus und werde entsprechend nicht mehr eingestellt. Dabei wäre ich mit selbständigerem Nachwuchs zuverlässiger bei der Arbeit, sicherlich hoch motiviert und mit ganzem Herzen dabei. Arbeitgeber zu unterstützen, älteren Frauen eine berufliche Chance zu bieten, das wäre doch vielleicht eine langfristige und schlaue Investition. Dass wir ohne Anerkennung dennoch treu unseren Job machen, wiederkehrende Routine-Arbeiten klaglos erledigen und in der Lage sind, die eigenen Bedürfnisse nicht immer zu wichtig zu nehmen, haben wir dann ja schon zur Genüge bewiesen.