Von Macht, Mut und Zahnschienen

Vor 15 Jahren bekam ich eine Zahnschiene gegen Rückenschmerzen und trug diese zunächst 23/7. Seitdem habe ich meine Rumpfmuskulatur gestärkt und keine weiteren Kinder mehr bekommen. Die Rückenschmerzen von damals sind Geschichte; aber die Schiene trage ich aus Gewohnheit noch immer – allerdings nur nachts. Dennoch amüsiert sich mein Mann in regelmäßigen Abständen darüber, wie beharrlich ich daran festhalte: aus seiner Sicht sinnfrei.

Ob die Schiene überhaupt noch einen Effekt habe, fragt er sich – und auf Nachfrage gelegentlich auch mich. Ich weiß es nicht; ohne Ausprobieren kann ich es gar nicht wissen! Was würde passieren, wenn ich die Zahnschiene von heute auf morgen Nacht wegließe? Vielleicht funktioniert mein Rücken ebenso weiter wie bisher. Oder eben auch nicht; niemand kann das vorhersagen. Steter Tropfen höhlt den Stein, und der leise Spott meiner besseren Hälfte erschüttert meinen Stoizismus. Noch gehorche ich der Macht der Gewohnheit, aber die Versuchung zum Mut zur Lücke wird stärker. Am liebsten wäre es mir, der Zahn der Zeit würde mir die Entscheidung abnehmen. Aber offenbar habe ich ein dentales Qualitätsprodukt erwischt!

Einfach mal die Klappe halten!

Ich habe die lästige Gewohnheit, manchmal die Sätze zu beenden, die mein Mann anfängt. Er hat die ärgerliche Gewohnheit, das überhaupt nicht lustig zu finden und mit meinen Satzenden nicht immer zufrieden zu sein: „Nein, das wollte ich nicht sagen.“ Mist.
Dabei muss ich mich fragen, wieso ich das überhaupt mache? Will ich ihm das Reden abnehmen? Wenn ich weiß, was er sagen wird: Warum ist es mir wichtiger, dass ich es tue, als dass er es tun darf? Denke ich, ich kann es besser? Es liegt nicht daran, dass er nicht gut reden oder sich nicht gut ausdrücken kann. Vielleicht ist er ein bisschen langsamer, als ich es wäre, formuliert anders, aber das ist eben sein Stil.

Ich muss zugeben, dass meine Motive weniger einer selbstlosen Hilfsbereitschaft entspringen als vielmehr dem sehr egoistischen Wunsch, mich selbst zu äußern. Ich will reden, ich will was sagen, ich will das Gespräch mit meinen Worten, meinen Formulierungen bereichern (füllen!). Abgesehen davon, dass es absolut unnötig ist, ist es noch dazu absolut unschön! Es ist „Ich, ich, ich will!“ anstelle von „Du darfst!“ Es ist rücksichtslos und überhaupt nicht wertschätzend. Und so will ich gar nicht sein.

Gewohnheiten kann man sich auch wieder abgewöhnen, ich weiß. Aktiv werden. Nicht reden, sondern schweigen – genauer gesagt: Einfach mal die Klappe halten!