Gerechte Sprache

In einer Zeitung lese ich von einer jungen Frau. Seit kurzem lebt sie mit ihrer neuen Freundin zusammen und erzählt davon, was der Corona-Lockdown für diese frische Partnerschaft bedeutet: „Wir verbringen 97 Prozent der Zeit miteinander und gehen uns nicht auf den Sack.“ (Damit könnten Säcke gemeint sein, die eine persönliche Grundstücksgrenze markieren. Allerdings ist das eine sehr ungesicherte Erklärung, die sich im Netz nur ein Mal findet.) Sicher ist: „Auf den Sack gehen“ beschreibt, dass mich etwas nervt. Der Wortlaut assoziiert jedoch eine Befindlichkeit, die in dieser Form nur Männer erleben können. Aus dem Mund einer Frau klingt die Bemerkung für mich trotzdem eindeutig. Redewendungen müssen nicht immer wörtlich völlig korrekt sein, um verstanden zu werden.

Auch im normalen Gespräch ist das, was wir sagen, nicht immer identisch mit dem, was wir meinen. Allerdings bemühen wir uns normalerweise, uns verständlich (und korrekt) auszudrücken. Um korrekten (und nicht gedankenlos diskriminierenden) Sprachgebrauch geht es auch denjenigen, die sich für eine geschlechter-gerechte Sprache einsetzen. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf lächle ich über dieses „auf den Sack gehen“ – benutzt von einer Frau, die mit ihrer Partnerin zusammenlebt.

Das Beispiel zeigt (mir jedenfalls): Wir können uns noch so sehr bemühen, unsere Sprache für oder gegen alles zu wappnen – manches davon läuft einfach ins Leere. Wie wir sprechen, wird nicht im Labor entschieden oder von vermeintlich besonders gerechten Menschen. Wir können und sollten an Sprache nicht beliebig herum-gendern, weil das gerade gut zu der speziellen Auffassung von Gleichberechtigung einiger(!) Menschen passt. Sprache (und wie wir etwas verstehen) entwickelt sich unaufhaltsam weiter – auch ohne krampfhaftes Bemühen um vermeintliche Korrektheit. Diese ist nicht der einzige Faktor in gelingender Kommunikation. Mindestens ebenso wichtig ist es, ob ich den anderen respektiere und verstehen will, ihm einfühlsam, nachsichtig und rücksichtsvoll begegne. Das widerspiegelt sich nicht notwendigerweise in der vermeintlich „richtigen“ Ausdrucksweise.

Wie ich Äußerungen empfinde, hängt nicht nur von demjenigen ab, der redet (oder schreibt), sondern auch von dem, der hört (oder liest). Es gibt genügend Beispiele in meinem eigenen Leben: Worte wie „nur Hausfrau und Mutter“, „überholtes Rollenverständnis“ und „abhängig vom Ehemann“ sind in meinem Fall korrekt. Sie werden oft leicht abfällig geäußert – ob sie mich diskriminieren oder kränken, entscheide aber immer noch ich allein.

Gerecht?

Beim Abendbrot fragt ein Sohn, ob er sich gleich anschließend Chicken Nuggets in den Ofen schieben kann. Er liebt alles, was nach Fleisch aussieht und ist dauer-hungrig. Da ich nur noch eine Packung habe, sage ich ja. Zwei Stunden später will eine meiner Töchter sich die letzte Packung Mini-Pizzen in den Ofen schieben. Diesmal sage ich nein.

Das ist nicht gerecht, ich weiß. Mein Mann hätte sich gleich bei der ersten Frage anders entschieden. Ich nicht, denn ich habe die Folgen nicht bis ins Letzte überrissen. Stattddessen habe ich mich aufs Glatteis begeben – und nasse Füße bekommen.

Eine meiner Töchter liebt Obst – Melone, Mango, Drachenfrucht. Meist isst sie auch am meisten davon; die Jungen sind nachmittags selten unten und bekommen nicht genauso viel ab.

Das ist nicht gerecht, ich weiß. Das Leben ist nicht gerecht – und trotzdem kann es sein, dass jeder auf seine Kosten kommt.