Geteilter Ärger

Im Garten beim Zurückschneiden und Häckseln; die Sonne scheint. Wir kommen gut voran, quatschen ein bisschen, scherzen und nähern uns dem Ende. Als vorletzten Busch für heute stutzt mein Mann eine Korkenzieher-Hasel – großzügig, denn wir hatten sie jahrelang wachsen lassen. Die verdrehten Äste lassen sich nicht gut häckseln und wir kommen gar nicht mehr gut voran. Mein jüngster Sohn und ich häckseln jetzt schweigend und ernst vor uns hin, dann hilft auch mein Mann.

Es ist eine mühselige Angelegenheit, immer mal wieder unterbrochen davon, dass der eine oder andere sich kurz abwendet: Ausdruck mühevoll unterdrückten Frusts. Zwischendurch würde ich am liebsten jemanden anschreien oder alles kurz und klein schlagen. Aber ich tue es nicht, denn niemand und nichts ist schuld an der Misere. Also beiße ich mich durch, genau wie Mann und Sohn.

Ich staune mal wieder, wie viel Ärger in mir steckt: in diesem Fall nur, weil eine Arbeit nicht geschmeidig vorangeht. Es ist gut, diesem Ärger keinen Raum und dadurch auch keine Macht über mich zu geben – und es fällt mir viel leichter, weil wir zu dritt hier stehen. Irgendwann sind wir fertig, denn auch unangenehme Tätigkeiten sind am Ende nur eine Frage von Zeit, Fleiß und Geduld.

Aufgeben oder dranbleiben

Ab und zu treffe ich einen Jäger, der in Wald und Feld für Ordnung sorgt: Wir sprechen jedesmal miteinander; und ich bekomme einen interessanten Einblick in etwas, wovon ich sonst keine Ahnung hätte. Ein Jäger jagt mit dem Gewehr, schießt Fotos zur Dokumentation, kontrolliert Fallen, … kümmert sich um die Ausbildung von Hunden anderer Jäger.

Jagdhunde müssen zum Beispiel das Apportieren üben – natürlich mit echten Tieren. Die Enten werden eigens dafür gezogen und dann an einem Gewässer ausgesetzt. Dort schießt der Jäger das Tier und versucht, den Hund dazu zu bringen, den toten Vogel zu apportieren. (Kann die Ente entkommen, hat sie Glück – wie bei der echten Jagd auch.) Die Anzahl der Übungsversuche ist begrenzt; dann muss der Hund zur Prüfung.

Heute Morgen wurde ich Zeugin einer solchen Übungsstunde. Die Ente war offenbar erschossen, der Hund im Wasser. Nur kam er nicht wieder heraus – geschweige denn mit Ente im Maul. Der Besitzer des Hundes war SEHR ärgerlich, seine Stimme wütend. Hektisch und gleichzeitig ohnmächtig ging er am Wasserrand auf und ab, winkte irgendwann ab und gab auf. Nicht so `mein´ Jäger: Gelassen und geduldig stand er da, rief den Hund mit klarer Stimme, lockte und ermutigte ihn und blieb dran – bis der Hund aus dem Wasser kam.

Kindererziehung funktioniert genauso, dachte ich. Ja, mancher Versuch geht schief; manche Erziehungsmaßnahme bringt nicht das erhoffte Ergebnis. Die Frage ist, wie man damit umgeht: Ich kann das Scheitern sehen und den Hund (oder das Kind) aufgeben. Oder ich sehe die Beziehung zum Hund (oder zum Kind) und bleibe dran – selbst wenn sich der Moment wie ein Misserfolg anfühlt.

Ein Schritt – ein Gang – ein Lauf? Geduld!

Nach zehn Tagen ohne Geh-Kompetenz aufgrund lädierter Ferse ging ich vorgestern das erste Mal wieder spazieren – und gestern gleich noch einmal. Es ging schon ganz gut; ich war guter Hoffnung, heute wieder laufen zu können. Heute aber spüre ich: Dafür ist es noch zu früh. Das macht der Fuß noch nicht wieder mit, er ist noch nicht wieder „wie neu“.

Nach erstem Gang folgt nicht erster Lauf, sondern zweiter, dritter, vierter … Gang: Trainingseinheiten für die Ferse – und für die Geduld. Spazierengehen ist auch schön.

Vogelnest

Beim Beschneiden der Büsche im Garten fanden wir ein verlassenes Vogelnest – und waren fasziniert. Wie stabil, wie kompakt, wie schön und gleichmäßig gebaut! Anfangen muss so ein Vogel mit einem ersten kleinen Ästchen, und er hat nur seinen Schnabel als „Werkzeug“. Wie viel Geduld und Ausdauer in solch einem Nest stecken müssen, wurde mir erst durch den aktuellen Anblick eines solchen klar. Das Endergebnis ist nicht nur schön, sondern auch genau das, was die kleinen Vogelkinder für den Start ins Leben brauchen.

Ich möchte an das Vogelnest denken, wenn mir eine Aufgabe Mühe macht; ich möchte mich mit Geduld und Freude auch an die alltäglichen Tätigkeiten wagen, die ich für unnötig und lästig halte. ALLE sind Teil davon, den mir anvertrauten Menschen ein Heim zu schaffen, von dem aus sie ins Leben ziehen – was könnte wichtiger sein!