Gut gebrüllt?

Ich mache mir Gedanken über etwas, was mich sehr beschäftigt, und schreibe diese auf. Das Ergebnis – meiner Meinung nach ausgewogen und lesenswert – schicke ich zu einem Freund. Dieser liest den Text brav und quittiert meine Bemühungen mit „gut gebrüllt, bin eigentlich mit allem einverstanden“. Damit holt er mich flugs auf den Boden der Tatsachen zurück – obwohl er das sicherlich nicht beabsichtigt. Sein `Kompliment´ ist für mich wie eine etwas unsanfte Erdung: Meine Gedanken sind gut, aber nicht neu; ich formuliere nicht ausgewogener als andere und überzeuge niemanden mit meinen klärenden Betrachtungen. Was mich Mühe und Zeit gekostet hat, ist weder besonders wichtig noch ändert sich dadurch der Lauf der Dinge – wahrscheinlich inspiriere ich nicht einmal meinen Freund.

Meine Gedanken sind nicht einzigartig, ich weiß das. Trotzdem werde ich weiter aufschreiben, was mich beschäftigt. Für mein Gemüt ist es wichtig, dass ich regelmäßig das Durcheinander in meinem Kopf sortiere – und das kann ich am besten schriftlich. MIR wird dadurch einiges klarer, ICH verändere mich – und erlebe mich den manchmal irritierenden Umständen gegenüber als weniger ohnmächtig. Das sollte mir reichen. Nächstes Mal behalte ich meine Gedanken für mich und spare mir mein `gutes Gebrüll´.

Abgeschickt

Meine Freundin bedankt sich für den Geburtstagsgruß von mir. Sie hat sich besonders über das Motiv der Karte gefreut – und über meine Worte. Leider kann ich mich weder an die Karte noch an den genauen Wortlaut erinnern. Zwar versuche ich immer, etwas Persönliches zu schreiben; aber länger als ein paar Tage speichert mein Kurzzeitgedächtnis diese Gedanken nicht ab: Anfang März haben einige Menschen Geburtstag, auch schreibe ich sehr regelmäßig andere („normale“) Briefe und rede täglich mit vergleichsweise vielen Personen …

Es ist mir ein bisschen unangenehm, dass ich meine eigenen Worte so schnell wieder vergesse. Dieses „Unwohlsein“ wird glücklicherweise überlagert von dem angenehmen Gefühl, jemandem eine Freude gemacht zu haben.

Ich könnte abfotografieren, was ich verschicke, bevor ich es verschicke. Dann würde ich den Überblick behalten – und wäre auf Dankesbriefe besser vorbereitet. Allerdings denke ich nicht daran, wenn ich etwas in einen Briefumschlag stecke: In dem Moment bin ich mit meinen Gedanken mehr bei dem anderen als bei mir …