Lasst sie in Ruhe (spielen)!

Die WM ist noch im Gange, für Deutschland aber schon vorbei. Wir sind verdient ausgeschieden – sportlich betrachtet. Das ist vielleicht schade, aber ein Ergebnis, das die Wirklichkeit gut widerspiegelt. Woran auch immer es lag: Die Spieler hatten ein anderes Ziel.

Einer meiner Söhne erkennt neidlos an, dass andere Mannschaften mit einem ergiebigeren Kader noch im Turnier sind. Dass aber derart über die deutschen Nationalspieler hergezogen wird, kann er weder nachvollziehen noch gutheißen. Ich habe deutlich weniger Ahnung vom Fußball; aber darin sind mein Sohn und ich uns einig: Hätten wir als Land, als Medien, als Fans, als DFB, als Staat … diese Fußballprofis nicht einfach machen lassen sollen, was sie am besten können? Sie sollten vor allem Fußball spielen – alles andere darf zweitrangig sein. Dem war aber leider nicht so:

Einige der Akteure trugen noch längst kein Nationaltrikot, als die Entscheidung für den Austragungsort getroffen wurde. Dennoch mussten diese jungen Menschen die Konsequenzen dieser unsäglichen Wahl tragen … und sich dabei politisch korrekt verhalten … und kluge Kommentare dazu parat haben … und mit einem teilweise überraschend zusammengewürfelten Kader klarkommen … und (bitteschön!) auf höchstem Niveau Fußball spielen … Als wäre das nicht schon viel zu viel verlangt, war allen Spielern eins klar: Ein frühes Ausscheiden würde im eigenen Land nicht Trost und Ermutigung nach sich ziehen, sondern Häme, und zwar nicht zu knapp und vor allem medial. Wer einem solchen Druck standhält, muss über schier grenzenlose Selbstbeherrschung verfügen – die meist auf Kosten der Spielfreude wächst. Nur den wenigsten deutschen Spielern konnte man dann auch während der WM ungetrübte Begeisterung abspüren für das SPIELEN.

Bei allen Veränderungen und Analysen, die jetzt gefordert sind, wäre ein Aspekt wohl am wichtigsten: Wie können wir den Spielern das Gefühl vermitteln, dass wir als Land, als Medien, als Fans, als DFB, als Staat … hinter ihnen stehen, wenn sie sich begeistert und engagiert dem Fußballspiel widmen – zunächst einmal unabhängig davon, was dabei herauskommt?

Unsportlich

Englands Fußballerinnen sind Europameister. Sie haben sicherlich gut gespielt, vielleicht sogar besser als die Deutschen – sonst hätten sie nicht gewonnen. Aber in den letzten Minuten der Verlängerung, beim Stand von 2:1, spielten sie derart auf Zeit, dass es mir beim Zuschauen peinlich war. Die letzten Aktionen nach dem 2:1 schmälern meiner Meinung nach den sicherlich verdienten Sieg. Ein derartiges Verhalten in einer solchen Situation mag Usus sein – das macht es allerdings überhaupt nicht besser. Zeitspiel ist meines Erachtens unsportlich, einfach unsportlich. Den Pokal für den Sieg können sich die Spielerinnen ins Regal stellen; einen für Fairness bis zum Schluss bekämen sie von mir nicht.

Erfolgversprechend?

Aus meiner Sicht ist es heutzutage nicht erfolgversprechend, Profi-Fußballtrainer einer Männer-Fußballmannschaft zu werden. Ich weiß nicht, wie es früher war, aber heute redet man über erfolgreiche Trainer nur kurz im Zusammenhang mit ihrem Erfolg. Häufiger stehen Trainer in der Zeitung, wenn sie den Verein wechseln. Bei den erfolgreichen Bundesliga-Vereinen in Deutschland mag das Gehalt für den Trainer ganz beträchtlich sein und der Ruhm nicht unerheblich. Und es lässt sich sicher auch der eine oder andere Erfolg verbuchen. Aber ist der Job deshalb erfolgversprechend?

Der Druck auf einem „erfolgreichen“ Trainer ist immens. Wenn man diesem nicht standhält, die Mannschaft „die Leistung nicht abrufen kann“ und man nicht zufällig bei Freiburg angestellt ist, werden die Karten schnell neu gemischt: Und schwupps ist man nur noch der ehemalige Trainer von Bayern, Hertha oder sonst irgendeinem Verein. Dann ist es nicht automatisch vorbei mit der Karriere, aber man muss bei einem anderen Verein von vorn anfangen mit dem Projekt „Erfolg“.

Stärker als in vielen anderen Berufen wird ein professioneller Fußballtrainer fast ausschließlich am Erfolg der eigenen Mannschaft gemessen. Diesem muss alles andere untergeordnet werden – Familienleben, der Wohnsitz, ein soziales Netz. Die Halbwertszeit des Jobs ist kurz, der Weg zum Erfolg mit viel Scheitern und Neu-Probieren verbunden, und noch dazu wird all das (wöchentlich) von fußballinteressierten Zeitungslesern beobachtet und bewertet. Erfolgversprechend sieht anders aus, oder?

Nicht meine Welt

Ich kann es nicht mehr hören – der Rekordmeister FC Bayern München. Dieser Tage schießt und gewinnt er sich schon wieder hin zum nächsten Meistertitel in der Bundesliga, möglichst auch noch zum Gewinn des sogenannten Triple aus DFB-Pokal, Champions League und Deutscher Meisterschaft. Es ist langweilig und nervig und für mehr als die halbe Fußball-Nation nicht erfreulich – und da kann man jetzt den Bremern gar keinen Vorwurf machen. Die haben schließlich alles getan, um Schlimmeres zu vermeiden. Aber die penetrante Dominanz der Bayern sorgt mal wieder dafür, dass wir mit langweiliger Konstanz immer denselben Verein als besten deutschen feiern – oder ertragen – müssen.

Im Grunde interessiere ich mich wenig für Fußball, es ist nicht meine Welt. Deutschland-Spiele lösen einen gewissen Nationalpatriotismus bei mir aus, aber in den einzelnen Ligen kenne mich nicht wirklich aus. Seit ich fußballspielende Söhne habe, die beide Fans des FCB sind, geht die Bundesliga nicht mehr ganz so spurlos an mir vorüber wie früher. Vor einigen Jahren tauchte ich daher ein in die Fußball-Realität und schlug ich mich auf die Seite von – natürlich – Borussia Dortmund. Dieses Jahr sah es anfangs ganz gut aus, dann aber passierten solche unangenehm eindrucksvollen Kantersiege wie 6:0 gegen Mainz oder 5:0 gegen Dortmund selbst. Meine Güte – geht’s noch? Macht das überhaupt noch Spaß, bei Bayern immer zu gewinnen? Weniger geht nicht, zweiter Platz ist nicht gut. Nicht ganz oben zu stehen – ein No-go! Ich weiß es nicht.

Man könnte sagen, dass die Bayern-Spieler selbst nichts dafür können. Sie sind einfach zu gut, überragend eben, sie haben Teamgeist, spielerische Klasse, den absoluten Siegeswillen und natürlich auch eine sehr motivierende Konkurrenz innerhalb des Vereins. Dieser hat genug Geld und eine unvergleichlich kraftvolle Prominenz in seiner Führungsetage. Wahrscheinlich stimmt eben alles, und deshalb gewinnen sie alles und immer wieder. Und natürlich wollen sie gewinnen – wer will das nicht?

Was ich aber wirklich überhaupt nicht verstehe, wirklich, ist: Warum wollen alle bei Bayern spielen??? Es ist doch nicht nur das ständige Siegen; es ist auch dieser immense Druck, der dort herrscht, und die Gefahr, schneller wieder auf der Bank zu landen, als es einem lieb ist. Geht es noch um das Spielen oder nur noch um den Sieg? Aber wahrscheinlich bin ich nicht genug Fußball-Fan, nicht genug auf Wettkampf ausgerichtet, nicht genug Fan ohnehin. Letztlich ist es mir egal. Spätestens wenn meine fußballspielenden Söhne nicht mehr zu Hause wohnen werden, wird mich die Lage in der Bundesliga-Tabelle kaum noch jucken – es ist eben nicht meine Welt.