Selten haltbar

Freundschaften sind einem Wandel unterworfen: Die wenigsten bleiben für ein ganzes Leben gleich intensiv. Ich schätze mich glücklich, ein, zwei, drei Freunde aus Schulzeiten zu haben: Diese Beziehungen kann nichts erschüttern, auch wenn man sich monate- oder manchmal einige Jahre lang nicht sieht. In den vergangenen Jahrzehnten fühlte ich mich einigen anderen Menschen auch sehr nahe – aber meist nur phasenweise.

Später im Leben geschlossene Freundschaften scheinen nur in Ausnahmefällen lange haltbar zu sein. Ohne mir ersichtlichen Grund trennen sich die Wege wieder: Die Kinder sind nicht kompatibel; in die vollen Terminkalender passen irgendwann nicht mehr genug Treffen; das, was anfangs bereichernd wirkte, wird mehr und mehr anstrengend; auch innerhalb desselben Wohnortes gilt manchmal `aus den Augen, aus dem Sinn´ – was auch immer. Freunde kommen und gehen. Wir haben Glück: Eine relativ junge Freundschaft (nur 20 Jahre alt) hält doch, auch wenn Ortswechsel persönliche Begegnungen erschweren. Sie hat schon ein paar unterschiedliche Lebensphasen überdauert. Die Beziehung verändert sich, ja, aber sie ist noch da.

Freunde

Eine Freundin lässt eine Bemerkung fallen, die mich verletzt. Ich fühle mich nicht gesehen und missverstanden. Wie gehe ich damit um?

Ich könnte mich innerlich über meine Freundin erheben und hinsichtlich ihrer Ignoranz nachsichtig sein. Denn: Sie hat keine Ahnung von meiner Alltagswirklichkeit. 

Ich könnte mich auch über sie ärgern und diesem Ärger in mir Raum geben. Denn: Sie macht sich offenbar nicht die Mühe, mich zu verstehen oder sich in mich hinein zu versetzen. 

Natürlich könnte ich auch versuchen, meine Freundin (und ihre Sicht) zu verstehen, und mit ihr im Gespräch bleiben, ohne auf sie herab zu schauen. Denn: Sie lebt – wie ich auch – in ihrer eigenen Blase und will mir nichts Böses. Sie sagt, was für sie schlüssig ist, ohne sich darüber Gedanken zu machen, ob das gleichermaßen auf mich zutrifft.

Variante eins und zwei sprechen mich spontan an – für diese Reaktionen muss ich mich nicht anstrengen. Variante drei fällt mir schwer: Sie erfordert einen Vorschussbonus an Verständnis meiner Freundin gegenüber. Auch wenn das genau das ist, was mir bei ihr gefehlt hat, kann ich mich dafür entscheiden. Denn diese Variante ist sicherlich die beste für unsere Freundschaft – und für meine Seele auch.

Eine Entwicklung

Ein guter Freund von mir wird heute 50. Wir kennen uns schon über 30 Jahre, und ich schrieb ihm – wie immer – einen Brief. Obwohl mir das Besondere eines runden Geburtstages nicht einleuchtet, wurde es dieses Jahr ein längerer Brief. Als ich fertig war, fiel mir ein, was ich zu schreiben vergaß:

Dass ich jedesmal an ihn denke, wenn ich Herbert Grönemeyer höre.
Dass ich dankbar bin, dass wir nie ein Paar, sondern immer nur gute Freunde waren – und heute noch sind.
Dass ich staune über seine Großzügigkeit.
Dass er jede Gesprächsrunde bereichert.
Dass ich seine Offenheit schätze und seine Bereitschaft, auch über Schwierigkeiten zu reden.
Dass seine Treue und Initiative unsere Freundschaft erhalten.
Dass sein positiver und zufriedener Blick aufs Leben mich beeindruckt.

Zwischen uns liegen 250 Kilometer, zwischen unserem Miteinander damals und heute über drei Jahrzehnte. Beides verträgt unsere Freundschaft sehr gut.