Einfach nur freundlich

Manche Frauen lassen sich ungern die Tür aufhalten – sie sind unabhängig und selbstständig in der Lage, allein die Tür zu öffnen. Dabei geht es bei Umgangsformen weniger darum, wer etwas nicht selbst tun kann, als um ein höfliches und geschmeidiges Miteinander. Ich habe nichts dagegen, wenn ein Mann mir die Tür öffnet, selbst wenn ich es selbst machen könnte. Manchmal tue ich es ja auch für andere: ältere Leute, Mütter mit Kinderwagen oder Menschen, die die Hände voll haben. Sie könnten die Tür genauso gut selbst öffnen, aber vielleicht freuen sie sich darüber, wenn sie es diesmal nicht müssen. Indem ich helfe, zweifle ich nicht daran, dass der andere allein und unabhängig von mir klarkommt: Ich bin einfach nur freundlich – genau wie Tür öffnende Männer.

Freundlich

Wir wecken die Kinder während des Home Schoolings. Es dauert unterschiedlich lange, bis sie tatsächlich aufgestanden sind – je nachdem, wer das Wecken übernimmt.

Ich bin freundlich: Trotz mehrmaligen Weckens und eines ernst gemeinten Tonfalls meinerseits dauert es manchmal fast eine Stunde, bis alle nicht nur wach, sondern wirklich aufgestanden sind.

Mein Mann ist auch freundlich, aber anders: Bei ihm sitzen die Kinder nach spätestens einer halben Stunde am Schreibtisch. „Wie hat Papa das geschafft?“, frage ich. Die Kinder schauen mich verwundert an: „Er hat einfach gesagt, wir sollen jetzt sofort aufstehen – aber du weißt schon, seine Stimme hatte diesen ernsten Unterton.“

Häh? Ich bin irritiert. „Du bist einfach zu nett, Mama“, bemerkt tröstend der Jüngste. Ich weiß nicht, ob mich das ermutigt oder frustriert.

Schon wieder Corona

Eine Frau begegnet uns oft morgens auf dem Weg in die Stadt oder zur Schule. Sie radelt immer um dieselbe Zeit vom Bahnhof zu ihrer Arbeitsstelle bei uns im Stadtteil. Vor allem im Winter fällt ihre sehr leuchtstarke Fahrradlampe auf – daher heißt sie bei uns der „Scheinwerfer“. Nach Jahren fast täglicher Begegnung kennen wir uns vom Sehen und grüßen uns freundlich. Aus einem Gespräch – irgendwann – wissen wir, dass sie täglich von Hannover nach Celle pendelt.

Gestern trafen wir sie, als sie nach Feierabend zum Bahnhof radelte. Wir grüßten – wie immer – und sprachen sie an – ausnahmsweise: „Wo haben Sie das denn ergattert?“ In ihrem Fahrradkorb steckte DIE Corona-bedingte Mangelware schlechthin – eine XXL-Packung Toilettenpapier. Zugleich dachte ich: Diese Frage passt nicht zu diesem Land und in diese Zeit. Hier und heute gibt es normalerweise immer alles; die leeren Regale, das Hamstern, die Frage nach dem „Woher?“ – all das kenne ich von früher aus dem „Osten“. Unser „normal“ hat sich verändert, es ging ganz schnell; der Anlass ist mit bloßem Auge nicht zu sehen, die Auswirkungen sind unüberschaubar.

PS: Heute Morgen kurz vor acht klingelte es bei uns. Der „Scheinwerfer“ stand vor der Tür, in der Hand eine XXL-Packung Toilettenpapier: „Hier kommt die Notfallversorgung, limited edition“, sagte unsere alte Bekannte und flitzte zurück zu ihrem Fahrrad. Diese spontane, großzügige Freundlichkeit, dieses „für den anderen mitdenken“, das ist eine der erstaunlichen und nicht vorhersehbaren Auswirkungen des kleinen Corona-Virus. Es hat eben fast alles zwei Seiten – wie wunderbar!