Keine Chance? Früher anfangen!

„Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der Herr Zebaoth.“
Sacharja 4, 6

Sein Sohn fordere Taschengeld ein, halte sich nicht an Absprachen und tue Dinge einfach nicht, erzählt mir ein flüchtiger Bekannter, den ich beim Spazierengehen treffe. Schuld sind aus seiner Sicht die Umstände: Schon die Kleinsten wüssten heutzutage, welche Rechte sie hätten, sagt er: „Was kannst du als Eltern noch erziehen? Die Kinder lassen sich doch von uns schon im Kindergartenalter nichts mehr sagen!“ Er klingt resigniert. So habe ich das nicht erlebt, aber unsere Kinder waren auch immer nur ein paar Stunden fremdbetreut. Die letzte Autorität damals waren wir: Wir haben geprägt, erzählt, diskutiert, Werte vermittelt, Grenzen gesetzt, Konsequenzen folgen lassen … was man so macht eben.

All das war wichtig, denn ein paar Jahre später ist es anders. Bei Teenagern können wir als Eltern tatsächlich weniger ausrichten; sie wollen und müssen sich abgrenzen (dürfen). In der Pubertät prallen unsere Argumente ab, treffen unsere gut(gemeint)en Ratschläge auf taube Ohren, wirken unsere Prinzipien nicht überzeugend, sind unsere Interessen nicht ansteckend, pellen die geliebten `Kleinen´ sich ein Ei auf unsere Bedenken … In dieser Lebensphase müssen sie ihren eigenen Stil finden, ihre eigenen Erfahrungen machen, ihre eigenen Grenzen kennenlernen (und überschreiten), auf ihre eigene Nase fallen – und ihre eigenen Erfolge feiern. Wir können sie liebhaben, nachfragen (in Maßen), ermutigen und für sie beten. Wie sie dann ihr Leben gestalten, liegt nicht in unserer Hand: Gott sei Dank!

Erziehung

„Das ist Erziehung“, sagt die junge Frau, als ich mich darüber freue, dass ihr junger Hund mich nicht ankläfft. „Naja, ein bisschen ist es auch die Persönlichkeit, oder?“, gebe ich zu bedenken. Schließlich ist der Kerl erst 16 Wochen alt. „Nein, das ist Erziehung.“ Sie ist vielleicht Anfang 20 und klingt sehr überzeugend: „Er kann bellen, aber wann er es darf und tut, das ist Erziehung.“ Hut ab, denke ich; schön, wenn das mit Hunden so einfach ist!

An meinen fünf Kindern erlebe ich nämlich, wie beschränkt der Einfluss von Erziehung ist. Ihr gegenüber stehen manchmal ganz viel Charakter und genetisches Erbe: Sind die Kinder intro- oder eher extrovertiert? Können und wollen sie reden über ihre Gefühle – und wenn ja: mit uns? Außerdem kollidieren unsere Regeln bisweilen erheblich mit ihrem Bedürfnis, sich frei entfalten zu können. Und nicht immer finden wir ein gutes Maß zwischen Ermutigen und Ermahnen. Dazu werden die Kinder ja auch noch älter und lassen sich zunehmend prägen von Freunden, die sie sich vollkommen selbstständig auswählen … Auf all unsere erzieherischen Bemühungen haben unsere fünf dann eben auch entsprechend unterschiedlich reagiert: Zwar kommen sie aus einem Stall, meistern das Leben aber jeder auf seine Art – eben ihrer Persönlichkeit entsprechend. Um im Bild zu bleiben, bellt der eine nie und ist die andere manchmal nur schwer zu bändigen.

Was mit dem einen Kind funktioniert, muss ich bei dem anderen gar nicht erst probieren. So schlau bin ich inzwischen – und schüttele alternative Erziehungsstile dennoch nicht aus dem Ärmel. Mit einem Hund wäre alles leichter gewesen, schätze ich. Aber ich hab` viel lieber eine Handvoll Kinder zu Hause und gehe dafür allein im Wald spazieren.

Aufgeben oder dranbleiben

Ab und zu treffe ich einen Jäger, der in Wald und Feld für Ordnung sorgt: Wir sprechen jedesmal miteinander; und ich bekomme einen interessanten Einblick in etwas, wovon ich sonst keine Ahnung hätte. Ein Jäger jagt mit dem Gewehr, schießt Fotos zur Dokumentation, kontrolliert Fallen, … kümmert sich um die Ausbildung von Hunden anderer Jäger.

Jagdhunde müssen zum Beispiel das Apportieren üben – natürlich mit echten Tieren. Die Enten werden eigens dafür gezogen und dann an einem Gewässer ausgesetzt. Dort schießt der Jäger das Tier und versucht, den Hund dazu zu bringen, den toten Vogel zu apportieren. (Kann die Ente entkommen, hat sie Glück – wie bei der echten Jagd auch.) Die Anzahl der Übungsversuche ist begrenzt; dann muss der Hund zur Prüfung.

Heute Morgen wurde ich Zeugin einer solchen Übungsstunde. Die Ente war offenbar erschossen, der Hund im Wasser. Nur kam er nicht wieder heraus – geschweige denn mit Ente im Maul. Der Besitzer des Hundes war SEHR ärgerlich, seine Stimme wütend. Hektisch und gleichzeitig ohnmächtig ging er am Wasserrand auf und ab, winkte irgendwann ab und gab auf. Nicht so `mein´ Jäger: Gelassen und geduldig stand er da, rief den Hund mit klarer Stimme, lockte und ermutigte ihn und blieb dran – bis der Hund aus dem Wasser kam.

Kindererziehung funktioniert genauso, dachte ich. Ja, mancher Versuch geht schief; manche Erziehungsmaßnahme bringt nicht das erhoffte Ergebnis. Die Frage ist, wie man damit umgeht: Ich kann das Scheitern sehen und den Hund (oder das Kind) aufgeben. Oder ich sehe die Beziehung zum Hund (oder zum Kind) und bleibe dran – selbst wenn sich der Moment wie ein Misserfolg anfühlt.

Erziehung?

Ich treffe viele Hundebesitzer. Fast alle erziehen ihre Hund in irgendeiner Weise – die mehr oder weniger eindeutig reagieren. Bei einer Frau und ihrem Hund ist das anders. Ich begegne beiden oft und habe noch NIE erlebt, dass die Frau ihren Hund in irgendeiner Weise erzieht: Normalerweise läuft er frei herum, begegnet Menschen und Tieren freundlich ignorant – und genießt das Hund-Sein. Momentan herrscht Leinenzwang. Daher wirkt der Hund heute entsprechend `frustriert´, dass er nicht wie gewohnt frei laufen darf. Für seine Besitzerin dagegen ist der Leinenzwang entspannend: „So kann ich einfach vor mich hin trotten; sonst bin ich ja doch immer aufmerksam, wo er ist und was er macht.“

So ist das also, denke ich: Obwohl diese Frau sich sehr, sehr sicher sein kann, dass ihr Hund keinen Quatsch macht, ist sie immer BEREIT, ihn zu erziehen. Der Hund scheint das zu wissen und reagiert eindeutig: Er begegnet Menschen und Tieren freundlich ignorant – und genießt das Hund-Sein. 

Erziehung, die wehtut

Manchmal entscheide ich etwas für eins meiner Kinder, was sich weder für das Kind noch für mich gut anfühlt. Da fahre ich es trotz des Regens (oder der Eiseskälte) nicht zum Musikunterricht. Ich verbanne es vom Essen, weil es sich – wieder – nicht an abgemachte Tischregeln hält. Ich begrenze die Aufnahme von Süßigkeiten ebenso wie den Konsum digitaler Medien. (Ein besonders schwieriges Feld, denn: „Mama, das kannst du nicht verstehen, du bist anders aufgewachsen.“)

Manchmal geht es mir um Respekt, manchmal darum, Konsequenzen des Lebens beim Kind zu lassen und nicht selbst zu tragen. Obwohl ich Regeln vorgebe, ist mein Ziel ein selbständiges und lebenstüchtiges Kind. Oft wird mir dann – vom Kind – Härte vorgeworfen, logisch. Wenn ich dem Vorwurf hinterher spüre, ist Wahrheit drin: Ich reagiere bisweilen unnachgiebig – hart. Es fällt mir nicht immer leicht, ich handle nicht im Affekt, es ist keine Wut im Spiel. Meine erzieherische Maßnahme ist in den meisten Fällen gut überlegt, bedacht und mir manchmal wirklich abgerungen.

Ich will mein Kind nicht ärgern, obwohl es sich so anfühlt. Ich will ihm helfen, in einem Leben in Gemeinschaft zurecht zu kommen. Irgendwann wird es mich verstehen. Vielleicht.

Gebrauchsanweisung für Teenager-Eltern

Ich will ein Handbuch! (Es muss aber gut geschrieben sein.)

Als ich mit meinem ersten Kind schwanger war, erschien mir die größte Schwierigkeit in der Erziehung, wie ich dem neuen Menschlein das Sprechen beibringen würde. Ehrlich, darüber habe ich mir wirklich Sorgen gemacht – auch wenn befragte Schon-Eltern behaupteten, das ginge mehr oder weniger von allein. So war es dann auch. Sprechen und viele andere Dinge haben unsere Kinder von uns quasi im Vorbeigehen gelernt, meist erforderten sie keine besonderen Kompetenzen unsererseits abgesehen von Zeit, Geduld und Gemeinschaft. Die Krone: „Ich kann da allein mit dem Rad hinfahren, kannst du mir ruhig zutrauen.“

„Zutrauen“ ist dann irgendwann umgeschlagen in „zumuten“ – und ich als Mutter bin überrascht. Die Teenager in unserer Familie wollen noch immer dürfen – aber müssen, das wollen sie nicht. Und das schwierigste für mich ist nicht, was ich ihnen beibringen möchte, sondern auszuhalten, dass ich mich dabei unbeliebt mache.

Natürlich werden wir Eltern verglichen, und offenbar sind die anderen immer lustiger, cooler, großzügiger und vor allem entspannter. Ich würde gern auch so gesehen werden – vor allem entspannt; aber aus Sicht unserer Kinder bin ich im Verteilen der Rechte zu unentspannt (Ausgeh- und Medienzeiten) und im Verteilen von Pflichten zu großzügig („Muss ich da selbst mit dem Rad hinfahren????“).

Und dann muss man auch noch immerzu nachjustieren in der Erziehung. Was heute funktioniert, geht in einem halben Jahr nicht mehr – weil die Kinder älter und selbständiger geworden sind. Was bei dem einen zieht, lässt den anderen kalt – weil sie unterschiedliche Persönlichkeiten haben. Beim Erstgeborenen probiert man allein rum, bei den jüngeren Geschwistern reden die älteren gern mal ein Wörtchen mit.

Erziehung ist ein Lernfeld, das kein Ende zu nehmen scheint, in dem Erfahrungswerte eine kurze Halbwertszeit haben, für das es keine pauschalen Antworten gibt und auf das einen niemand wirklich vorbereitet. Am Ende sind wir sehr auf Intuition angewiesen und müssen vor allem mit einem rechnen – Fehler zu machen.