Nicht nur irgendein Feiertag

Passend zum gestrigen Tag der Deutschen Einheit finde ich in der ARD-Mediathek `Ballon´: einen Film über die Flucht zweier Familien aus der DDR in einem Heißluftballon. Eine ehemalige Kollegin meines Mannes flüchtete mit Eltern und Geschwistern in den Kofferräumen dreier Autos. Ich selbst kenne Menschen, die lange vor dem Mauerfall ausreisen durften, nachdem sie jahrelang auf die Genehmigung gewartet hatten. Viele aus meinem damaligen Bekanntenkreis verließen die DDR im Sommer 1989 – über die Prager Botschaft oder Ungarn. Die meisten schafften es in den Westen, aber da war der Osten eh schon am Ende.

Die Flucht aus der DDR in die Bundesrepublik ist nicht zu vergleichen mit dem, was Menschen aus Krisen- oder Kriegsgebieten heute auf sich nehmen, um nach Europa zu kommen. Aber auch diejenigen, die zwischen 1961 und 1989 die DDR verlassen wollten, waren bereit, ALLES hinter sich zu lassen: Besitz, Freunde, Arbeitsstelle, Verwandte …, Heimat. Eine eventuelle Rückkehr war nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen; das Wiedersehen alter Freunde sehr unwahrscheinlich oder zumindest in weite Ferne gerückt.

Viele meiner Freunde und Bekannten hier und heute sind entweder zu jung für die Erinnerung an den Mauerfall oder einfach nicht betroffen. An ihnen ist der Osten heute nicht näher dran als vor 35 Jahren. Das ist nicht gut oder schlecht, es ist einfach so; mir geht es mit dem Saarland ganz genauso – und mit Thüringen. Ich bin die Letzte, die noch unterscheiden möchte zwischen Osten und Westen, kann aber diesen Teil unserer Geschichte nicht vergessen. In meinem Herzen bin und bleibe ich `Eine von drüben´. Die ehemaligen Wachtürme an der A2 erinnern mich die Grenze, die ich 19 Jahre lang nicht passieren durfte. Der Film `Ballon´ erzählt nicht nur eine wahre Begebenheit, sondern hat etwas mit meiner Geschichte zu tun. Ich kann ihn nicht schauen, ohne zu weinen und sehr dankbar zu sein: dass die Zeit des geteilten Deutschlands vorbei ist. 

Feiertag

Dieses Jahr spüren nicht viele, dass heute ein Feiertag ist – samstags haben die meisten ohnehin frei. Außerdem merkt man in unserer niedersächsischen Kleinstadt kaum, was und warum wir feiern: Hier scheint es egal zu sein, dass Deutschland seit 30 Jahren kein geteiltes Land mehr ist.

Für unsere Familie stimmt das nicht. Denn unsere Ehe wurde erst durch den Mauerfall möglich: Ich bin von „drüben“ und war dabei, als die Grenzen geöffnet wurden. Vor dem 9. November erlebte ich den Frust und die Demonstrationen, danach die Euphorie und den Beginn einer neuen gesamtdeutschen Realität.

All das kann ich unseren Kindern erzählen und dazu meine persönlichen Ost-Erfahrungen. Trotzdem bleibt der Mauerfall für sie ein geschichtliches Ereignis und die deutsche Einheit eine schlichte Tatsache: Sie staunen nicht darüber und bleiben emotional unberührt. Auch ihnen scheint es egal zu sein, dass Deutschland seit 30 Jahren kein geteiltes Land mehr ist.

Vielleicht ist das immer so mit der Vergangenheit, die wir nur vom Hörensagen kennen. Umso wichtiger ist die regelmäßige Erinnerung. Ein Feiertag ist eine gute Möglichkeit. Allerdings sollten wir ihn nicht gedankenlos verstreichen lassen, sondern daran denken, warum es ihn gibt: Deutschland ist seit 30 Jahren kein geteiltes Land mehr.