Mein Zimmer – mein Leben

Das Zimmer meiner Tochter ist selten aufgeräumt – und wenn doch, dann hält dieser Zustand immer nur wenige Tage. Normalerweise herrscht in ihrem Reich Unordnung: Saubere Wäsche stapelt sich auf dem Tisch. Bereits getragene Klamotten, die halb ausgepackte Sporttasche, große und kleine Zettel liegen auf dem Boden herum, benutztes Geschirr … Offene Schubladen ergänzen den Eindruck, als wäre hier kürzlich jemand überstürzt aufgebrochen (oder so). Es stimmt, meine Tochter bricht tatsächlich häufig überstürzt auf – allerdings nicht, weil sie permanent in Eile wäre. Zwar reicht die Fülle ihrer Tage locker für zwei Leben, aber es existieren auch Phasen des Stillstands: Weil meine Tochter meist bis kurz vor knapp die Ruhe weg hat, kann sie selten ebenso ruhig aus dem Haus gehen. Entsprechend chaotisch und unsortiert hinterlässt sie ihr Zimmer – kommt aber hervorragend damit zurecht: „Mein Zimmer ist wie mein Leben“, sagt sie. Nur ab und zu scheint es ihr selbst zu viel zu werden. Dann weicht sie aus ins gut sortierte Zimmer ihrer Schwester oder kommt zu uns nach unten …

Chaos-Zeit

Ich bin ein ordentlicher Mensch, nur mein eigenes Zimmerchen auf dem Dachboden unterliegt diesbezüglich Schwankungen. Unaufhaltsam wie eine zunehmende Welle verändert sich der Raum von aufgeräumt und überschaubar zu unübersichtlich und nicht sortiert. Das hat Gründe: Hier ist einfach zu wenig Platz, und nicht alles lässt sich sofort sortiert ablegen. Außerdem stört die Unordnung hier oben nicht die alltäglichen Abläufe unten – für dieses Luxus-Aufräumen fehlt mir meist die Energie. Wird die Chaos-Welle zu hoch, breche ich sie – spontan und auch für mich selbst überraschend. Als gäbe es einen nicht greifbaren Scheitelpunkt, an dem ich die Unordnung einfach nicht mehr aushalte. Das kann jederzeit passieren – nur nicht zwischen Ende November und Ende Dezember. In dieser Zeit ähnelt die Welle einem Tsunami: Ich kann sie nicht brechen, sondern muss mit ihr schwimmen. Dann kümmere ich mich um Adventskalender, Weihnachtsgeschenke und die Weihnachtspost. Normalerweise schaffe ich alles rechtzeitig, aber ordentlich bin ich dabei nicht.