Momentaufnahme

Viele der Briefe, die mir etwas bedeuten, hebe ich auf. Es fällt mir schwer, etwas wegzuwerfen, womit sich jemand anderes solche Mühe gegeben hat. Dabei lese ich sie nur sehr selten noch einmal und werde dann nicht mehr gleichermaßen berührt von ihrem Inhalt. Wahrscheinlich lassen sich die Momente nicht nacherleben, für die die Briefe geschrieben waren: Persönliche Worte sprechen oft genau hinein in eine bestimmte Lebenssituation – und passen nur zu dieser. Im Augenblick entfalten sie eine besondere Kraft, die im Nachhinein kaum noch zu spüren ist.

Von daher müsste ich Briefe nicht aufheben; sie haben ihre Aufgabe erfüllt, mehr kann ich von ihnen nicht erwarten. Ich tue es trotzdem – zumindest bis zu meinem nächsten Umzug :-).

Die Wiederbelebung des Briefes

Seit Corona erschallt laut und oft der Ruf nach mehr digitaler Entwicklung – als wäre dies die Lösung für alles. Dabei ist Digitalisierung zwar sicher hilfreich, aber eben kein 100-prozentiger Ersatz für analogen Kontakt: Weder Lehre in Schule oder an der Uni noch das Arbeiten zu Hause funktionieren digital genauso gut wie die tatsächliche Anwesenheit im Unterricht oder im Büro. Das liegt nicht nur an fehlenden Gerätschaften, schwachem Internet, den Kosten oder dem eventuell nicht vorhandenen Know-how: Das Miteinander über Bildschirme hat Grenzen – im Privatleben und ebenso in Schule oder Beruf. Menschen fühlen sich allein, auch wenn sie über ein Handy verfügen und auf diverse Social Media-Dienste zurückgreifen können. Daher initiieren einige Ehrenamtliche in unserer Stadt derzeit Brieffreundschaften. Wer will, darf mitmachen und Patienten im Krankenhaus oder auch allein lebenden Menschen Briefe schreiben.

Ich finde das großartig und hoffe, es wird nicht nur ein kurzes Aufflackern: Corona kann verschwinden, der Brief darf bleiben!

Briefe – nicht abgeschickt

Manchmal schicke ich Briefe nicht ab. Wenn ich nicht ganz zufrieden bin mit ihnen oder unsicher, ob sie losgeschickt werden können. Was mache ich mit ihnen? Ich werfe sie nicht weg, ich verstaue sie irgendwo. Bisweilen finde ich einen Brief wieder und lese ihn noch einmal. Meist geht es mir dann immer noch so: Ich bin nicht ganz zufrieden oder unsicher, ob er so losgeschickt werden sollte. Noch immer kann ich den Brief schlecht wegwerfen. Warum?

Die nicht abgeschickten Briefe sind meist solche, in die sehr ehrliche Gedanken geflossen ist. Oft sind sie mir nicht leicht gefallen – und meist finde ich sie sprachlich sehr gelungen. Wenn ich sie wieder lese, ist es so, als würde ich mit mir selbst kommunizieren. Also hebe ich sie weiter auf.

Heute habe ich einen wiedergefunden, den ich fast gänzlich vergessen hatte. Ich habe ihn gelesen und zögere. Die Frage, für wen ich ihn aufhebe, kann ich nicht beantworten. Ich werde ihn wahrscheinlich trotzdem nicht wegwerfen. Komisch.

PS: Ich bin kein Messie …