Vom Auftakeln, begrenzt

Ich sehe nicht mehr aus wie 25 oder 35, denn ich bin schon 54. Mit meinem Erscheinungsbild (draußen vor der Tür) gebe ich mir nicht wesentlich mehr Mühe als früher – aber ein bisschen doch: `Wer abtakelt, muss auftakeln´, denke ich jedes Mal, wenn ich:

Gelegenheiten nutze, mich schick zu machen,
auf ausreichend Schlaf achte,
aus der Form geratene Augenbrauen vorsichtig zupfend zurechtstutze,
meine Garderobe altersgerechter auswähle
usw. usf.

Meine Bemühungen sind offenbar nur teilweise erfolgreich: Im Gottesdienst setze ich mich neben eine Freundin. „Du siehst gut aus!“, sagt sie und ich freue mich. Mein Blick fällt auf V., eine Frau Anfang 70 zwei Reihen hinter uns. Man sieht ihr das Alter nicht an, denn sie ist immer dezent geschminkt und äußerst geschmackvoll gekleidet: jung und sportiv, ohne auf jung getrimmt zu wirken. „Ich würde V. gern Konkurrenz machen“, antworte ich – für mich ungewohnt schlagfertig. „Das schaffst du nicht“, kommt es ebenso spontan zurück. Nur einen Moment lang bin ich verwirrt und fühle mich wie ein Ballon, dem die Luft abgelassen wird. Dann ist es wieder gut; ich verspüre weder Enttäuschung noch Neid. Meine Freundin hat recht: V. wird diesbezüglich, ohne es darauf anzulegen, immer in einer anderen Liga spielen. Mein Wunsch und meine Fähigkeit, aufzutakeln, sind begrenzt …

Begrenzt

Je länger du dich mit etwas beschäftigst, desto besser wirst du – zumindest geht es meinem Sohn so in seinem Mathe-Kurs an der Uni. Ich bin dankbar, dass er diese Erfahrung macht: Es kostet Kraft, Überwindung und Ausdauer, sich immer wieder einem schwierigen Thema zu widmen. Leichter wäre es, sich von Misserfolgen aus der Bahn werfen zu lassen – und aufzugeben. Aber so läuft es eben nicht im Leben, so kommt man nicht weiter. Nur wenn du deine Komfortzone verlässt, entwickelst du dich weiter. Begrenzt du dich auf das, was du schon beherrschst, bleibst du – begrenzt.