Wie ich auftrete, muss nichts zu tun haben damit, wer ich tatsächlich bin – aber alles damit, wer ich gern wäre. Ich zeige mein wahres Ich oder nicht – je nachdem, wie ich wahrgenommen werden möchte. Dabei kann ich total ehrlich sein oder in allem so tun als ob – es liegt in meiner Hand. Sicher ist: Einige werden mich mögen (oder das, was ich ihnen von mir offenbare), andere nicht. Es ist unmöglich oder mindestens furchtbar schwierig, alle von mir zu begeistern. Leichter (und tendenziell attraktiv) ist es, einfach ich selbst zu sein – nämlich authentisch.
Ein alter Brief
Meine Mutter schickt mir einen 22 Jahre alten Brief von mir. Damals lebte ich anders als heute, aber es waren mir dieselben Dinge wichtig – oder einen Brief wert: Ich berichte nicht nur von einer stressigen Situation, sondern auch, wie ich diese empfand und darauf reagierte. „Ich war die ganze Zeit ganz ruhig; ich wusste, ich kann das schaffen – das tat richtig gut“, lese ich. Es geht mir heute noch genauso: Wenn es brennt, werde ich ruhig und tue etwas.
Natürlich ist dieser eine Brief nur eine Momentaufnahme; dennoch bestätigt er, was ich schon länger denke: Wir bleiben uns selbst treu – so sehr die Jahre, das Leben und unsere Beziehungen uns auch prägen, zurecht schleifen und verändern. Im Kern bleiben wir, wer wir sind. Wahrscheinlich tritt unser wahres ICH mit den Jahren sogar deutlicher hervor. Scheinheiligkeit und Oberflächliches verschwinden – jedenfalls hoffe ich das. Je älter wir werden, umso bedeutungsvoller werden zwei Dinge: Wir wollen authentisch leben und uns auf das Wichtige konzentrieren.
Apropos „ungeschminkt“
Ich besitze kaum Schminke, und das, was ich habe, benutze ich selten. Dass ich „ungeschminkt“ aus dem Haus gehe, ist trotzdem keine Selbstverständlichkeit. „Ungeschminkt“ heißt für mich authentisch – und das kann für den einen mit mehr, für den anderen mit weniger Make-up verbunden sein. Verstecken kann ich mich nicht nur hinter einer Maske aus Kajal und Concealer, sondern mindestens ebenso gut hinter einem aufgesetzten Lächeln, hinter der Antwort „Gut!“ auf die Frage, wie es mir geht, oder dem Satz „Ist ja interessant“, wenn ich „Oje, wie langweilig!“ meine. Ich mag Menschen, bei denen ich weiß, woran ich bin und möchte selbst so einer sein.
Ich meine nicht die Ehrlichkeit, die einem fast schon peinlich ist, diese öffentliche Zurschaustellung jeglicher Intimitäten – wem auch immer gegenüber. Diese hat mit Authentizität wenig gemein. Authentisch zu sein bedeutet für mich, ehrlich die eigenen Stärken UND Schwächen zu benennen und meiner selbst sicher zu sein, weil ich vertraue, dass ich geliebt und angenommen bin – auch wenn ich noch eine Menge lernen kann (oder sollte). Dazu gehören unter anderem der Mut, sich zu entschuldigen; die Größe, andere Meinungen stehen zu lassen; die Bereitschaft, Grenzen (eigene und fremde) anzuerkennen, und ein demütiger und großzügiger Einsatz der mir geschenkten Gaben. In all diesen Bereichen gibt es bei mir noch Luft nach oben!