Unveränderlich

„In jedes Menschen Charakter sitzt etwas, das sich nicht brechen lässt – das Knochengebäude des Charakters; und dieses ändern wollen heißt immer, ein Schaf das Apportieren lehren.“
Georg Christoph Lichtenberg

Wie recht hat er, denke ich, wenn ich Menschen beobachte und auch mich selbst: Über lange Zeiträume hinweg verändern wir uns – kaum. Ein introvertierter Mensch wird weder plötzlich noch durch langes Üben einer, der die Bühne liebt; ein gesprächiger verstummt nicht mit dem Alter. Den Zögernden unter uns fällt es schwer, spontan zu entscheiden; die Helfer halten sich erst zurück, wenn sie gar nicht mehr können. In einem halb leeren Glas ein halb volles zu entdecken – das ist eine Fähigkeit, die den Pessimisten nicht vergönnt ist. Solche Eigenschaften gehören zu uns, sie machen uns aus. Und nur sehr begrenzt lassen sie sich durch eigene Kraft ins Gegenteil verkehren.

Ich selbst habe leicht ein schlechtes Gewissen, wenn ich die Erwartungen anderer enttäusche; eine Lüge ist für mich kein Kavaliersdelikt; und in meinem Gesicht sieht man schnell, wie es meinem Innenleben geht – heute mit 50 Jahren ebenso wie mit 25. Das mit dem Lügen ist gut, das mit dem schlechten Gewissen nicht; aber einfach abschütteln kann ich weder das eine noch das andere.

Der frühe Bonhoeffer

In seiner Bonhoeffer-Biographie bezieht sich Eberhard Bethge vor allem auf Bonhoeffers veröffentlichte Schriften, seine erhaltenen Briefe und Tagebucheinträge. Die darin vertretenen Ansichten und Überzeugungen veränderten sich im Laufe der Jahre. Je mehr Bonhoeffer Erfahrungen machte und sich löste von der Prägung seines Elternhauses und der deutschen Gesellschaft seiner Zeit, wurden auch seine Gedankengänge weiter und ausgewogener.

Wir tendieren dazu, das zu vergessen: Alles, was wir tun und sagen, ist Produkt einer bestimmten Lebensphase. Vergeht diese, verändern sich auch unsere Standpunkte – zumindest teilweise. Es kann soweit kommen, dass wir uns vielleicht sogar distanzieren müssen von früheren Überzeugungen.

Hinzu kommt: Je älter wir werden, umso klarer wird uns, wie wenig wir wissen, dass „eindeutig und einfach“ nur selten zutrifft und wie berechtigt andere Perspektiven sind, wenn es um Meinungen geht. Das lässt uns hoffentlich vorsichtiger formulieren, ohne uns mit Phrasen zu begnügen. Nicht zu vergessen ist eine gewisse Altersmilde, die uns barmherzig umgehen lässt mit allzu enthusiastischen Verkündigungen.

Dietrich Bonhoeffer durchlief dies alles im Schnelldurchgang – er hatte nur ein halbes Leben Zeit …