Abstand

Es ist Sonntag, ich gehe nicht mit in den Gottesdienst, um allein zu sein und still zu werden. Im Garten ist es wunderbar grün und warm, passend für einen Morgen allein. Allerdings: Eine Nachbarin sitzt telefonierend auf ihrem Rasen – ich höre jedes Wort, ohne mir Mühe zu geben. Im Hintergrund läuft ihr Radio in genau der richtigen Lautstärke: Zwar verstehe ich nichts, nur eine Art Gemurmel und die Bässe, dennoch stört es mich. Aus einem anderen Garten dringt (Sonntagmorgen, kurz vor elf) das Geräusch einer Motorsäge an mein Ohr. All diese Klänge kann ich nicht ausblenden: Die Stille hier ist mir zu laut.

Ich brauche Abstand, denke ich, setze mich auf mein Rad und fahre in die „Walachei“. Am Ende eines Feldweges finde ich eine nicht gemähte Wiese, auf der ich meine Iso-Matte ausbreiten und mich ausstrecken kann. Jede Menge Vögel zwitschern, der Wind fährt geräuschvoll durch die Blätter einiger Bäume. Auf einem nahe gelegenen Acker kümmern sich ein paar Bauern um ihr Grünfutter: Das gleichmäßige Geräusch der Trecker und Ballenwickler dringt schwach an meine Ohren, stört mich aber nicht. All das kann ich ausblenden – und „höre“ meine eigenen Gedanken: Wirklich still ist es auch hier nicht.

Ich brauche inneren Abstand, denke ich, und merke, wie schwer das ist. Zwei Stunden allein auf einer grünen Wiese sind ein guter Anfang – und ein Luxus, den nicht viele haben.

Distanzlos

Bei Aldi sind die Transportbänder an der Kasse ziemlich lang. Je nachdem, wie viel der Einzelne einkauft, passen die Artikel von zwei bis fünf Leuten locker hintereinander drauf. Neben der Ware steht der dazugehörige zahlungswillige Kunde. Bei wenig Ware ist der Platz für den Kunden gering – es kann sein, dass man neben der Ware des Vorder- oder Hintermannes steht. Das Abkassieren bleibt davon unbeeinflusst und lässt sich durchs Ware-Verschieben nicht beschleunigen. Bei fünf oder mehr Kunden haben also normalerweise alle Kunden nach Nummer zwei ausreichend Zeit, ihre Einkäufe aufs Band zu legen.

Letztens brauchte ich nur einen Artikel und hatte keinen Einkaufswagen: Wir brauchten beide wenig Platz, mein Artikel und ich selbst. Automatisch bewegte sich meine Ware neben den Kunden vor mir und die Ware des mir folgenden Ehepaares neben mich. An sich ist das kein Problem. Allerdings wollte dieses Ehepaar seine Wunsch-Artikel zügig und schön dicht hinter meine Einkäufe platzieren – und offenbar auch sich selbst hinter mich selbst. Die Frau durchbrach mehrmals meinen Sicherheitsabstand und „lief auf“. Normalerweise ist mir Berührung nicht unangenehm; aber in diesem Fall empfand ich es als lästig. Ich konnte nicht ausweichen: Vor mir stand jemand mit Einkaufswagen.

Nächstes Mal nehme ich mir auch einen – ganz egal, wie viel ich einkaufen will. Als Abstandhalter sind die Dinger unschlagbar!