Karfreitag

In einem verlassenen stillen Haus kehren die Gedanken immer wieder zurück an die Ereignisse um Karfreitag. Wie verlassen mag Jesus sich gefühlt haben? Es war sicher still in ihm nach all der Betrübnis im Garten Gethsemane, dem Verrat durch Judas und dem kurzen Aufbegehren der Jünger, nach aller Anklage vor Pilatus und dem lauten Spott der Menschen auf dem Weg nach Golgatha. Am Kreuz war er vollkommen allein.

Ich bin dankbar, dass ich den Trost der Auferstehung am Ostersonntag nie ganz vergessen kann: Jesu Einsamkeit und Tod am Kreuz sind nicht das Ende der Geschichte.

Ohne Ziel?

„Ohne Ziel“, sagt mein Mann, „kommt man irgendwo an, aber mit Sicherheit nicht dort, wo man hinwollte.“ Der Satz ist nicht von ihm – spricht ihm aber aus dem Herzen. Wahrscheinlich sind sich die meisten Menschen darüber einig, dass ein Ziel grundsätzlich eine gute Sache ist. Mir geht es theoretisch ähnlich; aber praktisch fällt es mir oft schwer, ein klares Ziel zu benennen: Wo will ich hin, was will ich schaffen, warum will ich etwas tun? Oft mache ich einfach drauflos, manchmal mit Hilfe einer to-do-Liste, die ich beliebig ergänze und auf jeden Fall abarbeite: irgendwann. Wenn mein Mann mich aber nach einem Ziel fragt, fühle ich mich schnell überfordert – vielleicht sogar ein bisschen unzulänglich.

Glücklicherweise merkt man mir meine Ziellosigkeit kaum an: Ich bin gut organisiert und schaffe, was ansteht – manchmal sogar mehr. Denn ich mag ohne Ziel unterwegs sein, dafür aber bin ich spontan und flexibel. Jetzt zum Beispiel schalte ich den Computer aus und putze meine Tastatur. Das stand zwar als Tagesziel nicht auf meiner Agenda, wird sich aber nachher so anfühlen, als wäre ich heute einen Schritt weitergekommen.

Ein Unterschied

Das tut mir leid“, sage ich öfter, „du tust mir leid“, sage ich dagegen fast nie. Es mag ähnlich klingen; für mich sind es zwei verschiedene Dinge:

Wenn mir etwas leid tut, dann bedauere ich, dass jemand mit unangenehmen Umständen zurechtkommen muss: Ich akzeptiere die Situation als ungünstig und gesetzt, lege den Betroffenen aber nicht auf eine Reaktion fest – ich hoffe, das tröstet und ermutigt eher.

Tut mir jemand leid, bedauere ich, wie (schlecht) jemand mit unangenehmen Umständen zurechtkommt: Ich akzeptiere die Reaktion des Betroffenen als unvermeidbar und gesetzt – ich glaube, das entmutigt eher.

Altbekannt

Entmutigend: Uns passiert eine Menge, was wir nicht beeinflussen können.

Ermutigend: Wir können beeinflussen, wie wir mit dem umgehen, was uns passiert. 

Aufdringlich unaufdringlich

Die Kinder sind für eine Woche nicht da; wir sitzen allein beim Frühstück: „Landbrot schmeckt tendenziell – eher unaufdringlich“, sagt mein Mann und isst morgens als Alternative lieber Knäckebrot. `So kann man es auch nennen´, denke ich. Weil wir von fünf auf zwei Personen zusammengeschrumpft sind, muss ich mir gut überlegen, was ich einkaufe und/oder koche. Der Durchsatz ist plötzlich mindestens halbiert: Das Landbrot behauptet aufdringlich lange seinen Platz in der Brotdose – und hängt uns irgendwann zum Halse raus.

Herausfordernd

„Dein Körper macht mit dir, was er will“, sagt mein Mann. Er hat recht: Die Wechseljahre bescheren mir gelegentlich gänzlich unerwartete Temperatur-Schwankungen – vorzugsweise dann und dort, wann und wo es nicht passt. Ich traue mir selbst nicht mehr über den Weg und rechne ständig damit, entweder weniger oder mehr anziehen zu müssen. Es fühlt sich an wie ein totaler Kontrollverlust: klingt herausfordernd, ist es auch … 

Meine flexiblen Ohren

Morgens um halb sechs im Bett hören meine Ohren alles: zum Beispiel das liebliche Gezwitscher der Vögel, die um diese Zeit ihre Liedchen trällern. Für den besonders eindrücklichen Klang sitzen sie dabei auf dem Busch direkt vor dem Schlafzimmerfenster – obwohl das wahrscheinlich gar nicht nötig wäre. Selbst mit dem Kissen überm Kopf, funktionieren meine Ohren hervorragend. (Glücklicherweise gewöhnt sich mein Gehirn nach einigen Wochen Frühling daran, so dass ich zwar immer noch alles höre, aber nicht mehr aufwache.)

Bei anderen Gelegenheiten höre ich ebenso gut, verstehe aber nichts: wenn mein Mann mit mir über unsere Finanzen sprechen will zum Beispiel. Die Akustik ist nicht das Problem, die Materie schon. Es ist kein Zufall, dass ich die Verwaltung unserer Geld-Geschäfte freiwillig und gern aus der Hand gegeben habe.

Dann sind da noch die Momente, in denen meine Ohren ihren Dienst mehr oder weniger verweigern – wahrscheinlich weil ich höflich bin: wenn ich so gern wüsste, was die Kinder kurz vor meinem Geburtstag Wichtiges zu besprechen haben; oder wenn ich in einem langweiligen Gespräch festhänge und von der viel interessanteren Unterhaltung anderer nur Fetzen mitbekomme.

Manchmal hätte ich am liebsten gar keine Ohren: wenn ich mich in meinem nach unten offenen Dachboden-Zimmer konzentrieren will und alle anderen sich lautstark unterhalten – gern über mehrere Etagen hinweg. Ich verstehe kein Wort, höre aber alles.

Eins ist klar: Meine Ohren sind super flexibel.

Unverändert

Aus einer Laune heraus krame ich alte Zeugnisse hervor. Die Noten verbesserten sich im Laufe der Schulzeit; die Beurteilungen blieben vom Tenor her gleich, zum Beispiel:

„ … ist eine sehr lebhafte Schülerin …“,
„ … muss unbedingt ordentlicher werden …“,
„ … versucht, ihr impulsives Verhalten, bewusst unter Kontrolle zu bringen …“,
„ … muss sich um größere Konzentration bei der Arbeit bemühen …“,
„ … neigt dazu, ungeduldig zu werden, wenn andere ihre Meinung darlegen …“,
„ … sollte sich darin üben, bedächtiger zu arbeiten …“

Als ich meinem Mann diese alten Einträge von `vor seiner Zeit´ vorlese, nickt er schmunzelnd: Das Kind von damals ist in der Frau von heute noch immer erkennbar.

Offenbar kann man nur wenig aus seiner Haut; grundsätzliche Anlagen im Temperament lassen sich durch den Verstand höchstens kanalisieren, aber nicht eliminieren. Gut wenn die einzigartige Mischung unserer Charaktereigenschaften – trotz aller Vernunft – immer noch durchscheint. Sie sagt mehr über uns aus als Noten allein.

Vorübergehend emotional zerstört

Ziemlich spontan hatte ich eine großartige, aber verrückte Idee. Ich war fest entschlossen und total begeistert – und fühlte mich wie ein prall aufgepumpter Luftballon. Einer, dem ich davon erzählte, meldete – sachlich und berechtigt – Bedenken an; an eine Umsetzung meiner Idee war danach nicht mehr zu denken. Ich fühlte mich, als würde mir jemand die Luft ablassen. Einen Tag lang lief nur die leere Hülle von mir durchs Haus. Heute habe ich mich wieder gefangen, aber noch immer spüre ich die Entmutigung. Wenn man himmelhoch jauchzend unterwegs ist, kann der Boden der Realität eine emotional zerstörerische Wirkung entfalten – glücklicherweise nur vorübergehend.

Mein Zimmer – mein Leben

Das Zimmer meiner Tochter ist selten aufgeräumt – und wenn doch, dann hält dieser Zustand immer nur wenige Tage. Normalerweise herrscht in ihrem Reich Unordnung: Saubere Wäsche stapelt sich auf dem Tisch. Bereits getragene Klamotten, die halb ausgepackte Sporttasche, große und kleine Zettel liegen auf dem Boden herum, benutztes Geschirr … Offene Schubladen ergänzen den Eindruck, als wäre hier kürzlich jemand überstürzt aufgebrochen (oder so). Es stimmt, meine Tochter bricht tatsächlich häufig überstürzt auf – allerdings nicht, weil sie permanent in Eile wäre. Zwar reicht die Fülle ihrer Tage locker für zwei Leben, aber es existieren auch Phasen des Stillstands: Weil meine Tochter meist bis kurz vor knapp die Ruhe weg hat, kann sie selten ebenso ruhig aus dem Haus gehen. Entsprechend chaotisch und unsortiert hinterlässt sie ihr Zimmer – kommt aber hervorragend damit zurecht: „Mein Zimmer ist wie mein Leben“, sagt sie. Nur ab und zu scheint es ihr selbst zu viel zu werden. Dann weicht sie aus ins gut sortierte Zimmer ihrer Schwester oder kommt zu uns nach unten …