Wohin damit?

Wir sind es gewohnt, dass die Sommer entweder verregnet sind – aber insgesamt trotzdem viel zu trocken. Meist streiten sich die Landwirte mit dem Rest der Gesellschaft darüber, ob sie ihre Flächen bewässern dürfen oder nicht. Die Wasserstände in irgendwelchen Stauseen und Rückhaltebecken werden gemessen; außerdem ist der niedrige Grundwasserspiegel beliebtes Thema und irgendwie auch Beweis für den Klimawandel. Regnet es dann doch mal, heißt es: `Die Böden brauchen Feuchtigkeit.´ Gegen die Bedürfnisse der Böden lässt sich kaum etwas sagen. Man hat den Eindruck, als wären Wärme und Sonne per se schlecht und freuen könne man sich nur (und immer) über Schmuddelwetter.

Dieses Jahr ist es anders, denke ich, jedenfalls der Herbst/Winter. Seit Wochen regnet es (nicht nur gefühlt) ganz schön oft und ganz schön viel. Ich benutze fast täglich meine Regenhose; die Flüsse sind voller Wasser; überall in unserem Landkreis stehen die Wiesen (und teilweise auch Straßen) unter Wasser. Heute hörte ich wieder den Satz, der in diesem Zusammenhang immer fällt: `Die Böden brauchen Feuchtigkeit.´ Nur blöd, dass sie derzeit offensichtlich nicht wissen, wohin damit.

Nicht nachvollziehbar

Sie könne meine Entscheidung – aus der Ferne und ohne Gespräch – nicht nachvollziehen, schreibt mir eine Bekannte und fährt fort, es gehe sie ja auch nichts an, aber sie wolle doch ehrlich bleiben. Ihre kritische (wenn auch ehrliche) Rückmeldung, ungefragt, trifft mich: Wieso sie mir das schreibt, frage ich mich, und nicht einfach mal nachfragt? Ich denke an die Sesamstraße: „Der, die, das; wer, wie, was; wieso weshalb warum? Wer nicht fragt, bleibt dumm“, hieß es da und weiter: „1.000 tolle Sachen, die gibt es überall zu sehen; manchmal muss man fragen, um sie zu verstehen.“

Was für Kinder ein guter Rat ist, kann auch ich beherzigen: Wenn ich das nächste Mal die Entscheidung eines anderen nicht verstehe, will ich nachfragen, wie er dazu gekommen ist. Vielleicht kann ich dann nachvollziehen, worüber ich – aus der Ferne und ohne Gespräch – den Kopf geschüttelt hätte. 

Ausgelacht – und jetzt?

Sonntagnachmittag: Es klingelt an der Haustür. Ein Freund meines Sohnes will etwas für diesen abgeben. Ich bedanke mich freundlich und bitte ihn, seine Mutter von mir zu grüßen. Er nickt artig und geht. Ich will schon die Tür schließen, aber mir fällt noch etwas ein und ich gehe nochmal nach draußen. Dadurch bekomme ich mit, wie der Freund sich mit einem anderen Jungen lautstark über mich lustig macht: „Vielen Dank und schöne Grüße!“, äffen sie mich nach, während sie weggehen. Ich stehe irritiert an der Tür. Was ich höre, trifft mich. Gerade diesen Jungen habe ich bisher immer als sehr freundlich und höflich erlebt – meinem eigenen Sohn sehr ähnlich. Bei Teenagern läuft ja manches durcheinander in Körper und Geist; es ist eine Phase der Veränderung. Aber ist es normal, dass man in dem Alter zwei Gesichter hat: (direkt) ein freundliches und (indirekt) ein respektloses? Ich will das Erlebte nicht überbewerten, bezweifle aber, dass ich es vollkommen vergessen kann. Hoffentlich frage ich mich während unserer nächsten direkten Begegnung nicht, was er insgeheim über mich denkt!

Voll und trubelig

Früher waren wir als Familie mindestens einmal in der Adventszeit auf dem Weihnachtsmarkt: um der Kinder willen. Zu siebt war es aufgrund von `voll und trubelig´ schwierig, zusammen zu bleiben; wenn es doch gelang, war unser geballter Familienauftritt mindestens einem der Kinder peinlich. Dieses Jahr fuhr ich mit meinem Mann allein hin: Ich wollte einen Crêpe essen; dazu habe ich sonst selten Gelegenheit. Es war (wie immer) voll und trubelig; auch zu zweit verloren wir uns fast im Getümmel. Ich wartete länger auf meinen Crêpe (ohne Schnickschnack), als es dauerte, ihn aufzuessen. Und schon hatten wir genug: genug Weihnachtsmarkt, genug Menschen, genug Adventslieder, genug Gerüche und Stimmengewirr. In großem Bogen liefen wir zurück zu unseren Fahrrädern und fuhren nach Hause. Für andere mag es ein großartiges Erlebnis sein; für uns ist die Stadt ohne Weihnachtsmarkt ein attraktiveres Ausflugsziel. Auch die Aussicht auf Crêpes ändert daran nichts.

Wahnsinn!

Weihnachtswahnsinn lese ich auf einem Werbeplakat an einer Bushaltestelle. Im Vorbeifahren sehe ich das Prozent-Zeichen, kann aber auf die Schnelle nicht lesen, welches Unternehmen hier Rabatte verspricht. Dennoch: `Weihnachtswahnsinn´ hallt es in mir nach. Wenn die wüssten, denke ich, wie genau sie ins Schwarze treffen mit ihrem Slogan. Weihnachten ist ein echter Wahnsinn. Gott schickt seinen Sohn als Baby in diese Welt, um die Menschen zu erretten – Wahnsinn. Dieses Baby wird in eine arme Familie hineingeboren, unter sehr zweifelhaften Umständen – Wahnsinn. Entsprechend holperig fängt es an: Weil wegen einer angeordneten Volkszählung das ganze Land auf den Füßen war, fand sich nur ein Stall für die Geburt des Gottessohnes – Wahnsinn. Für wahnsinnig stille und normale 30 Jahre hört man kaum etwas von dem heranwachsenden Jesus. Erst dann wird Jesus aktiv und sucht sich Leute, denen er Gottes Wahrheit und Gottes Plan für diese Welt anvertraut. Zwölf junge Fischer, nicht gut gebildet oder hoch angesehen und keineswegs einflussreich – Wahnsinn. Die meiste Zeit verbringt Gottes Sohn mit diesen zwölf Männern. Wenn ihm viele Menschen begeistert zuhören, lässt er sich nicht feiern, sondern zieht sich zurück – Wahnsinn. Und am Ende geht dieser Jesus ans Kreuz und stirbt für alle, Freunde und Feinde gleichermaßen – Wahnsinn. 

Weihnachten: ein beeindruckendes Ereignis – und es ist fast schon ein Wahnsinn, dass wir es 2.000 Jahre später noch immer feiern. Erschreckend ist nur, dass ein Großteil der Feiernden sich zwar über Rabatt-Aktionen freut, von Jesus selbst aber vollkommen unbeeindruckt bleibt.

Wertvoll

Wir unterhalten uns über den Wert unserer Arbeit, meine Freundin und ich. Sie ist Bäuerin und kümmert sich vorrangig und leidenschaftlich um die Kühe. Ihr Aufgaben-Portfolio ist unüberschaubar; ohne sie würde der Hof nicht laufen. Das ganze Konstrukt `landwirtschaftlicher Betrieb´ hängt ebenso an ihr wie an ihrem Mann. Der Verdienst meiner Freundin dagegen ist sehr überschaubar, weshalb die teurer werdenden Lebensmittel auch sie, die Lebensmittel-Produzentin, treffen. Der Preis, den die Bauern für ihre Milch bekommen, steigt mitnichten so wie der, den die Konsumenten für Milch und Milchprodukte im Supermarkt bezahlen. Die Diskrepanz dazwischen versickert irgendwo zwischen Erzeuger und Verbraucher. Gegen eine angemessenere Entlohnung beziehungsweise eine größere Wertschätzung ihrer Arbeit hätten die meisten Bauern sicherlich nichts: Aber was sollen sie tun? Anders als bei der Bahn sind so radikale Methoden wie Warnstreiks bei Landwirten nicht üblich. Das liegt nicht etwa daran, dass sie etwa weniger Leidenschaft für `ihre Sache´ hätten oder schlechter organisiert wären. Sie sind einfach für viel mehr verantwortlich als für einen pünktlichen und reibungslosen Zugverkehr. Bei Bauern geht es um weitaus wertvollere Güter: Nahrungsmittel und Nutztiere – beides lässt man nicht aus Protest `stehen und liegen´.

Wie wertvoll eine Arbeit ist, misst sich selten daran, was man mit ihr verdienen kann. Ein Satz fällt mir ein; er hängt an der Kühlschrank-Tür meines Freundes in Australien: If I can´t be rich, I might as well be excellent. Frei übersetzt: Wenn ich schon nicht reich damit werde, kann ich wenigstens exzellente Arbeit abliefern – ein Motto, das auch meine Freundin zu beherzigen scheint.

Nicht genug

In der Vergangenheit hat es mich manchmal genervt, wie sehr der Holocaust immer wieder betont wurde. Ich dachte, irgendwann ist es doch mal gut mit dieser unserer Schuld. Heute denke ich, es ist offenbar noch lange nicht genug, an die Gräueltaten im Holocaust zu erinnern: Wenn 78 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges deutsche Studenten wieder offen gegen Juden die Stimme erheben; wenn im Zusammenhang mit ermordeten Juden einige Deutsche wieder die Phrase `selbst schuld´ in den Mund nehmen; wenn Juden nach dem Terrorangriff am 7. Oktober in Deutschland auf der Straße als die eigentlichen Aggressoren dargestellt werden …, dann ist es noch lange nicht gut. Dann schäme ich mich, dass ich dachte, es könnte jemals genug sein mit dem Erinnern.

Aktuell und relevant

Ich werfe einen kurzen Blick hinein in eine Talk Show; es geht (wie so oft) um aktuelle und relevante Themen. Leider herrscht (aktuell!) eine Redekultur, die mich nervös und fast ein bisschen aggressiv macht: Es gibt immer mindestens einen, der unterbricht und sein Rede-Recht über das der anderen stellt. Das führt fast immer zu einer emotional-aufgeheizten Debatte, die für manche Beteiligten sehr unangenehm und für mich als Zuschauer höchst peinlich mitzuerleben ist. Der Moderator ist entweder nicht in der Lage oder nicht willens, seiner (relevanten!) Rolle gemäß einzugreifen und für ein gutes und respektvolles Miteinander zu sorgen. Solche Gesprächsrunden sind nichts für mich, denke ich: weder als teilnehmender Teilnehmer noch als beobachtende Randfigur. Von daher schalte ich (buchstäblich) ab – wie aktuell und relevant auch immer die Themen sind.

Anonymer Helfer

Ich bin mit dem Rad in der Stadt unterwegs. Es ist abends und bewölkt – und also sehr dunkel. An einer Hauptstraße komme ich nicht weiter: Von rechts und links kommen Autos, immer schön abwechselnd; es scheint unmöglich zu sein, eine geeignete Lücke im Verkehr zu finden. Da kommt ein Auto von rechts, wird immer langsamer und bleibt schließlich stehen – und all die anderen hinter ihm auch. Hier schenkt mir einer eine Lücke, ich schlüpfe hindurch. Zwar sehe ich den freundlichen Fahrer nicht, aber spontan werfe ich ihm (oder ihr) trotzdem eine Kusshand zu. Den Rest des Weges lächle ich und freue mich über meinen anonymen Helfer.

Informativ?

In der Zeitung lese ich eine kurze Notiz: Eine bekannte Schauspielerin würde einen bestimmten Charakter wieder spielen – sollte sie ein entsprechendes Angebot erhalten. Noch habe sie nichts in Aussicht, aber sie sei grundsätzlich bereit. Ich verstehe ja, dass nicht alles, was in der Zeitung steht, für jeden gleich informativ ist. Wir sind unterschiedlich interessiert: Der eine will dieses wissen, der andere jenes. Aber `Sie würde, wenn sie könnte?´ hat als Nachricht überhaupt keinen Wert an sich! Weder ich bin nach dem Lesen schlauer als vorher – noch sonst irgend jemand, der unsere Tageszeitung liest. Es sei denn, im Celler Land wohnt jetzt schon der nächste Hollywood-Regisseur.