Als junge Frau dachte ich – ganz intuitiv -, es gäbe immer ein Aber. Drei Jahrzehnte später weiß ich, dass diese Ahnung stimmt, weil man alles von verschiedenen Seiten, aus verschiedenen Perspektiven betrachten kann. Es stellt sich jeder Sachverhalt anders dar, wenn man ihn durch eine andere Brille anschaut. Wie sagen die Indianer? „Du kannst jemand anderen erst kennen, wenn du eine Weile in seinen Mokassins gelaufen bist.“
Ein Nachteil ist, dass sich dadurch alles endlos zerreden lässt und daraus folgend – niemand hört mehr richtig zu. Plus: Mutig geäußerte Meinungen und Überzeugungen werden immer seltener.
Als mittelalte Frau frage ich mich noch dazu, warum das so ist, warum es immer ein Aber gibt. Wollen wir tolerant und liebevoll sein? Geht es uns in erster Linie darum, den anderen zu verstehen und so stehen zu lassen, wie er denkt und argumentiert? Vielleicht haben wir auch nur ganz viel Angst, bei einer „Falschaussage“ erwischt zu werden und relativieren deshalb alles und immerzu. Wie sagte schon mein hoch verehrter Dietrich Bonhoeffer: „Den größten Fehler, den man im Leben machen kann, ist, immer Angst zu haben, einen Fehler zu machen.“
Also lasse ich manche meiner Gedanken einfach so stehen, auch wenn sie ein Thema dann eben nicht erschöpfend abhandeln, sondern (relativ) einseitig und subjektiv. Ich habe vielleicht nicht recht, aber ich liege auch nicht ganz falsch.