Von zu Hause aus sind wir es gewohnt, Menschen zu grüßen, denen wir beim Spazierengehen begegnen: Fast alle grüßen zurück. Im Urlaub gelten andere Gesetze – erschreckend häufig ernten wir Stille. Zunächst wollen wir aufgeben, entscheiden uns dann aber, uns treu zu bleiben und unsere freundlichen `Hallo´ weiter großzügig zu verteilen. Nach einer Weile stellen wir fest: Die Urlauber mit sächsischem (oder auch badischem) Dialekt sind die freundlichsten. Auf Platz zwei landen Familien, dicht gefolgt von Leuten mit Hund im Fahrradanhänger. Am stoffeligsten sind ältere Ehepaare: als bräuchten sie Urlaub auch vom Grüßen.
Erklärung zwecklos
Ich gehe spazieren und komme an drei Leuchttürmen vorbei: Kap Arkona ist diesbezüglich reichhaltig ausgestattet. Neben dem heute aktiven Leuchtturm stehen eine Erklär-Tafel sowie ein Modell der verwendeten Leucht-Optik (wenn ich es richtig verstanden habe). „Blitz – Blitz – Blitz – kein Blitz, und das alle 17 Sekunden …“, so fängt die Aufschrift an – und geht dann zügig über in eine komplexe Beschreibung der technischen Hintergründe. Ich halte mich technisch nicht für besonders gebildet, bin aber auch nicht vollkommen unterbelichtet. Dennoch kann ich schon nach einigen Zeilen nicht mehr folgen. Von Fresnellinsen ist die Rede, benannt nach einem `genialen´ französischen Gelehrten des 19. Jahrhunderts. Große Brennweiten kommen in dem Text ebenfalls vor und dass diese nur mit eben jenen besonderen Linsen erreicht werden können – und auch warum. Wer von den Kap Arkona-Besuchern das wohl versteht, frage ich mich: für mich alles in allem keine Erklärung, die mich erhellt. Was bleibt? Lediglich das mit dem `Blitz – Blitz – Blitz – kein Blitz, und das alle 17 Sekunden …´ wird mir wohl noch eine Weile in Erinnerung bleiben.
Explosiv
Unser Sohn muss/darf/soll mit ein paar `Kollegen´ fürs Studium die Explosionszeichnung eines Getriebes erstellen. Dazu müssen sie ein Getriebe auseinanderbauen, die Einzelteile aus allen möglichen Perspektiven fotografieren und hinterher wieder zusammenbauen. Es ist ein aufwändiges Projekt, realisierbar durch konzentriertes Arbeiten und nur auf den ersten Blick chaotisch.
Nach zwei Tagen in unserem Ferienhaus liegt beziehungsweise steht überall etwas von den Dingen, die wir mitgebracht haben: Handtücher, Pullis, Bikinis, Wasserflaschen, Bücher, Schreibzeug, Laptops … Ein Paar meiner Socken ist schon jetzt verschwunden. Ich komme mir vor wie mitten in einer Explosionszeichnung – einfach so passiert und nicht nur auf den ersten Blick chaotisch.
Fast wie die Kanzlerin
Mein Mann hat Papierkram erledigt und Anträge ausgefüllt – auch in meinem Namen. Am Ende benötigt er auf vielen Dokumenten meine Unterschrift. Eins nach dem anderen legt er mir vor und zeigt, wo ich unterschreiben soll. Ich will etwas nachfragen, aber er unterbricht mich: „Das erkläre ich dir jetzt nicht, es geht bei dir sowieso zu einem Ohr rein und zum anderen wieder raus, du kannst es dir nicht merken – und es interessiert dich auch nicht. Unterschreib einfach: als wärst du die Kanzlerin.“ Ich tue, was er sagt, aber nicht ohne einen Lachkrampf zu bekommen. Er hat so recht und ich bin ihm so dankbar, dass er sich um diese ganze Sch… kümmert! Ob es der Kanzlerin manchmal ähnlich gegangen ist? Ich kann es mir vorstellen – aber wahrscheinlich ohne Lachkrampf.
Gerade erst entdeckt
Von einer Kollegin hat mein Mann `gelernt´, wie man Kaffeepackungen ohne Schere – und dadurch ohne viel Krümelei – aufmachen kann. „Einfach in der Mitte aufziehen“, sagt er, „das geht.“ Ich bin unsicher, ob ich das schaffe: Kaffeepackungen erwecken (durch das Vakuum?) einen ziemlich festen Eindruck. Als ich es dann aber doch versuche, ist es wider Erwarten erstaunlich leicht; nichts krümelt daneben.
Ich liebe es, wenn etwas praktisch ist und alltagsrelevant und erinnere mich an eine Begebenheit kurz nach der Wende. „Die Verpackungen hier im Westen“, sagte damals jemand zu mir, „sind leicht zu öffnen; du findest immer irgendwo eine Art Sollbruchstelle.“ In vielen Fällen stimmt es; manchmal steht `Hier öffnen´ dran, manchmal nicht: an Gummibärchentüten, an Umverpackungen für Briefumschläge, am Toilettenpapier … Auch Kaffeepackungen lassen sich offensichtlich leicht und ohne Hilfsmittel öffnen – verbraucherfreundlich eben, wahrscheinlich schon jahrzehntelang. Komisch, dass ich das nicht schon vor 30 Jahren entdeckt habe.
Fit – solange wie möglich
Mit meiner Tochter spreche ich über körperliche Fitness: dass manche Leute in meinem Alter sich auf einem Bein stehend nicht den Schuh anziehen und zuschnüren können. Sie macht es mir mit einem Socken vor und lächelt irritiert – sie schafft es problemlos. „Ich werde ja sehen, wie es dir geht, wenn du fünf Kinder bekommen hast“, sage ich, worauf sie spontan kontert: „Mal schauen, ob du dann noch lebst …“ Ups, daran hatte ich überhaupt nicht gedacht, aber natürlich hat sie recht: Alle Fitness kann von heute auf morgen vorüber sein und vollkommen irrelevant.
Freie Entscheidung
„Des Menschen Herz erdenkt sich seinen Weg; aber der Herr allein lenkt seinen Schritt.“ Sprüche 16, 9
Ich höre eine Predigt von Timothy Keller. Er sagt, manchmal spräche Gott deutlich, wenn wir die Wahl haben. Aber meist gelte, dass wir absolut frei sind, wie wir uns entscheiden – und Gott absolut souverän ist, was er daraus macht: selbst wenn wir solange abwarten, bis wir keinen Spielraum mehr haben.
Das hört sich paradox an, jedenfalls nicht menschlich logisch. Dennoch glaube ich, es stimmt: Gerade in unseren Fehlern offenbart sich Gottes Allmacht; uns dienen alle Dinge zum Besten (Römer 8, 28), nicht nur dann, wenn `alles nach Plan läuft´. Das entlastet; dennoch fallen manche Entscheidungen schwerer als andere. Worauf es wie immer ankommt, wenn wir die Qual der Wahl haben: Vertrauen – und Mut für den ersten Schritt.
Klein – halbstark – fertig
In einem Treffen mit zwei Freundinnen geht es irgendwann auch um Kinder: Erst bewundern sie einen und suchen Nähe und Gespräch. Dann wollen sie in der Öffentlichkeit möglichst wenig mit uns zu tun haben, denn wir sind ihnen total peinlich. „Aber wenn die Kinder da durch sind, spätestens mit Anfang 20, geht es wieder“, sage ich und meine Freundin ergänzt: „Ja, dann ist das Frontalhirn auch wieder mit im Boot, äh, Kopf …“ Besser kann man wohl nicht in Worte fassen, dass Heranwachsende auch geistig `halbstark´ unterwegs sind – buchstäblich. Wir lachen uns schlapp.
Um uns herum
Ein Weinhändler bietet jedem Kunden eine Kostprobe seiner Wahl an und entsorgt den Rest – zirka 50 Flaschen pro Woche.
Eine Kleinfamilie mit sechs Autos – drei für den täglichen Gebrauch und drei Oldies `nur zum Spaß´.
Zwei Leute wohnen auf etwa 200 Quadratmetern und bauen eine `Garage´ an – in der Größe eines kleinen Hauses.
Mobiltelefone sind spätestens nach zwei Jahren nicht mehr `modern´, Autos ebenso.
E-Bikes für jeden, Anstrengung war vorgestern.
Kinder reisen tausende Kilometer um die ganze Welt – und wissen nichts von der Nordsee oder den Alpen.
Angesichts dieser Völlerei: Wie können wir in diesem Umfeld unsere Kinder davon überzeugen, dass Mäßigung und Nachhaltigkeit attraktiv sind?
Eine Gnade
„Du kannst deinem Schöpfer danken für die Gnade, dass du das hier nicht machen musst – und ihn darum bitten, dass ich dir auch deswegen noch lange erhalten bleibe“, sagt mein Mann – und lächelt dabei gequält. Er sitzt an den BaföG-Anträgen für unsere studierenden Söhne und winkt nur müde ab, als ich frage, was denn so schwierig daran sei. Ich weiß, dass man jedes Semester neu BaföG beantragen muss. Finanzen sind zu beachten und Regelstudienzeiten, außerdem die Anzahl der Kinder, die noch im Elternhaus wohnen usw. Letzteres ändert sich bei uns relativ häufig – noch vier, noch drei, noch zwei … Aber damit nicht genug, ein bisschen komplizierter geht es offenbar immer: zum Beispiel wenn der Schülerstatus eines Kindes endet und der Freiwilligendienst-Status aber erst zwei Monate später beginnt. All das muss man schriftlich genau dokumentieren und einreichen; und das Beamtendeutsch auf offiziellen Dokumenten ist nichts für `mal eben und zwischendurch ´.
Mein Mann hat einerseits recht: Ich bin wirklich froh und dankbar, dass er sich darum kümmert. Andererseits irrt er: Dass er mir noch lange erhalten bleiben soll, hat mit den BaföG-Anträgen überhaupt gar nichts zu tun!