Nebenbei

In einem Gespräch sagte ich letztens zu meiner Nachbarin: „Die Wäsche, die mache ich so nebenbei.“ Noch vor einigen Monaten hatte mir jemand genau diesen Satz gesagt – und ich hatte gedacht: „Ich nicht. Wäsche nimmt viel Raum ein in meinem Leben, die erledige ich nicht nebenbei.“

Vor Monaten ging es mir körperlich, seelisch und geistig nicht gut. Alles war mir zu viel, auch die Wäsche. Nichts, was ich tat, erschien wie nebenbei: Alles war mir Last und Pflicht, meinem Tun fehlten die Freude und Leichtigkeit. Das ist derzeit glücklicherweise wieder anders; die Gründe dafür sind eine andere Geschichte.

Mein „… mache ich so nebenbei“ stimmt trotzdem nur teilweise. Es ist richtig, dass ich dasselbe Pensum (inklusive der Wäsche) wieder mit mehr Lockerheit und Schwung erledige. Es ist aber falsch, dass ich irgendetwas nebenbei tue, denn: Neben welchem zentralen Tun denn eigentlich? Mache ich den Einkauf ebenso nebenbei, das Kochen, das Putzen? Ist es dagegen zentraler, wenn ich mit den Kindern rede, Hausaufgaben kontrolliere, im Garten Fußball spiele, sie irgendwohin fahre?

Alles gehört zu meinen derzeitigen Lebens-Aufgaben. Manches mache ich lieber als anderes, nichts davon ist nebenbei. Für nebenbei ist in meinem Leben kein Platz.

Solche Menschen

Ich kenne Menschen, die nicht körperlich arbeiten und trotzdem überzeugte Nicht-Sportler sind. Wenn ich ihnen begegne und die Sprache darauf kommt, bin ich jedesmal bass erstaunt. Als hätten sie mir gerade eröffnet, dass sie demnächst an einer Mars-Expedition teilnehmen würden. „Wie bitte?“, denke ich, „Die machen freiwillig gar keinen Sport – und es fehlt ihnen nichts? Das kann nicht sein. Solche Menschen kann es nicht geben.“

Natürlich weiß ich, dass „solche Menschen“ wahrscheinlich sogar in der Überzahl sind, aber dieses Desinteresse ist mir trotzdem sehr fremd. Möglicherweise bin ich in ihren Augen eine gleichermaßen merkwürdige Person, weil ich so viel Wert lege auf Bewegung, die mit einer gewissen körperlichen Anstrengung einhergeht. Zum Trost für uns alle: „Solche Menschen“ gibt es meist in großen Mengen.

Bienen

Immerzu geht es um Artenschutz momentan. Wir ruinieren den Planeten, Arten sterben aus, ganze Ökosysteme verschwinden. Bei uns waren in der Vergangenheit Saatmischungen im Briefkasten, um uns zu ermutigen, bienenfreundliche Multikulturen im eigenen Garten anzulegen. Kann ich machen. Ich könnte auch einfach aufhören, Unkraut zu jäten – das gäbe der Artenvielfalt bei uns ebenfalls Auftrieb. Ich bin nur unsicher, ob mir das optisch genauso gut gefällt wie den Wildbienen…

Begegnung und Zeit

Meine Busreisen-Erfahrung ist limitiert. Während einer Flixbus-Fahrt nach Berlin bekam ich vor kurzem trotzdem einen interessanten Einblick in diese Form des Unterwegs-Seins. Man sitzt dicht zusammen in einem Bus und kann nicht – wie im Zug – in ein anderes Abteil wechseln oder allein im Gang stehen. Während der viereinhalb Stunden wechselten meine Mitreisenden: Da gab es einen, der an der Uni Zürich promoviert, aber gerade die alte Heimat besuchte. Weltoffen, alternativ und gesprächig – der Typ Mensch, mit dem ich in meinem Umfeld selten in Berührung komme. Außerdem mit uns im Bus reiste eine Oma (mit Handy) mit ihrem Enkel (eindeutig von ADHS betroffen). Ich fragte mich, welche Zuwendung für das Kind noch besser wäre und ob es für ihn jemals eine Ruhepause gibt. Eine etwas über 70-jährige Witwe fing jeden zweiten Satz mit „Ich bin der Meinung“ an – auch sehr gesprächig. Ein jüngerer Mann dagegen sprach kein Wort, sondern hatte mit seinen digitalen Medien zu tun. Alle Begegnungen ließen die Zeit schneller vergehen.

Wegen eines Staus auf der Autobahn fuhr unser Busfahrer von dieser ab sowie zielsicher und zügig durch das Hinterland von Sachsen-Anhalt und brachte uns mit nur wenig Verspätung nach Berlin. Als ich mein Gepäck auslud, bedankte und verabschiedete ich mich bei ihm. Vielleicht war ich die Einzige? Er lächelte erstaunt und sah mich an, wir wünschten uns einen guten Tag. Diese Begegnung ließ die Zeit für einen Moment stillstehen.

Risiko

Wenn ich „Risiko“ höre, denke ich an Dinge, die ich nicht tun würde. Unter anderem sind das: Bungee Jumping, Fallschirm-Sprünge, Rasen auf der Autobahn, Solo-Weltumseglungen, Bergsteigen im Himalaja. Oder ich denke an Alex Honnold. Er ist ein amerikanischer Kletterer, der ohne Sicherung gerade Felswände hochklettert. Zwar bereitet er sich akribisch auf seine Free Solo-Klettereien vor, übt mit Seil, ist körperlich in exzellenter Verfassung, mental fokussiert und wirkt nicht lebensmüde. Trotzdem hielt ich ihn wegen seiner spektakulären Unternehmungen bisher für eher risikobereit. Kürzlich hörte ich ein Interview mit ihm, das mich umdenken ließ: Honnolds Vater starb mit Mitte 50 an einem Herzinfarkt, hatte ein eher stressiges Leben ohne Sport geführt und sich eher ungesund ernährt. Aus Alex Honnolds Sicht ist eine derartige Lebensweise riskanter, als ohne Sicherung, aber gut vorbereitet, 1.000 Meter in die Höhe zu klettern.

Jeder kennt heutzutage die Zusammenhänge zwischen ungesunder Ernährung und geringer Lebenserwartung. Dennoch rauchen Menschen, ernähren sich ungesund und gehen ganz bewusst das Risiko ein, an den Folgen ihres Lebenswandels „vor der Zeit“ zu sterben.

Auch aus dieser Perspektive heraus ist mein eigenes Leben wenig risikofreudig – gesunde Ernährung, regelmäßig Sport, kein Stress. Vor Jahren hatte ich zusätzlich Wechselduschen im Programm, allerdings nur wenige Jahre. Es war mir schlicht zu kalt. Ein bisschen risikobereit bin ich also doch. (Oder bequem.)

Anziehend

Freunde von uns schwärmen von Städten, die sehenswert sind. Speyer zum Beispiel sei wunderschön – der Speyerer Dom, die Innenstadt. Wir waren kürzlich in Heidelberg und haben alte Freunde besucht. Von Heidelberg aus ist es nicht weit nach Speyer, eine halbe Stunde Fahrt vielleicht. Wir machten trotzdem keinen Abstecher – und stießen auf eine gewisse Verwunderung bei unseren kulturinteressierten Freunden.

Mir selbst sind Orte nicht wichtig. Zwar könnte ich wahrscheinlich einem Dom oder einer Kirche auch etwas Ästhetisches abgewinnen: Zum Beispiel mag ich die Altbauten und die breiten Straßen in Potsdam und auch die geschichtsträchtige „Innenstadt“ des vereinigten Berlin. Beide Städte sind alte Heimat für mich, in beiden Städten wohnen Freunde von mir – und das ist der wichtigste Grund für mein Hinfahren. Ich bin nicht interessiert an Orten, ich bin interessiert an Menschen. Wenn in Speyer Freunde wohnen würde – ich würde hinfahren. Der Dom selbst ist mir egal – Kulturbanause.

Landschaften sind eine andere Geschichte. Landschaften finde ich vor allem ohne Menschen schön …

Geschenkt

„Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul“, heißt es. Das Motto hat Grenzen, aber bei mir sind diese ziemlich weit gezogen. Als eine meiner Töchter sich eines ihrer alten Fotoalben ansah, staunte und lachte sie über ihre Outfits: „Kunterbunt, Mama, und irgendwie alles durcheinander gewürfelt – wie hast du uns denn angezogen?“

Nun ja, wir bekamen halt viel geschenkt und benutzten die Klamotten auch. Die Kinder kannten es nicht anders und waren zufrieden – und ich auch. Manches hätte ich so nicht selbst gekauft, mancher Chic wäre uns dadurch entgangen, manches Nur-Praktische ebenso.

Mir selbst ging es als Kind ebenso – und weil die Auswahl an sich und das Angebot im Osten Deutschlands vor 40 Jahren überschaubarer war als heute, trug ich fast alles „Abgelegte“ mit Begeisterung.

Mittlerweile sind wir wählerischer geworden. Meine Mädchen sind älter, haben ihren eigenen Stil und einen klaren Geschmack. Die Jungen sind ohnehin dem Erb-Alter entwachsen. Auch die Zeiten haben sich geändert: Das Bewusstsein für „in“ oder „angesagt“ entwickeln Kinder heute schon viel früher – oder zumindest früher als ich damals.

Zwar bin auch ich längst dem Erb-Alter entwachsen, aber ich gehe auch sehr ungern einkaufen. Von daher freue ich mich, wenn doch etwas bei mir ankommt, was meiner Tochter nicht passt oder gefällt und für eine Endvierzigerin geeignet ist. Vor ein paar Jahren waren das ein Paar Wanderschuhe. Sie sind bequem, passen, sind robust und hochwertig. Allerdings gab es sie geschenkt überhaupt nicht in meiner Farbe. Egal, ich zieh sie trotzdem an. Ich seh´ sie ja nicht, mein Blick geht eher geradeaus. Und dem geschenkten Gaul schaue ich in bestimmten Fällen eben immer noch nicht ins Maul.

Wenn die Worte fehlen

Ich war vor Jahren bei einer Beerdigung. Trauerfeier, Bestattung, hinterher noch in ein Lokal zum Kaffeetrinken. Die Gäste kannten sich größtenteils untereinander und hatten sich lange nicht gesehen. In den Gesprächen ging es um den Austausch von Informationen über einander: „Wie geht es dir, was machst du so, wie geht es den Kindern?“ Der Anlass unseres Zusammenseins rückte in den Hintergrund und so auch die Person, um die wir trauerten.

Ich war damals eine der Jüngeren, eher eine Randfigur, aber etwas fiel mir auf: Durch den Tod war eine Lücke entstanden. Diese Lücke war voll mit Worten über uns, nicht über den Toten. Das fand ich schade. Nach ein wenig Überwindung stand ich auf und erzählte von ihm. Wie ich ihn erlebt und was ich an ihm geschätzt hatte und welche Besonderheit mich immer an ihn erinnern würde. Meine „Rede“ unterbrach den Gesprächsfluss – kurz. Danach ging das Miteinander weiter; aber einige sagten: „Danke für deine Worte; die Erinnerung tat gut.“

Wenn anderen die Worte fehlen, möchte ich mich trauen: Der Tod reißt eine Lücke; er darf nicht auch noch die Erinnerung nehmen.

Mental

Einige Jahre hintereinander nahm ich an einem kleinen Triathlon teil – nicht besonders ehrgeizig und nur mäßig erfolgreich. „Dabei sein ist alles, der Weg ist das Ziel“, war meine Devise. Es gab natürlich wie überall ein paar sehr sportliche Experten, für die diese private Veranstaltung eine willkommene Vorbereitung auf weitere Sport-Ereignisse der kommenden Saison darstellte. Deren Trainingspläne unterschieden sich mit Sicherheit von meinem, der beinhaltete: Ein Jahr Vorfreude plus normale wöchentliche Laufrunden, normale Fortbewegung per Fahrrad und normalerweise kein Schwimmprogramm.

Entsprechend „vorbereitet“ habe ich mich regelmäßig der Herausforderung Triathlon gestellt, das Schwimmen überlebt, beim Radfahren keine zu schlechte Figur auf meinem Tourenrad gemacht und mit dem Laufen einen versöhnlichen Abschluss hinbekommen. Am Ende stand: Gesamt-Distanz geschafft, Disziplin-Wechsel so gut wie möglich absolviert und zugleich stolz und insgeheim enttäuscht im Ziel. Stolz auf die Überwindung meines inneren Schweinehundes und enttäuscht, dass es nie zum Siegertreppchen reichte. Ein Freund – ähnlich unambitioniert und regelmäßig dabei wie ich – errang folgerichtig ebenfalls nie den ersten Platz. Vor Jahren schrieb er mir in einem Brief: „Stecke voll in Triathlon-Vorbereitung (rein mental).“ Beide wussten (und wissen) wir, dass das nur zum Dabeisein reicht, zu mehr nicht.

Eine Bemerkung meiner Pilates-Trainerin letzte Woche ging in die gleiche Richtung: „Dagmar, du musst die Bewegung auch machen, nicht nur denken….“ Probieren kann man´s ja mal.

Knausrig oder maßvoll

Bei uns gibt es immer wieder Verhandlungen ums Geld. Nicht alle sind gleich bescheiden – und es ist nicht so leicht, zwischen maßvoll und knausrig zu unterscheiden. Wie viel gebe ich aus für was, welche Einteilung ist gut? Jeder handhabt das anders; aber der Überfluss, in dem wir heutzutage leben, macht ein Maßhalten schwer.

Wenn immer genug da ist, bereitet das mein Kind nicht darauf vor, sich genügen zu lassen, auf etwas sparen oder sich zwischen zwei Wünschen entscheiden zu müssen. Vielleicht geht das Leben so weiter, vielleicht wird mein Kind von Anfang an einen sehr lukrativen Job haben. Vielleicht auch nicht. In beiden Fällen ist es für mich ein Wert, sich freiwillig zu beschränken und NICHT alles GLEICH zu erwerben, wonach mir der Sinn steht. Wie aber vermittle ich diesen Wert, ohne als eine knausrige Mutter wahrgenommen zu werden, die ihrem Kind eine Freude nicht gönnt?

Vorleben allein scheint nicht auszureichen: Ich bin in diesen Fragen nicht Orientierung für mein Kind, die Freunde sind es. Und diese scheinen ALLE aus Elternhäusern zu kommen, in denen ALLES möglich ist und ALLES möglich gemacht wird. Wenn ich meinem Kind glauben darf. Dagegen kann ich nur als knausrig wahrgenommen werden – ob ich es will oder nicht.