Meine Socken-Macke

Ich liebe Ringelsocken. Begründen kann ich es nicht: Meine Begeisterung für sie ist mit Argumenten nicht zu erklären. Sie tragen sich nicht besser als unifarbene Socken, und an anderen Kleidungsstücken vertrage ich Streifen nur sehr dosiert. Ich besitze einige Ringelsocken, und es fällt mir immer schwer, mich von einem Paar zu trennen, das seine besten Zeiten offensichtlich hinter sich gelassen hat. Wieso? Weil sie sich immer nur sehr einseitig abnutzen und dementsprechend völlig ihren Zweck erfüllen! Aus meiner Perspektive sind sie nach wie vor wunderschön anzuschauen. Nur die Unterseite zeigt Gebrauchsspuren, aber die sehe ich ja nicht. Die sieht nur meine Pilates-Trainerin – und dann lächelt sie und sagt sowas wie: „Na, Dagmar, da hast du ja wieder einmal etwas an, was meiner Ansicht nach nicht einmal mehr für den Altkleider-Container geeignet ist.“

Ich sehe die Unterseite meiner Socken nicht, aber irgendwann kommt der Zeitpunkt, da spüre ich sie. Ich spüre unser Parkett – kalt – oder die Fußbodenheizung im Bad – warm – und weiß: Diese Socken sind reif für den Müll. Dann schaue ich sie an (von oben) und werde traurig. Manchmal werfe ich sie dann in die Wäsche und verschiebe das Wegwerfen auf später; denn gewaschene Socken kann ich noch schlechter entsorgen als getragene…

Per Anhalter unterwegs

In meiner Jugend war Trampen ein probates Mittel, um von A nach B zu reisen. Schon damals hatten unsere Mütter Angst um uns, schon damals haben es einige von uns trotzdem gemacht.

Heute denke ich differenzierter darüber nach: Noch immer finde ich, dass das spontane Unterwegssein mit völlig fremden Personen eine besondere Erfahrung ist. Nicht nur sind die Menschen interessant, die anhalten. Die zeitlich sehr begrenzten Gespräche haben eine ganz eigene Dynamik und oft überraschende Tiefe. Ich treffe Menschen außerhalb der eigenen Komfortzone und muss flexibel hinsichtlich des erreichbaren Reisezieles reagieren können. Vielleicht am wichtigsten: Trampen funktioniert nur mit Vertrauen, mit Misstrauen komme ich nicht weiter.

All das ist auf der Haben-Seite, all das trage ich als Schatz mit mir herum. Auf der anderen Seite ist da ein Risiko. Dieses Risiko ist solange kein Problem, wie alles gut läuft. Was aber, wenn meine Tochter beim Trampen doch an den Falschen gerät? Sofort macht der Preis, den sie womöglich bezahlen muss, die gesamte Haben-Seite zunichte. Ohne den Schatz guter Erfahrungen, belohnten Vertrauens und interessanter Begegnungen kann sie sicher auch sehr gut leben – und planbarer und organisierter von A nach B kommen.

Ich möchte meine Erfahrungen in dem Bereich nicht missen – ich war damals eher vertrauensvoll. Bezüglich meiner eigenen Kinder denke ich vorsichtiger. Die Entfernung zu „misstrauisch“ scheint klein zu sein und die sichere Alternative. Als grundsätzliche Haltung ist sie in meinen Augen jedoch absolut nicht erstrebenswert.

Talent – unterschätzt?

Wie wichtig ist Talent? Es gibt Leute, die sagen, Talent habe nur einen kleinen Anteil daran, ob jemand etwas richtig gut kann. Der Rest sei Disziplin und harte Arbeit. Stimmt wahrscheinlich, dazu gibt es sicher diverse Studien. Ich weiß nicht. Ich sehe in meinen Kindern durchaus, dass eine Menge einfach nur gelernt werden kann. Je länger sie sich mit einem Thema beschäftigen, umso besser werden sie damit umgehen können. Trotzdem behaupte ich, dass eine intrinsische Begeisterung – ein vorliegendes Talent – das Zünglein an der Waage ist, wer in einem Bereich gut oder sehr gut ist und wer diese Grenze überschreitet und ein echter Meister seines Fachs wird. – Warum?

Eine Tochter spielt Fußball, eine reitet. Beide können mit den Hobbies der Schwester wenig anfangen. Beide investieren sich sehr gern und ohne elterlichen Druck in ihre eigenen Interessen. Sie sind leidenschaftlich dabei und bringen beide eine Begabung für ihr jeweiliges Gebiet mit. Es stimmt: Dazu muss noch eine Menge Übung kommen, damit die eine eine gute Reiterin, die andere eine gute Fußballspielerin wird. Ich glaube dennoch, dass das vorhandene Talent in ihnen letztlich entscheidend ist. Der entscheidende Faktor, Zeit zu investieren, dranzubleiben, besser werden zu wollen. Ohne diese Bereitschaft geht es nicht. Und wer Kinder hat, weiß, wie schwer es ist, ein Kind – bei aller Lenkbarkeit – für etwas zu begeistern, wofür es kein Talent hat.

Offensichtlich besonders begabt

Meine Nichte hat uns eine Weihnachtskarte geschickt. Sie hat persönliche Worte gefunden, an uns gedacht – das ist schön. Vor allem aber sieht man der Karte selbst an, dass hier ein besonders begabter Mensch am Werk war: Schon auf dem Umschlag ein kleines Bild, das klarstellt: Dies ist ein Weihnachtsgruß. Innen dann eine handgefertigte Karte. Mit wenigen, allerdings gekonnt platzierten Pinselstrichen hat sie bunte Figuren aufs Papier gezaubert. Sie sind nicht ausgeformt oder klar erkennbar, es ist mehr ein Spiel aus Farben. Die Karte ist geschmackvoll gestaltet und spiegelt eine Leichtigkeit wieder, die mir in künstlerischen Dingen total abgeht. Ich bewundere meine Nichte und sehe ihre Begabung, die über das Normale hinausgeht, über das Durchschnittliche ohnehin.

Mein Friseur fällt mir ein, der wirklich gut Haare schneiden kann. Nicht nur besser als die Laienschneiderin in mir, die unseren Kinder mehr oder weniger zufriedenstellend die Haare stutzt. Besser auch als die meisten seiner Zunft. Einfach sehr, sehr gut – und es scheint ihm wenig Anstrengung abzuverlangen. Er muss sich konzentrieren beim Schneiden, er muss etwas tun, es ist Arbeit für ihn. Vor allem aber hat er den entscheidenden Blick, wem was steht, wo noch etwas geschnitten werden muss, damit eine Frisur gut sitzt – nicht nur eine Woche lang.

In der Schule meiner Kinder ist ein Mädchen, die kann ungewöhnlich gut singen. Bei einem Chorauftritt letztens hatte sie ein klitzekleines Solo. Schon beim ersten Ton hat man gehört: Hier singt jemand in einer anderen Liga. Volumen klang da mit, Töne, die nicht nur richtig sind, sondern etwas zum Schwingen bringen in den Zuhörern.

Besonders begabt sind nur wenige Menschen und auf ganz verschiedene Weise. Besondere Begabung ist selten und sofort erkennbar. Wenn ich ihr begegne, zaubert sie mir ein neidloses Lächeln ins Gesicht.

Dreist

Bei Aldi gibt es einen Parkbereich, der mit einem totalen Halteverbot versehen ist – damit die Lieferlaster besser rangieren können. Totales Halteverbot und ein Kreuz auf dem Boden.

Heute kam eine Frau in einem Jeep und parkte dort, obwohl noch viele weitere Parkplätze frei waren – allerdings nicht so nah an Aldis Eingangstür. Das Auto stand da nur kurz, vielleicht sieben Minuten. Ich dachte trotzdem: „Das ist dreist.“ Ich selbst würde das nie, nie, nie machen. Weil ich mich nicht in ein Halteverbot stelle, jedenfalls nicht ohne Not. Und wenn ich bei Aldi einkaufe, bin ich nicht in einer Notsituation.

Es ist sicher nicht schlimm, da kurz zu stehen; man könnte es auch falsch verstandene Hörigkeit nennen, dass ich auf diesem Platz nie, nie, nie parken würde. Dennoch finde ich es dreist. Mehr noch: Ich finde es nicht nur dreist. Noch dazu finde ich es armselig, wenn ich möglichst nah ran muss an den Eingang und nicht bereit bin, ein paar Schritte zu gehen. Armselig und ignorant und arrogant-anspruchsvoll.

Manches „dreist“ bewundere ich und wünsche mir mehr Mut zur Dreistigkeit – in diesem Fall nicht. In diesem Fall hoffe ich, unsere Gesellschaft geht nicht total den Bach runter.

Aufschieberitis

Ich kenne eine, die leidet an Aufschieberitis. Das heißt: Sie leidet nicht wirklich daran – im Gegenteil: Meist tänzelt sie ganz fröhlich und entspannt durchs Leben. Jedenfalls über lange Zeiträume hinweg. Dazwischen geschaltet sind Tage oder manchmal auch Wochen, in denen sie abarbeiten muss, was sich angestaut hat. Hektisch, schnell und unter dem Druck einer einzuhaltenden Frist. In dieser Zeit geht nicht viel anderes, ist sie leicht frustriert und kann dann ihre Aufgaben nicht besonders zufriedenstellend erledigen – es fehlt die Ruhe.

Mich würde das wahnsinnig machen und mir die Tänzel-Zeit dazwischen vermiesen. Ich könnte die langen Phasen der Entspannung nicht als solche erleben, ich würde leiden an meiner eigenen Aufschieberitis. Das ist wahrscheinlich der Grund dafür, dass ich eher ein Vorschuss-Arbeiter bin. Für Leute wie mich gibt es kaum längere Pausen – es gibt immer etwas zu tun.

Ich denke, dass keiner aus seiner Haut kann; aber manchmal beneide ich die Frau mit der Aufschieberitis. Sie wirkt sorglos und zwischendurch echt unbeschwert.

Wenn ich aussuchen würde, wäre ich gern eine Kombination: Ein bisschen von beidem. Es ist eine Gabe, Dinge liegen zu lassen, die nicht drängen. Meine fünf Kinder haben mich schon ein wenig gelassener (und langsamer) gemacht, dafür bin ich dankbar. Aber ein echter Aufschieber bin ich noch immer nicht.

Wie sehe ich aus?

Zum Mittagessen brate ich Zucchinipuffer, ein Essen, das alle mögen, aber mich für eine Weile an den Herd bindet. 13.42 Uhr – ein Geistesblitz: Um 13.45 Uhr habe ich einen Termin in der Grundschule! Ha, Schreck, was tun? Grundstimmung: Schuldgefühle und Hektik, Tunnelblick. Ich rufe an. „Kommen Sie doch noch vorbei, wir schieben Sie dann dazwischen.“ Ich schalte in Erledigungsmodus:

In großer Eile werfe ich mir etwas über, ziehe die Schuhe an, die im Flur stehen, und rase mit dem Rad in die Schule. Ich komme zu spät, klar, sie schieben mich dazwischen. Zwanzig Minuten später stehe ich wieder auf der Straße. Weil ich schon mal in der Stadt bin, gehe ich noch zu Rossmann. Aus dem Augenwinkel sehe ich eine entfernte Bekannte, die sehr auf sich achtet. Wir kennen uns nicht (mehr) gut; ich habe sie früher immer eher als bewertend empfunden. Plötzlich sehe ich mich wie in einem Spiegel: Wanderschuhe mit den Spuren der Feldmark, Hose – genauso, mein geliebter Mantel, den mein Mann eher als Kutte bezeichnet und nur noch für Garteneinsätze geeignet hält. Ich gehe der Bekannten nicht aus dem Weg, bin aber froh, dass sie sich in den Untiefen von Rossmann verliert, während ich schon zahle und den Heimweg antrete.

Zu Hause denke ich der Situation hinterher. Etwas hat mich für einen Moment aus meiner grundsätzlichen „Ich fühl mich wohl in meiner Haut“-Stimmung geworfen. Wieso war es mir plötzlich so bewusst, wie ich aussehe? Wie wäre es mir in der Begegnung mit jemandem gegangen, der auf sich achtet, mich aber gut kennt und mir grundsätzlich wohlgesonnen ist?

Es ist nicht wirklich wichtig, aber es ist mir trotzdem nicht unwichtig, welchen Eindruck ich hinterlasse. Da gibt es ganz allgemeine Konventionen, denen ich mich – meist unbewusst – automatisch beuge: Ich gehe beispielsweise nicht im Schlafanzug zum Einkaufen. Darüber hinaus existiert ein komplexes Geflecht aus Prägung, Selbstwahrnehmung und Selbstbewusstsein, das darüber bestimmt, wie ich mich der Welt aussetze. Es ist mir nur in klar definierten Grenzen egal, wie ich auftrete und was andere von mir denken – ich bin mir dieser Grenzen nur oft nicht bewusst.

Ich geh´ ins Bett.

Feierabend. Wir sitzen im Wohnzimmer, mein Mann und ich. „Wir haben heute im Gottesdienst … gesungen“, sage ich. Er versteht die Information an sich und die Botschaft dahinter. Kein Kommentar nötig, wir sind beide zufrieden.

Eine unserer Töchter geht vorbei: „Wozu haben sie dich gezwungen?“ Wir lächeln müde. Es ist ja schön, wie die Kinder teilhaben an unserem Leben – und auch an jedem dahingeworfenen Kommentar, sei er für ihre Ohren bestimmt oder nicht. Ich kann mich entscheiden, ob ich erkläre, was ich eigentlich meinte, oder sage: „Das war nur für Papa.“ In jedem Fall muss ich eine Erklärung hinterher schieben. Und mein Mann muss sie sich anhören.

Ist ja nicht schlimm. Gar nicht schlimm. Es kommt nur regelmäßig vor. Sehr regelmäßig. Und das zieht uns manchmal die Nerven aus. An einem Tag, an dem schon viel geredet wurde (also im Grunde ziemlich oft) ist das manchmal der Tropfen, der meinen Mann aus dem Wohnzimmer spült: „Ich geh ins Bett.“

Hundehaufen

Zu diesem Thema ist genug gesagt. Mir fehlen ohnehin die Worte – besonders nach einem morgendlichen Gang zum Bäcker auf regennassen Gehwegen.

Brauchen wir Deutschen wirklich für jeden Pups eine Regel, damit das Zusammenleben funktioniert? Und noch dazu für jeden Hundepups? Und auch dann funktioniert die Regel nur, wenn überall jemand rumsteht und auf ihre Einhaltung achtet. Ich fass´ es nicht.

Einkaufen zum Abgewöhnen

Es gibt in unserer Familie einige, die sich das Einkaufen nicht leicht machen. Von vornherein ist wenig Lust vorhanden. Erschwerend kommt hinzu, dass eine sehr genaue Vorstellung des zu erwerbenden Objektes existiert. Die herrschende – oft sehr große – Auswahl an Produkten macht die Sache nicht leichter. Denn: Die ganz genau der Idee entsprechende Variante gibt es oft doch nicht.

Nehmen wir Schuhe. Braun sollen sie sein, braun und schlicht. Mit der Zeit hat sich eine bestimmte Vorstellung entwickelt, wie sie aussehen sollen: Braun, blaue Senkel, wenig Gedöns. Einen Nachmittag kann man damit zubringen, für einen guten Überblick Schuhe zu sichten – im Netz. Um die heimische Wirtschaft zu unterstützen, geht es in die Schuhläden der Stadt. Im dritten wird man fündig: Die ersten Schuhe hier sind braun, aber nicht im richtigen Ton. Die daneben haben den richtigen Ton und sogar Schnürsenkel in blau, das ist gut. Es sind jedoch zu viele Nähte an den Seiten vorhanden. Also doch die anderen braunen Schuhe, das vierte von sieben Paaren. Bei denen stimmt alles – bis auf die Schnürsenkel, die sind nämlich nicht blau. Aber da stehen ja noch die braunen Schuhe mit blauen Schnürsenkeln ohne zu viele Nähte an den Seiten. Die scheinen auf den ersten Blick perfekt. Auf den zweiten und im Tageslicht sind sie etwas zu rötlich. Ein weiteres Paar gibt es noch. Schönes Braun, blaue Senkel, wenig Schnick-Schnack. … Nur die Oberfläche ist so angerauht, nicht ganz glatt. Zu wenig schlicht.

Wenn man Glück hat, passt es am Ende doch.

Und dann braucht´s zu den braunen Schuhen noch einen passenden Gürtel…