Vorgestern war ich laufen, ziemlich früh, weil es im Laufe des Tages heiß werden sollte. Ich war schnell unterwegs – allerdings sicher nicht anders schnell als sonst auch. Sonst habe ich manchmal meinen Mann an der Seite. Er kann nichts dafür, aber neben ihm komme ich mir langsam vor. Seine Beine sind länger, seine Schritte weiter, sein Atmen ruhiger. Meist liegt er eine halbe Armlänge vor mir. Er tut das nicht, um mich zu ärgern – keineswegs. Aber all das hinterlässt bei mir den Eindruck, langsam zu sein. Ich laufe trotzdem gern mit meinem Mann, aber vorgestern war´s ohne ihn auch sehr schön. Ich war schnell unterwegs.
Allzweckwaffe
Ich bin schlechter Laune und unausgeglichen – ich gehe laufen.
Ich möchte meine Ruhe haben, eine halbe Stunde allein sein und nicht abgelenkt von häuslichen Pflichten – ich gehe laufen.
Ich hatte eine Erkältung und habe mich länger nicht wirklich bewegt – ich gehe laufen.
Ich will mich an der frischen Luft auspowern und habe keinen Bock auf Gartenarbeit – ich gehe laufen.
Ich will meiner Freundin mehr als was Nettes zu ihrem besonderen Geburtstag aufschreiben und brauche Ideen – ich gehe laufen.
Ich bin (vielleicht unberechtigt) wütend und weiß nicht wohin mit meiner Wut – ich gehe laufen.
Laufen ist eine Allzweckwaffe, geht (fast) immer, dauert nicht lange, ist total effektiv. Ich praktiziere das schon einige Jahrzehnte, mal sehen wie lange mein Körper noch mitläuft. Ab und an finde ich schon Gefallen an der Alternative – spazieren gehen.
Eine gute Idee
Eine Nische vor unserem Haus eignete sich vor Jahren sehr gut, sie zu bepflanzen. Wir überlegte eine Weile und entschieden uns dann für einen Bambus. Immergrün, winterhart, gut zu schneiden, optisch wirklich ganz schön – diese Pflanze erschien uns wie eine sehr gute Idee. Mein Mann informierte sich im Netz und pflanzte den Bambus in eine Plastikwanne, um ein zu starkes Ausbreiten der Wurzeln zu vermeiden. Immer wieder in den vergangenen Jahren sprossen vorwitzige Wurzeln ÜBER den Rand der Wanne und verkrochen sich im umliegenden Erdreich. Immer wieder kappte mein Mann diese – kein Problem. Jahrelang erfreuten wir uns an diesem Gewächs: Immergrün, winterhart, gut zu schneiden, optisch wirklich ganz schön.
Bis zum letzten Wochenende. Ein etwas intensiverer Blick in das um den Topf liegende Erdreich offenbarte die durchschlagende Wirkung der „guten Idee“: In einer spontanen und kraftraubenden Vormittagsaktion musste der Bambus weichen – und mit ihm jede Menge Wurzelwerk, das sich entschlossen aufgemacht hatte in Richtung Hausdämmung und unter die angrenzende Pflasterung. Die Nische liegt jetzt brach, abgedeckt durch eine Folie, um die verbliebenen Wurzelreste auszutrocknen und davon abzuhalten, sich zu neuen kleinen Bambuspflanzen auszuwachsen.
Freundlicherweise kämpfte unser Nachbar gleichzeitig gegen eine seiner „guten Ideen“: Knöterich wächst so schön an Sichtschutzwänden hoch – und auf der anderen Seite wieder runter. Die über der Erde liegenden Ausläufer sind nichts im Vergleich zu den großflächig und weitreichend im Erdreich wuchernden Wurzeln auf dem eigenen und auf dem Nachbargrundstück.
Hausbesitzer sind eben nicht automatisch Experten in Sachen Gartenanlage. Manchmal braucht es ein paar Vegetationsperioden, um die wirklich guten Ideen von den weniger guten zu unterscheiden.
Hauptsache mitspielen?
Das Zusammenspiel von mehreren Instrumenten oder Stimmen kann sehr schön sein. Jedes Instrument, jede Stimme für sich ist wichtig, aber erst im Miteinander entsteht der besondere Klang eines Orchesters, einer Band, eines Ensembles oder eines Chors. Die Hauptsache in einer Gruppe ist nicht das Vermögen des Einzelnen – ICH, sondern die richtige Balance – WIR. Jeder einzelne Musiker kann sich noch so sehr mühen; für eine gute Balance sollte einer sorgen, der „nicht mitspielt“. Ein Dirigent, der Mensch am Mischpult, ein erfahrener Zuhörer. Wenn alle Mitspieler das tun, was der sagt, der nicht mitspielt, wird aus vielen wohlklingenden ICHs der Hörgenuss WIR.
Party
Zwei Kinder sind auf verschiedenen Geburtstagsfeiern. Meine Tochter übernachtet dort, mein Sohn kommt von seiner Party nachts noch nach Hause. Ich rechne damit, dass sie mir am nächsten Tag auf Nachfrage kurz berichten, wie es war. Weit gefehlt, denn: Noch in der Nacht weiß meine Tochter, was ihr Bruder bei seiner Party macht, und wird es mir am nächsten Tag – ungefragt – erzählen. Wieso? Ihre Freundin ist in einer digitalen Was-weiß-ich-Gruppe mit einem Mädchen, das auf derselben Party weilt. Zwar fragen meine Tochter, deren Freundin und ich nicht, was genau mein Sohn auf seiner Party erlebt. Informiert werden wir trotzdem. Privatsphäre adé.
Das wäre mir in seinem Alter auf den Keks gegangen.
Erkenntnis
Bei Teenagern haben Stimmungen eine kurze Halbwertzeit. Das ist manchmal gut, manchmal schade – und ähnlich berechenbar wie die Wechselhaftigkeit des Wetters an der Küste. Trotzdem mag ich beide: Teenager und Küsten. Nur nicht immerzu in meiner Nähe.
Sehenswert
„Ich fand den Film sehenswert“, sage ich, „und du?“ Mein Mann zögert kurz und antwortet dann: „Kannst du ihn mir erklären?“ Wir haben gerade zusammen „Kindeswohl“ geschaut. „Was soll man da erklären?“, denke ich, „Der Roman wurde gut umgesetzt, und das Thema an sich ist schon interessant.“
Ich versuche es trotzdem: Abgesehen davon, dass es um eine Auseinandersetzung mit dem Gesetzesverständnis der Zeugen Jehovas geht, ist es ein Film über eine Frau. Und ihre Fähigkeiten im Beruf, die ebenso groß sind, wie ihre Unfähigkeiten in Beziehungsfragen: Eine Richterin, die zu viel arbeitet, trifft Entscheidungen im Gerichtssaal. Dort ist sie klar, entschieden, souverän. Zu Hause liegt ihre Ehe in Scherben. Dann kommt ein Fall, für den sie – freiwillig – den Gerichtssaal verlässt und einem jungen Mann das Gefühl gibt, kein Objekt, sondern ein Mensch zu sein. Ihre Entscheidung danach im Gericht ist wieder klar, entschieden und souverän. Als aber dieser Jugendliche hinterher Kontakt zu ihr aufnehmen, ihr danken will und eine (wie auch immer geartete) Beziehung zu ihr möchte, weist sie ihn fast schroff ab. Am Ende verweigert er sich – auch wegen ihres Verhaltens – dem Leben. Mit dieser Schuld wird sie immer leben müssen.
Man kann natürlich darüber streiten, wie sie sich sonst hätte verhalten sollen, ob eine Vermischung von Beruf und Privatsphäre möglich und schlau gewesen wäre. Natürlich kann sie als Richterin nicht jeden Fall wortwörtlich mit nach Hause nehmen. Darum geht es aber gar nicht – meiner Meinung nach. Für mich geht es darum, dass das Gesetz allein nicht genug ist für das Leben: Als Richterin wollte die Frau, dass der junge Mann lebt; als Mensch wollte sie mit ihm nichts zu tun haben. Das reichte dem jungen Mann nicht zum Leben-Wollen.
Die Geschichte illustriert ganz hervorragend, wie schwierig manchmal richtig und falsch voneinander zu trennen sind, wie komplex das Leben ist und wie schwierig manche Fragen im Leben zu beantworten sind. Ganz abgesehen davon, dass solche Gedankengänge nicht jeden gleichermaßen interessieren und ich vielleicht mit meiner Interpretation ganz falsch liege: Ich finde den Film allein aufgrund von Emma Thompsons Vorstellung sehr sehenswert. Das hätte mir schon gereicht.
Nicht schön
Abgesehen davon, wie modebewusst Männer sich kleiden, gibt es gewisse „Zusätze“, die kleidsam oder störend sind. Kürzlich fiel mir (mal wieder) ein Mann auf, der modisch gekleidet war und schlicht. Die schmale Hose entsprach dem heutigen Stil, das weiße Hemd auch. Soweit alles gut, aber etwas passte nicht: Handy, Portemonnaie und wahrscheinlich ein riesiges Schlüsselbund erzeugten ausgebeulte Hosentaschen – vorn und hinten. Ich habe wirklich keine Ahnung, wie Männer dieses Gepäckproblem geschickter angehen sollten. Handtaschen sind meiner Meinung nach keine Alternative. Aber diese Beulen sind einfach nicht schön.
Mal schauen
Hinsichtlich meiner Garderobe verwende ich gern weiter, was andere Menschen aussortieren. Es gefällt mir, wenn ich tragen kann, was es ohnehin schon gibt. Außerdem ist mir die Fülle an Angebot oft zu viel – die Entscheidung für DAS Richtige fällt mir schwer. Deshalb überlasse ich die Vorauswahl gern jemandem, der einen mir gefälligen Stil hat und bereit ist, seine Sachen abzugeben. Wo geht das besser als auf einem Flohmarkt? Genau. Da kann ich mal schauen und mich überraschen lassen. Einziges Problem: Ich bin kein Flohmarkt-Fan. Es macht mir keinen Spaß, die einzige Perle unter jeder Menge Ramsch zu suchen. Aber dieses Wochenende gibt’s einen klitzekleinen, sehr überschaubaren Flohmarkt bei mir in der Nähe. Letztes Jahr war ich dort schon einmal sehr erfolgreich. Dieses Jahr versuche ich es wieder. Vielleicht finde ich etwas, vielleicht nicht. Ohne konkrete Vorstellung kann ich ganz entspannt mal schauen!
Wie praktisch
Eine Lebensphase im Leben vieler deutscher Familien ist die Phase der Plastikdosen. Die Familie wächst, der Bedarf an Behältern jeglicher Art ebenso: Salatschüsseln, Vorratsdosen, Brotdosen und so weiter. Nur von vornherein und ganz Entschlossenen gelingt es, an einem bestimmten Plastikdosen-Produzenten komplett vorbei zu kaufen. Zu diesen gehörte ich nicht. Ich wurde hin und wieder eingeladen und habe einige Produkte erstanden. Sie sind lange haltbar – das ist ein wichtiges Markenzeichen der Firma. Dies ist sehr praktisch: Ist man einmal ausgestattet, bleibt man das ein halbes Leben lang. In der Hälfte danach muss man nicht mehr so viel aufbewahren.
Aus anderer Perspektive oder ein paar Jahre später kann die gute Haltbarkeit aber auch unpraktisch sein: Mein Mann zum Beispiel steht mit manchen Verschlüssen der Firma auf Kriegsfuß. Seiner Meinung nach sind diese weder gut durchdacht noch praktisch. Er sehnt den Tag herbei, wenn wir uns von bestimmten Behältern trennen werden. Weil wir erst entsorgen, wenn Dinge kaputt sind, wartet er wahrscheinlich noch eine Weile.