Aufmerksamkeit

Letztens las ich einen Artikel, der besagte, die Aufmerksamkeitsspanne von Menschen sei unter die von Goldfischen gesunken – von zwölf Sekunden im Jahr 2000 auf acht Sekunden in 2016; Goldfische können sich neun Sekunden auf eine Sache konzentrieren. Das heißt, dass spätestens an dieser Stelle in meinem Text ein verbaler Höhepunkt folgen sollte, damit Sie überhaupt weiter lesen. Aber vielleicht habe ich Sie schon verloren, weil es ihnen von vornherein nicht gefällt, über derartige Dinge nachzudenken? Oder Ihr Handy geklingelt hat? Oder sich die Frage nach den Wetteraussichten für die nächsten zwei Stunden in ihr Gehirn schleicht. Dagegen habe ich schlechte Karten, zumal ich Ihnen nichts zu bieten habe – außer verständlich (und eventuell interessant) geschriebene Texte.

Dabei stellt sich doch ganz offensichtlich vor allem die eine Frage: Woher wissen wir, wie lange sich ein Goldfisch konzentrieren kann? Wer untersucht so etwas und warum? In derselben Studie hieß es, ein Goldfisch könne sich zwölf Tage lang an eine Futterquelle erinnern. Da ich nicht weiß, wo ich vor anderthalb Wochen unser Mittagessen gekauft habe, bin ich also mit einem schlechteren Erinnerungsvermögen ausgestattet als ein Goldfisch? Diese haben als Haustiere, die gefüttert werden, einen gewissen Vorteil mir gegenüber – in einem Gartenteich gibt es schließlich nur einige Orte, an denen Futter auf der Oberfläche landet. Ich dagegen kann wählen zwischen Supermarkt, Bauer um die Ecke, Markt in der Stadt… , eventuell eigener Garten???

Wenn Sie bis hierher gelesen haben: Ist Ihre Aufmerksamkeitsspanne deutlich höher als die des Durchschnittslesers? Sind Sie besonders an Goldfischen und ihrem Fressverhalten interessiert? Oder ist dieser Text so toll geschrieben, dass Sie begeistert gern noch weiter lesen würden? Wenn ja, ist das dann auch der Beweis dafür, dass der Inhalt weniger wichtig ist als die Schreibe? Lass ich mich mal in dem (Irr-) Glauben!

In Kontakt bleiben

In den 80er Jahren im ländlichen Raum nahe Potsdam: Wir haben Telefon, aber das nutzt einem manchmal gar nichts, weil so viele andere kein Telefon haben. Briefe von Kleinmachnow nach Ziesar brauchen circa fünf Tage – in der Zeit könnte man die Strecke auch zu Fuß zurücklegen. Mehrmals. Wir schreiben trotzdem Briefe.

1991 in Australien: Überall Telefonzellen; mit einer Visa- oder Mastercard kann man sich um die Unmengen an Kleingeld drücken, die man bräuchte, um nach Deutschland zu telefonieren. Nach 50 Dollar wird man automatisch unterbrochen – gut für den Geldbeutel. Meine vollfotografierten Filme habe ich mit der Post unentwickelt nach Deutschland geschickt – die lieben Verwandten haben dann mit leichter Verzögerung nacherleben können, was mir so passiert ist.

1994 in Tansania – Dar-es-Salaam: Irgendwo in einer Art Telefoncenter morgens ein Gespräch nach Deutschland angemeldet, stundenlang auf ein Durchkommen gewartet, abends wieder abgemeldet. Briefe dauern drei Wochen. Als ich in Tegel lande, erwarten meine Eltern eine zum Skelett abgemagerte Afrika-Reisende, dabei war mein vor Wochen im Brief erwähnter Durchfall schon längst wieder Geschichte.

1998 in Deutschland: „Fernbeziehung“ zwischen Heidelberg und Celle. Briefe dauern in der Regel einen Tag (und man schreibt sie immer noch), Telefonieren ist vergleichsweise teuer – Telefonkarten für die noch existierenden Telefonzellen sind in verschiedenen Preis-Kategorien erhältlich: Ich nehme immer die `ganz teuren´ für 50 DM und verbrauche mehrere im Monat.

2017 in Deutschland: Telefonzellen sind über die Jahre verschwunden. Manche Leute haben überhaupt keinen Festnetzanschluss mehr! Postboten bringen hauptsächlich Rechnungen oder Werbe-Dinge, selten Postkarten – gehäuft meist um Geburtstage oder Weihnachten herum. Briefe brauchen noch immer einen Tag – wenn nicht, regen wir uns auf. Telefone sind weniger zum Telefonieren da als zum Kommunizieren in anderer Form. ALLES wird geteilt, sofort und immerzu, meist mit Foto. Haben wir deshalb jetzt mehr Kontakt?