Entschieden angepasst

Als angepasst gelten wir nur ungern, oder? Es klingt ein bisschen negativ: „Der ist so angepasst, der zeigt wenig Profil.“ Angepasste Menschen reagieren eher als zu agieren und haben keine klare eigene Meinung. Sie sind meist von jedermann gut gelitten, können aber leicht überrollt werden – und schon funktioniert Gemeinschaft nicht mehr so gut. Vorteil: Sie sind eher kompromissbereit. Nachteil: Sie knicken schnell ein. Über angepasste Menschen kann man sich herrlich ärgern.

„Die vertritt sehr entschieden ihre Meinung“, klingt nicht unbedingt positiv. Entschieden lässt wenig Spielraum für andere Optionen und kann sich deshalb kompromisslos anhören. Kompromisslos wollen wir nicht sein, außerdem ist es nicht hilfreich im Miteinander. Vorteil: An entschiedenen Menschen können wir uns gut orientieren – sollten wir selbst keine ganz so klare Position innehaben. Nachteil: An der klaren Position entschiedener Menschen entzündet sich so manche Auseinandersetzung. Mit entschiedenen Menschen kann man sich herrlich streiten.

Im Miteinander ist dauerndes Abwägen gefragt zwischen Anpassungsfähigkeit und Entschiedenheit. Ein gutes Miteinander funktioniert nur mit ehrlichen Meinungsäußerungen UND Kompromissen. Mal wieder braucht´s eine gute Balance.

Jogginghosen

„Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“
Karl Lagerfeld

Jetzt ist Karl Lagerfeld gestorben, aber ich hätte ihn auch vorher schwerlich fragen können, ob er das wirklich ernst gemeint hat. Oder ob dieser Satz ebenso zu seiner ganz persönlichen Performance in der Öffentlichkeit gehört hat wie sein Outfit mit Sonnenbrille, gepudertem Zopf und hohem Hemdkragen. Natürlich alles in schwarz/weiß.

Es ist ein Satz, der einen schmunzeln lässt – egal ob man Jogginghosenträger ist oder nicht. „Ist da was dran?“, frage ich mich. Ich habe den Wechsel vom absoluten Jogginghosen-Gegner zum Jogginghosenträger schon vor Jahren vollzogen – und keinen Kontrollverlust dabei empfunden. Vielleicht sieht man den auch nur von außen, keine Ahnung. Ich lasse meinen Sohn sogar mit Jogginghose in die Schule. Solange er die Teile bequem findet und nicht peinlich, gibt es andere Dinge, die mir deutlich wichtiger sind für sein Auftreten in der Öffentlichkeit. Und auch für sein Selbstbild.

Der Satz selbst beschreibt einen Massenzwang – selbst auferlegt -, dem ich mich nur ungern beugen möchte. Solange wir derartige Sätze „chic“ finden, haben wir nicht verstanden, wie viel wichtiger unser Verhalten als unsere äußere Erscheinung ist. In Verbindung mit Karl Lagerfeld ist der Satz aber auch ein Vermächtnis – selbst auferlegt -, dem er sich vielleicht gar nicht wirklich gebeugt hat: Ich will ihm nicht unterstellen, dass er ein oberflächlicher Mensch war. Es kann sogar sein, dass er seinen Worten deutlich weniger Gewicht beigemessen hat als die Welt um ihn herum. Sie sind nur (leider) die ersten und vielleicht einzigen, die uns zu Karl Lagerfeld einfallen.

Was man in der Schule lernt – und was nicht

Mein jüngster Sohn kann sprechen und zuhören. Das hat er zu Hause gelernt, neben vielen anderen Dingen, die nichts mit der deutschen Sprache zu tun haben. Er weiß, dass man miteinander reden kann – direkt oder per Telefon. Für andere Kommunikationswege und auch, um noch mehr zu lernen, muss man schreiben und lesen können. Das – und viele andere Dinge – lernt er in der Schule, er ist in der vierten Klasse. Deutschunterricht ist wichtig, aber auch mühsam, denn unsere Sprache hat viele Worte und ein kompliziertes Regelwerk. Wir helfen ihm, indem er zu Hause redet, liest und manchmal etwas schreibt.

Heute kam er aus der Schule nach Hause und sagte als erstes: „Mama, das war so cool – wir hatten keinen Deutschunterricht.“ „Wieso? Kannst du schon alles oder war die Lehrerin krank?“ „Nein, wir hatten stattdessen Klassenrat, weil XY gemobbt wird. Über WhatsApp, da werden von anderen Mitschülern blöde Sachen über sie ins Internet gestellt. Das kann jetzt die ganze Welt sehen – naja, vielleicht nicht die GANZE, aber doch ziemlich viele Leute. Und die Dinge bleiben ja da stehen, weißt du?“

Ja, weiß ich. Noch bevor die Kinder heutzutage wissen, wie man richtig Schreckschraube schreibt, bezeichnen sie einander so und schlimmer – aber nicht mehr direkt von Angesicht zu Angesicht, sondern von einem mobilen Handgerät zum nächsten. Und „alle Welt“ kann daran teilhaben. Es ist wichtig, dass die Kinder darüber sprechen – keine Frage. Aber ich denke, für diese Lernfelder sind die Eltern zuständig. Deutschunterricht hilft Kindern, gut mit ihrer Muttersprache umzugehen. Eltern helfen ihren Kinder, gut miteinander umzugehen. Wenn es sein muss auch mittels eines Gerätes, das Kinder bedienen können, ohne lesen und schreiben zu können.

Schule kann sich nicht um die gesamte Erziehung kümmern – auch wenn wir gern jemanden hätten, den wir für alles verantwortlich machen können.

Was willst du mir damit sagen?

„Du siehst blass aus mit der Mütze“, habe ich beim Laufen meinem Mann zugeraunt. Warum? Ich weiß es nicht. Es war mir schon vor ein paar Tagen aufgefallen, als wir uns anzogen: Die schwarze Mütze macht ihn blass, zumal er mitten im Winter ohnehin nicht soviel Farbe im Gesicht hat.

Seine Reaktion: „Aha. Interessant. Was willst du mir damit sagen? Es könnte sein, dass du mich motivieren möchtest, mir eine andersfarbige Mütze zu kaufen. Vielleicht sollte ich auch – um der Optik willen – ganz auf eine Kopfbedeckung verzichten? Was – und vor allem wen!!! – interessieren meine abgefrorenen Ohren! Oder aber du wunderst dich, dass ich überhaupt blass bin, und machst dir Sorgen? Es könnte auch sein, dass du mir mitteilen möchtest, dass ich wirklich nicht gut aussehe und doch mal etwas dagegen tun könnte – was auch immer das sein könnte.“

Abgesehen davon, dass ich während des Laufens – im Gegensatz zu sonstigen Gelegenheiten – nur höchst selten zu langen Debatten aufgelegt bin, glaube ich: Mein Satz war eine lapidar dahingeworfene Bemerkung, ganz ohne Sinn und Verstand und vor allem ohne ein anvisiertes Ziel. Aus Sicht meines Mannes gibt es das nicht – zweckfreie Kommentare. Irgendeine Motivation steckt hinter jeder Aussage. Wenn das stimmt, muss ich bekennen: Ich kenne meine Motive nicht, ich werde aus mir selbst nicht schlau. Und obwohl ich weiß, welches Gedankenkarussell ich bisweilen bei meinem Mann auslöse, schwappen derartige Sätze immer wieder aus mir heraus. Ohne dass ich genau weiß, was ich mit ihnen sagen will. Wahrscheinlich vor allem dieses: „Du siehst blass aus mit der Mütze!“

Tutorials

Manchmal brauchen wir Hilfe. Wir können jemanden fragen, in Lexika schauen und seit einigen Jahren vermehrt „das Internet befragen“. Dort gibt es Antworten auf alle möglichen Fragen, Gebrauchsanweisungen zu allen möglichen Themen. Diese heißen Tutorials und es gibt sie gesprochen oder schriftlich. Wenn man etwas nicht weiß, sucht man sich eins und schwups – versteht man hinterher mehr. An sich ist das eine super Sache: Du kannst irgendwo am Rechner sitzen und dich schlau machen darüber, wie man bestimmte exotische Früchte aufschneidet, wie sich aus einer Aloe vera eine Hautlotion herstellen lässt, wie die Nabenschaltung am Fahrrad wieder zusammengebaut wird oder wie Computerprogramme funktionieren. Einige aus unserer Familie haben schon oft auf diese Form der „Nachhilfe“ zugegriffen – mit guten Erfolgen, vor allem was die Zeitersparnis angeht: Sich Dinge selbst beizubringen oder alles auszuprobieren, dauert einfach länger.

In letzter Zeit bin ich selbst des öfteren auf der Suche nach Informationen, die nicht im Lexikon stehen: Internetprogramme zum Beispiel ändern sich so schnell, dass man häufig nur im Netz aktuelle Gebrauchsanweisungen findet. Zudem ist meine persönliche Verständnis-Grenze (von wegen „selbsterklärend“) in technischen Fragen schnell erreicht. Also habe ich gegoogelt, meine Fragen in Chatrooms gestellt und Tutorials angeklickt. Leider musste ich feststellen, dass es Menschen gibt, die ihre Erklärungshilfe anbieten, obwohl sie nicht gut erklären können. Sie mögen sich auskennen auf „ihrem“ Gebiet, aber sie können ihre Ratschläge entweder nicht in Worte fassen oder bereiten sich nicht vernünftig darauf vor. Und das ärgert mich. Ich habe kein Recht, mich zu ärgern – die Informationen sind kostenlos und frei verfügbar. Aber dieser Dilettantismus im Internet, der geht mir auf den Keks. Da dreht jemand ein Video, der schlecht organisiert ist, zu schnell oder zu langsam redet, sich verzettelt und mich am Ende ähnlich ratlos entlässt, wie ich aufgeschlagen bin… (Und, nein, es hilft auch nicht, mehrmals dasselbe zu schauen!)

Die Zeit, die ich sparen will, muss ich dahinein investieren, das Tutorial zu finden, das mir tatsächlich weiterhilft.

Gesprächig

Unser ältester Sohn macht momentan ein Praktikum und geht morgens als Letzter aus dem Haus. Dementsprechend sitzt er allein – mit mir – am Frühstückstisch. Es interessiert mich, wie ihm sein Praktikum gefällt, wie lange er arbeiten muss, ob er nächste Woche tatsächlich die Abteilung noch einmal wechselt und warum er heute Obst mit Müsli isst. Er: „Mama, ich will dir mal was erklären. Es gibt Menschen, die morgens schon sehr gesprächig sind. Zu dieser äh … Sorte Menschen gehöre ich nicht. Wenn die gesprächigen die nicht so gesprächigen morgens ansprechen, ist es für beide anstrengend. Da wäre es dann besser, wenn man einfach mal den Mund hält.“

Ich muss lächeln, denn eine Erinnerung zieht durch mein Hirn: Studienzeiten in Freising. Ich habe nicht nur studiert, sondern auch gearbeitet. Meist bin ich morgens mit einer befreundeten WG-Mitbewohnerin aufgebrochen in unseren Gartenbaubetrieb zum „Schaffen“. Später, als ich geheiratet habe, hat sie mir ein selbst gedichtetes Lied vorgesungen. Auf Schwäbisch, denn sie „schwätzt halt so“. Eine Strophe darin lautet:

„Woisch no, wia mir boide zamma on Jaibling zum ersten Mal gfrühstück hend – es war so gega dreiviertel sechse, dass mir morgens do gsessa send.
Wia an Wasserfall hosch do scho gschprudelt, noch ra Frag aber glei erkennt, dass morgens früh zo sora Uhrzeit net alle Leit so gschprächig send.“

Der Kern der Persönlichkeit ist unveränderlich, vielleicht sogar genetisch. Allerdings scheint Gesprächigkeit nicht dominant vererbt zu werden.

Wiederkehrend

Ich gratuliere gern schriftlich – zu Geburtstagen, Hochzeitstagen und so weiter. Die Karten, die ich schreibe, sind meist nicht ganz kurz und gehen immer über den Standardwunsch „Herzlichen Glückwunsch zum …“ hinaus. Oft fließt in meine Wünsche hinein, was mir für den Betroffenen wünschenswert erscheint, aber auch, was mir selbst wichtig wäre. Dabei wandeln Wünsche sich im Laufe der Zeit: Über „einen guten Berufseinstieg“ oder „Erfüllung und Nähe in der noch jungen Beziehung“ sind wir in unserem Alter hinaus, bei „beste Gesundheit“ sind wir noch nicht ganz angekommen. Was wir uns wirklich wünschen, wird jedoch mit den vergehenden Jahren überschaubarer.

Während ich also eine weitere Karte schreibe, frage ich mich manchmal, ob ich im vergangenen Jahr dasselbe geschrieben und gewünscht habe: „Gute Prioritäten“ oder „eine gute Mischung aus Arbeit und Freizeit“, „Freude am Job“ oder „einen guten Draht zu den halberwachsenen Kindern“ – all das sind gute Wünsche, aber Jahr für Jahr? Ich kann nur hoffen, dass ein Jahr reicht, meine gut gemeinten Wünsche vom letzten Jahr zu vergessen, und die Karte mittlerweile ohnehin schon wieder den Weg aller Karten gegangen ist – über den Papiermüll, durch die Recycling-Anlage hinein in ein neues Leben als leere Postkarte.

Beredtes Schweigen

Manches Schweigen ist einfach nur nervig. Da fragt man was, da sagt man was – und es kommt keine Antwort. Warum auch immer. Mir geht das auf den Keks. Vielleicht weil ich selbst ungern eine Antwort schuldig bleibe.

Etwas ganz anderes ist beredtes Schweigen – doch das beherrschen nur wenige Leute. Gemeint ist ja nicht ein Stillsein mit Augenrollen, das meist einen Hauch von Verachtung in sich trägt. Auch nicht gemeint ist ein Nicht-Reagieren, mit dem man den anderen zappeln lässt: „Dazu sage ich jetzt nichts, vielleicht später, wart mal noch ein Weilchen.“ Es wird gern als Macht-Demonstration eingesetzt.

Beredtes Schweigen ist das, was mir von einem schlauen Menschen bisweilen entgegenschlägt, wenn ich nach langem Überlegen, Abwägen, Zögern wortreich zu derselben Erkenntnis gelangt bin wie er. Manchmal ist es mir peinlich, dass ich so lange gebraucht habe. Öfter freue ich mich einfach nur über das stille Einvernehmen.

(Fast) alles falsch

Eine unserer Töchter kam kürzlich mit zwei Arbeiten von der Schule nach Hause. Chemie und Physik – wir wussten vorher, dass das nicht ihre starken Fächer sind. Das Ergebnis: in beiden Fällen (fast) alles falsch.

Weil sie ziemlich geplättet war, den Tränen nah, wollte ich trösten, aufbauen, ermutigen.

„Ist nicht so schlimm, nimm´s dir nicht so zu Herzen“, sagte ich. Falsch, denn: „Ich will aber keine 4 auf dem Zeugnis haben, Mama, Chemie ist epochal.“

„Du kannst doch nächstes Mal vorher fragen, damit du das Thema verstehst“, sagte ich. Falsch, denn: „Ich dachte doch, ich hatte es verstanden. Ich dachte, ich kann das!“

„Du kannst ja das Wochenende nutzen, dir von deinem Bruder Chemie und Physik erklären zu lassen“, sagte ich, „oder auch zu mir kommen. Ich gebe mein Bestes.“ Falsch, denn: „Ich kann aber nicht den ganzen Samstag Chemie und Physik lernen. Das verdirbt mir ja das ganze Wochenende.“

Alles, was ich gesagt habe, war falsch. Was wäre richtig gewesen? Ich habe keinen Schimmer. Nächstes Mal halte ich die Klappe – eine Option, die für meine Tochter in ihren Chemie- und Physikarbeiten nicht ohne unangenehme Folgen bleibt.

Anders als früher

Wenn ein Kind geboren wird, hat die Mutter es in der Hand, wie wichtig sie für ihr Kind ist. Wenn ich als Mutter die Beziehung zu meinem Kind will und da bin, werde ich DIE Bezugsperson schlechthin sein und der Mensch, an dem es sich hauptsächlich orientiert. Bei uns hieß das: Sobald es Worte gab, war ich die Anlaufstelle für alles: „Mama, ich muss dir was erzählen.“

15 Jahre später frage ich einen meiner Söhne, mit wem er über wichtige, persönliche Dinge reden würde. Die Antwort: „Mit dir am allerwenigsten!“

Schmeckt erstmal bitter, ist aber eine gute Entwicklung – so muss es sein.

Wer weiß: Vielleicht wird es in weiteren 15 Jahren wieder mehr Gesprächsbedarf von seiner Seite geben. Es liegt nicht mehr in meiner Hand, aber ich bin da.