Am besten – nicht jetzt

„Darauf kann ich meinen Mann nicht ansprechen, wenn er von einem stressigen Arbeitstag nach Hause kommt. Da muss ich warten, bis sich ein günstiger Zeitpunkt bietet“, sagt eine Freundin, deren Computer den sachverständigen Blick ihres in Technikfragen bewanderten Mannes gebrauchen könnte.

Bei uns ist es genauso: Es gibt geeignete und ungeeignete Momente für Anfragen von mir an meinen Mann. Ich weiß das, ich bin nur noch immer nicht erwachsen und geduldig genug, auf die geeigneten zu warten, wenn mich irgendwo der Schuh drückt…

Unablässig

Unablässig, ununterbrochen, unentwegt, fortwährend, pausenlos, beständig, unausgesetzt, ohne Unterlass…

Diese Worte beschreiben das Redebedürfnis eines meiner Kinder sehr treffend. Jeder Gedanke wird artikuliert, jeder Anblick kommentiert, jede aufkommende Frage formuliert.

Es gibt Tage, an denen ich damit gut umgehen kann und mich sogar freue über das Mitteilungsbedürfnis, die Wissbegier und die Unmenge an Information, die in diesem jungen Hirn schon Platz hat. Es gibt andere Tage, an denen ich weniger auf Empfang stehe, als nötig wäre, um erfreut auf den ununterbrochenen Redestrom meines Kindes zu reagieren. Heute ist ein Tag, an dem ich unablässig üben kann, geduldig und freundlich zu bleiben.

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold

Mein Sohn hat einen Rüffel bekommen (nicht von mir!), weil er sich nicht an eine Abmachung gehalten hat. Für ihn war seine Grenzüberschreitung eine kleine Sache; die empfangene Schelte kam ihm überzogen vor. Die ganze Sache ist kein Drama, aber mein Sohn ist wütend und artikuliert das auch – mir gegenüber.

Ich bin ratlos, wie ich reagieren soll, empfinde seine Wut als dem Vorfall unangemessen. Eine Weile höre ich mir an, wie er sich über die „ungerechte Strafe“ aufregt. Offenbar sucht er bei mir auch nach Bestätigung seiner Sicht: „Wie blöd ist das denn?“ Ich weiß nicht und werfe einen Satz ein, den ich von meiner Oma gelernt habe: „Liebe Seele hab` Geduld, es haben alle beide Schuld.“

Ganz falsch. „Immer schlägst du dich auf die Seite der anderen, nie stehst du einfach nur zu mir“, ist die prompte Reaktion meines Sohnes, und das Gespräch ist vorbei.

Was wäre besser gewesen? Nach einer Weile dämmert`s mir: Gar nichts zu sagen. Ich hätte es wissen können: „Hör mir zu und sag nichts“ ist genau das, was ich mir oft als Reaktion wünsche. Für „Hör mir zu und sag was“ brauche ich meist ein paar Tage in der Schmoll-Ecke.

Was noch bleibt…

Dankbarkeit macht großzügig,
Großzügigkeit macht dankbar,
Ehrlichkeit – ohne Liebe – verletzt,
Ehrlichkeit – mit Liebe – klärt Beziehungen,
Hilfsbereitschaft freut,
Gastfreundschaft entspannt,
Vertrauen macht mutig,
Misstrauen zersetzt,
Neid vergiftet,
Gelassenheit entspannt,
Spontaneität ist einladend (manchmal auch anstrengend),
Zufriedenheit lässt staunen,
Kompetenz beruhigt,
Arroganz nervt,
Hochmut verärgert,
Disziplin macht erfolgreich (und manchmal hart),
Fragen erweitern den Horizont.

Was bleibt …

Lob baut auf,
Kritik – unsensibel geäußerte – entmutigt,
Verachtung demütigt,
Begeisterung steckt an,
Wut schüchtert ein,
Gleichgültigkeit verunsichert (und regt auf),
schlechte Laune geht auf die Nerven,
Ermutigung macht zuversichtlich,
Anteilnahme tut gut,
Aufmerksamkeit zeigt Wertschätzung,
Desinteresse macht wütend,
Empathie tröstet,
Schweigen macht leise,
Sprechdurchfall ebenso.

Vom Reden und Hören!

Meiner Beobachtung nach ist es in den seltensten Fällen so, dass ein Gespräch nach klar definierten, alle Beteiligte zufriedenstellende Parameter abläuft. Nur mit wenigen Menschen gelingt ein Dialog nach folgendem Muster: Fragen, zuhören, abwarten, nachfragen, fertig erzählen lassen und dann vielleicht selbst vorsichtig die eigene Position dazu verkünden – aber nur, wenn das gewollt ist. Was ich stattdessen immer wieder erlebe ist: Fragen, aufs Stichwort warten und dann die eigene Geschichte zum Besten geben. In uns steckt ein unbändiger Drang, die eigenen Gedanken loszuwerden. Beim Punkt „zuhören“ wird es für viele schwer. Auch für mich!

Das Problem ist: Das Erzählen von Geschichten macht noch kein Gespräch. Ohne Zuhören geht’s nicht.

Warum konkret, wenn allgemein auch reicht?

Mega cool, echt hart, super krass – unsere Kinder verwenden Formulierungen, die uns zum Nachfragen anregen: „Was meint ihr damit?“, fragen wir und ernten eine gewisse Erklärungsnot. So genau hatten sie darüber nicht nachgedacht. Cool muss reichen. Aber was ist denn nun cool? Gibt es nicht auch andere Worte, um etwas Großartiges, Interessantes, Spannendes, Überraschendes zu beschreiben, was schön, reizvoll, fantastisch, atemberaubend anzusehen ist oder sich besonders weich anfühlt, ein Kribbeln im Bauch auslöst oder eine Gänsehaut und eventuell zusätzlich noch ungewohnt lebendig in den Ohren klingt, sich bezaubernd melodiös, klangvoll, ergreifend, spielerisch anhört? Oder hat da eine Mannschaft einfach nur sehr gut Fußball gespielt?

Wahrscheinlich überfordert die Kinder die Qual der Wortauswahl. Cool, hart und krass sind zwar unkonkret, stimmen dafür immer – auf die Spitze getriebene Sprachökonomie.

Frag mich nicht?

„Die Frage kann man nicht stellen, Mama. Das ist, als würdest du von einem Grundschüler wissen wollen, was 34 zum Quadrat ist“, schimpft mein 17-jähriger Sohn. Wieso? Weil ich verstehen will. Ich will wissen, wozu Snaps dienen, wenn die Dinger überhaupt so heißen. Snapchat ist eine Art der Kommunikation, die sich mir nur bedingt erschließt: Man kann Bilder und kurze Texte verschicken. Diese Bilder und Texte sind für den Empfänger nur solange sichtbar, wie der Absender es wünscht – und nur ein Mal. Wenn ich das regelmäßig mache, kann ich Flammen sammeln; wenn ich einen Tag unterbreche, sind alle gesammelten Flammen weg. Soweit so klar.

Was mir nicht klar ist: Wozu machen die jungen Leute das? Geht es darum, Beziehung zu bauen? (Das war, nebenbei gesagt, die Frage, die ich nicht stellen durfte! Zu viel Sinn-Suche …) Oder steht das Flammen-Sammeln im Zentrum der Bemühungen? Ich würde es gern verstehen. Wenn es besonders schöne Fotos wären oder besonders raffinierte Texte – in Ordnung. Aber soweit ich sehe, ist der Inhalt völlig nebensächlich: Es kann auch ein Foto von einer Tischplatte sein.

Wahrscheinlich habe ich mich mit 16, 17 auch nicht bei allem nach dem dahinter liegenden Sinn gefragt. Ich war und bin kein Mensch, der unablässig erst denkt und dann tut. Wenn mich aber jemand nach dem Wozu fragt, würde ich nach einer ehrlichen Antwort suchen. Und lautete diese: „Weil das alle so machen, weil man das heute so macht, weil das zu meiner Generation dazugehört…“, würde ich zucken und neu überlegen, ob ich selbst das auch so halten möchte. Hoffe ich.

Dynamik

Ohne Gespräch sind Beziehungen schwierig bis unmöglich; aber manchmal entwickeln Worte eine ungeplante Dynamik.

Der Ton macht die Musik, sagt man, und es stimmt: Es geht laut, leise, genervt, gelangweilt, begeistert, mitreißend, wütend, entspannt, verständnis- oder auch vorwurfsvoll … Auch der Zeitpunkt ist nicht unerheblich: Kurz vor dem Schlafengehen oder zwischen Tür und Angel sind nicht die günstigsten Gelegenheiten für schwierige Themen. Zudem gibt es noch einen feinen Unterschied zwischen gesagt und gemeint: „Ich mag nicht kochen“, kann heißen „Ich würde mich freuen, wenn du kochst!“ Wird es aber nicht so verstanden, ist nur einer glücklich. Last but not least: Nicht jedes wahre Wort muss raus. Alte Kamellen auszubuddeln, wenn man gerade kontrovers diskutiert, ist selten eine gute Idee.

Eine weitere überraschende Stolperfalle für die an sich unschuldige Kommunikation sind persönlichkeitsbedingte Grenzen der Kompatibilität. Ich erzähle – und habe ein Ziel: Ich will informieren, suche nach Rat oder möchte verstanden werden. Mein Gegenüber hört zu – und hat auch ein Ziel: Es will informiert werden, mir helfen, einen Rat oder eine eigene Geschichte loswerden. Nicht immer passen beide Ziele zueinander, und leider bin ich in solchen Dingen ziemlich unflexibel. Nehmen wir mal an, ich will gehört und verstanden werden. Nehmen wir weiter an, ich werde gehört und nicht verstanden, mein Gegenüber hat aber einen – aus seiner Sicht – guten Rat. Dann ist meine Reaktion bisweilen ein unwilliges „Will ich gar nicht hören, lass mich in Ruhe“. Die Gesprächsscherben wieder aufzusammeln, kann eine mühselige und zeitraubende Arbeit sein. Das schafft keiner allein. Ohne Beziehung ist Gespräch dann schwierig bis unmöglich. Aber manchmal entwickeln Beziehungen ja auch eine ungeplante Dynamik – und funktionieren phasenweise nonverbal. Nicht immer, aber ab und zu kann man dann nochmal neu anfangen mit dem Reden. Welch ein Glück!

Ehrenmann

Letztens sagte mein Sohn „Ehrenmann“ zu mir und korrigierte sich dann – „Ehrenfrau“. Er wollte nett sein, aber fast war ich beleidigt. Zum einen: Hat der Gender-Wahn nun auch schon unsere Familie erreicht? Ich kann damit nichts anfangen, empfinde diese ganze Thematik als völlig überzogen, aufgebauscht und ehrlich gesagt ein Luxusproblem. Als gäbe es nicht andere Aufgaben, die die Menschheit beschäftigen sollten – wie zum Beispiel die Ungleichverteilung von allen möglichen Gütern auf dieser Welt oder die Tatsache, dass Frauen und Mädchen in vielen Ländern dieser Erde überhaupt keine Rechte haben. Da ist es mir gleich hundertmal egal, ob ich in jedem Brief als Frau angesprochen werde oder „Wer-auch-immer-hier-bei-uns“ sich wegen unkorrekter Anrede nicht wahrgenommen vorkommen könnte.

Zum anderen: Es heißt nicht umsonst Ehrenmann. Ein Ehrenmann ist jemand, der sich ehrenvoll verhält. Das kann meiner Meinung nach sowohl ein Mann als auch eine Frau sein. Allerdings stammt der Begriff aus einer Zeit, in der es vor allem Männer waren, die Entscheidungen trafen und sich dabei um nichts und niemanden scheren mussten. Daher war es für diese Männer umso herausfordernder, ehrlich und verlässlich zu sein, auf ihr Recht zu verzichten und anderen gnädig und barmherzig zu begegnen. Zuvorkommend und rücksichtsvoll – nicht nur, aber auch Frauen gegenüber. Ich will niemanden diskriminieren, aber ich merke: Es fällt uns Frauen leichter, auf Provokationen gelassener zu reagieren. Es liegt ja auch mehr in unseren Genen, nach dem Weg zu fragen, uns helfen zu lassen und bei einem Wettstreit den kürzeren zu ziehen. Wir blamieren uns nicht, wenn wir zugeben, traurig oder enttäuscht oder hilflos zu sein. Frauen sind darin geübter als Männer. Und das hat nicht (nur) was mit gewachsenen Geschlechterrollen zu tun, sondern mit unserem innersten Kern, der sich einfach mal unterscheidet von dem der Männer. Behaupte ich, erlebe ich, bin ich überzeugt.

Nein, ich glaube nicht, dass ich eine besonders demütige oder nicht emanzipierte Frau bin. Aber ich bin eine. Und trotzdem: Wenn mein Sohn mich als Ehrenmann bezeichnet, dann empfinde ich das als ein Kompliment – weil sich diese Bezeichnung auf mein (vielleicht überraschend) ehrenvolles Verhalten bezieht. Ganz im Gegensatz zu Ehrenfrau oder Ehrendame. Diese beschreiben nämlich nicht das weibliche Pendant zum Ehrenmann. Ehrenfrau war ein Titel, der einer Frau zugesprochen wurde – weil sie (oder auch nur ihr Mann!!!) einem bestimmten Stand angehörte. Eigenes ehrenvolles Verhalten spielte dabei eine untergeordnete Rolle. Und deshalb: Trifft auf mich nicht zu, ehrt mich nicht, brauche ich nicht.