Seit einiger Zeit löse ich das ZEIT-Rätsel und schicke meinem Schwiegervater mein Ergebnis per Mail – teilweise mit kleinen Lücken. Gern hilft er mir bei dem, was mir bis zuletzt unklar geblieben ist. Er hat mehr Erfahrung im Um-die-Ecke-Denken und ein breiteres Allgemeinwissen. „Nicht verzweifeln“, schrieb er mir ganz am Anfang und nach meinem dritten gelösten Rätsel: „Du machst dich.“ Vorgestern durchzuckte mich ein Geistesblitz, eine nachträgliche Erklärung für ein Lösungswort, das sich `so ergeben hatte´. Als ich meinen Schwiegervater daran teilhaben ließ, schrieb er zurück: „Eine sehr gute Idee, ich kann viel von dir lernen.“ Der Ritterschlag.
Keine Pronomen! Und wieso ist das wichtig?
In einer Zeitschrift lese ich kurze Portraits von jungen Studenten in Sachsen, die von sich erzählen: was sie machen, was ihnen wichtig ist, wo sie sich engagieren, ob sie in der Stadt bleiben oder aufs Land zurückgehen möchten. Zwei von ihnen schreiben gleich nach ihrem Namen: „… ich benutze keine Pronomen …“ Das bedeutet meines Wissens, dass sie sich als non-binär definieren, eine geschlechtliche Zuordnung (oder Nicht-Zuordnung). Ich frage mich, warum sie das erwähnen. Keine(r) von den anderen schreibt, dass er oder sie ein Mann oder eine Frau ist.
Die Information zum jeweiligen Geschlecht ist ja auch total unwichtig in dem Zusammenhang – und im Grunde überhaupt. Sie ist irrelevant dafür, was man studiert, wofür man sich engagiert, welche Hobbys man hat und auch ob man lieber auf dem Land oder in der Stadt wohnt. Meiner Wahrnehmung nach kämpfen Menschen, die sich keinem eindeutigen Geschlecht zuordnen wollen, genau dafür: dass dieses eben keine Rolle spielt. Daher empfinde ich es als paradox, dass sie sich dennoch so explizit über ihre Geschlechtlichkeit definieren.
Vom erfolgreichen Schreiben?
Im wöchentlichen Wechsel schreiben Journalisten einer Tageszeitung einen Newsletter. Diese Woche kommt einer der freien Mitarbeiter zu Wort. Ich `kenne´ ihn; er ist einer derjenigen, deren Texte ich ganz gern lese – auch wenn sie meist etwas zu lang sind für meinen Geschmack. Bisher hat mich das nicht sehr gestört, aber dieser Newsletter gibt mir zu denken: Hierin beschreibt besagter Autor in epischer Breite einen seiner Tage, an denen er nichts Vernünftiges zu Papier bringt. Er braucht etwa 11.000 Zeichen dafür. Schon die ersten 2.000 Zeichen bestätigen eine Vermutung, die ich schon länger hege: Wenn man erst einen gewissen Namen hat als Autor, kann man buchstäblich schreiben, wie man will und wird dafür gefeiert. Das ist an sich nicht schlimm; vor der Narrenfreiheit, die mit dem Ruhm kommt, sind wohl gerade erfolgreiche Schreiber nicht gefeit. Wäre ich an ihrer Stelle, würde mir der Ruhm sicher auch zu Kopf steigen – und sich negativ auf die Güte meiner Arbeit auswirken. Ich hoffe jedoch, ich wäre nicht auch noch stolz darauf und es wäre mir peinlich, damit hausieren zu gehen!
Ausgesprochener Vorteil
Spontan werfe ich nicht nur mein Kärtchen in den Briefkasten, sondern klingele, um persönlich zu gratulieren. Das Geburtstagskind freut sich und bittet mich herein; drei andere Spontan-Gäste sitzen schon bei Sekt und/oder Kaffee. Wir kennen uns nicht und fragen uns, was wir machen. „Ich bin Texter“, sage ich und werde sofort unterbrochen: „Texterin heißt es – ich bin Gleichstellungsbeauftragte!“ Ich bin perplex und würde gern widersprechen, lasse es aber: Geburtstagskinder dürfen mehr als andere.
Hinterher googele ich, was eine Gleichstellungsbeauftragte so macht – und in wessen Auftrag. Sie `hat allgemein die Aufgabe, die Beschäftigten vor Benachteiligungen aufgrund ihres Geschlechtes zu schützen und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz durchzusetzen´, lese ich im Internet. Offenbar umfasst die Tätigkeit, Vorteile auch durch Sprache zu gewährleisten – im Job und privat. Was aber, wenn ich als Frau keinen Wert darauflege? Wenn ich mich selbst nicht als Ingenieurin bezeichne, sondern als Ingenieur, als Texter und nicht als Texterin, als Rad- beziehungsweise Autofahrer oder Fußgänger …? Muss ich aus Rücksicht auf alle anderen, die eventuell Wert darauflegen, mitmachen bei dieser Art bemühter Gleichbehandlung? Ich weiß es nicht, lasse mir aber ungern vorschreiben, was oder wie ich zu reden habe – und sei es noch so sehr zu meinem Vorteil.
Weise Worte? Was man eben so sagt …
Es ist nicht zu fassen, wie alt wir aussehen, wenn wir versuchen, in den Mokassins eines anderen zu laufen. Denn stattdessen sind wir Meister darin, uns um uns selbst zu drehen. Dabei wäre es klug, öfter mal die Perspektive zu wechseln und etwas Neues auszuprobieren, denn: Wer nicht wagt, gewinnt nicht. Vorsicht mag zwar besser sein als Nachsicht, andererseits gilt, dass Mut sich auszahlt. Im schlimmsten Fall macht man sich die Hände schmutzig und lässt Federn. Wo gehobelt wird, fallen nun mal Späne. Dafür steht am Ende vielleicht die Einsicht, dass andere auch nur mit Wasser kochen und das Gras hinterm Zaun doch nicht grüner ist als der eigene Rasen. Deshalb: Einfach niemals nie sagen wäre schon eine großartige Idee, die das ganze Leben verändern kann.
Obwohl Alter (angeblich?) nicht vor Torheit schützt, sollten gerade Ältere sich nicht in ihrem Tatendrang bremsen lassen. Von den Jungen können sie lernen, dass nicht nur frühe Vögel Würmer fangen – selbst wenn Morgenstund tatsächlich Gold im Mund haben sollte. Mit Dienst nach Vorschrift holt man niemanden hinterm warmen Ofen hervor. Alternativ wäre Mut zur Lücke eine gute Idee: die Beine in die Hand nehmen und alles auf eine Karte setzen. Viele Wege führen nach Rom – und auch der weiteste beginnt mit dem ersten Schritt. Außerdem sind die meisten Wege ohnehin schon das Ziel, Übung macht den Meister und am Ende kommt sowieso alles, wie´s kommt! Oder aber auch ganz anders!
Phasenweise grüß-bar
Manche Menschen lassen sich einfach nicht grüßen; ich weiß nicht, woran es liegt. Wir kennen und er-kennen uns, aber sie grüßen einfach nicht zurück. Da sind zum einen ein paar ältere Leute aus der Nachbarschaft, die ernst und unzufrieden wegschauen: zumindest, wenn ich ihnen begegne. Die andere Gruppe der nicht Grüßenden bilden Teenagern, die ich über meine Kinder kenne. Als sie noch jünger waren, sagten sie höflich `Guten Tag´ – wahrscheinlich auf Hinweis ihrer Eltern. Sind sie zunehmend allein unterwegs, schauen sie geflissentlich an mir vorbei oder tun so, als würden sie mich nicht kennen. Erfahrungsgemäß wächst sich das aus; trotzdem finde ich es irgendwie blöd. Ich hoffe, dass meine Kinder die eine Phase übersprungen haben – und ich in die andere nicht hineinrutsche.
Glücklich für immer? So lieber nicht!
In der Stadt sitzen zwei ältere Frauen mit Kopftuch auf einer Bank. Sie halten Hefte mit Botschaften vor ihrem Körper: `Glücklich für immer´. Ich gehe langsam weiter, bis ich begreife, was an der Szene nicht passt. Dann drehe ich mich noch einmal um und schauen den beiden ins Gesicht. Es kann an der Hitze liegen, aber sie sehen müde aus, sehr ernst, vielleicht sogar frustriert. Jedenfalls kein klitzekleines bisschen fröhlich – geschweige denn glücklich. Am liebsten würde ich zurückgehen und sagen: „Gehen Sie nach Hause, mit diesen Gesichtern überzeugen Sie niemanden.“ Aber ich weiß, dass die zu erwartende übliche Diskussion in einer Sackgasse enden würde – und gehe weiter. Zwar bin ich weniger sicher als sie, ein Patentrezept für fortwährendes Glücklichsein zu kennen. Aber ihr Beispiel überzeugt mich nicht.
In der Arztpraxis
Eine Arzthelferin berichtet zwei anderen, dass etwas fehlt. „Hat der Herr* Doktor das nicht bestellt?“, fragt eine zurück. „Wenn keiner es dem Doktor sagt, kann er es nicht bestellen“, sagt die erste – und der Rest ist Schweigen. Irgendwie machen die drei dann weiter in ihrem Alltag, wahrscheinlich auch kollegial, effektiv und freundlich. Dennoch bin ich mir sicher: Friedemann** hätte seine helle Freude an einem ganz normalen Praxisalltag …
*Ich denke unwillkürlich an Obelix und sein `Herr Asterix´, wenn er sich über seinen Freund ärgert.
**Friedemann Schulz von Thun, der Kommunikationsexperte
Eigentlich
Wenn ich in Wald und Wiese unterwegs bin, habe ich kein Handy dabei. Ich will und muss nicht ständig erreichbar sein; das ging ja früher auch. Die zwei Frauen, die ich ab und an treffe, haben ihre Handys eigentlich auch selten dabei, sagen sie. Heute ist uneigentlich, denn: Nur so könnten sie sich spontan mit anderen Hundebesitzern zum gemeinsamen Gassi-Gehen verabreden. Aber eigentlich fänden sie es auch schöner, mal ganz ohne digitales Endgerät unterwegs zu sein. Da sei man mehr für sich, das habe was. Aber uneigentlich wäre es eben sehr praktisch, spontan noch mit anderen in Kontakt zu treten.
Ich kenne das Dilemma auch. Da will man zwar eigentlich ganz für sich sein, aber uneigentlich könnte es doch sein, dass irgendetwas wirklich Wichtiges passiert. Was aber ist so wichtig, dass es nicht eine Stunde (oder auch zwei) warten kann? Und wie viele eigentlich eher unwichtigen Nachrichten erreichen mich stattdessen, obwohl ich doch einfach mal meine Ruhe haben will?
Meist bin ich jedenfalls ganz vergnügt ohne Handy unterwegs – und habe nicht den Eindruck, etwas oder jemanden zu verpassen. Und eigentlich besteht immer noch die Möglichkeit, sich vorher mit jemandem zum Spazierengehen zu verabreden.
Nett und mehr
Beim Spaziergang sehe ich immer wieder dieselben Leute, unter anderem eine Gruppe von Frauen mit ihren Hunden. Man grüßt sich freundlich und höflich – mehr nicht. Heute war eine von ihnen allein unterwegs, ungefähr mein Alter, zwei Hunde. Als ich sie ansprach, guckte sie ein bisschen verhalten, als würde sie denken: Was will die jetzt von mir? „Ich finde, dass Sie einen ganz tollen Kleidungsstil haben“, sagte ich. Sofort verschwand die Skepsis und machte Platz für ein überraschtes breites Lächeln: „Oh, das ist aber nett, danke.“ Wir sprachen kurz weiter – über Problemzonen und altersangemessene Kleidung (und wo man die bekommt).
Bisher waren wir uns fremd: eine mit und eine ohne Hund, man grüßt sich – mehr nicht. Beim nächsten Treffen sind wir zwei Frauen mit einigen Gemeinsamkeiten. Und das alles nur, weil eine von uns der anderen etwas Nettes gesagt hat.