Dazwischen

In einer Zeitschrift lese ich, dass man manchmal einfach helfen sollte, anstatt Hilfe nur anzubieten. „Melde dich, wenn du was brauchst“, könne man stecken lassen, steht da, das sei oft zu viel Wort und zu wenig Tat. Da ist was dran: Es fällt uns schwerer, um Hilfe zu bitten, als sie einfach dankend anzunehmen – wahrscheinlich vor allem, wenn wir besonders hilfsbedürftig sind.

Andererseits gibt es auch zu wenig Wort und zu viel Tat: Wer genau weiß, was mir gut tut, kann mit einem `Nein, danke!´ oft nicht gut umgehen. Diese Erfahrung hat es mir schon manchmal schwer gemacht, frei zu entscheiden, ob ich ein Hilfsangebot annehmen möchte oder nicht.

Optimal ist die goldene Mitte: in der Tat zupackend und im Wort einfühlsam, erwartungsfrei und ehrlich.

Peinlich

Unser Sohn hat ein Fußballspiel; die Mannschaften sind ausgeglichen stark. Jeder will gewinnen, aber die einzelnen Spieler haben Spaß und gehen fair miteinander um. Natürlich sind Emotionen `im Spiel´: Kampfgeist, Frust, Leidenschaft, Enttäuschung und Begeisterung wechseln sich ab – manchmal binnen weniger Minuten. Soweit ist alles normal und wunderbar und sorgt für intensive, aber sportliche Stimmung.

Oft zeigen vor allem Eltern spielender Fußballer ein starkes Engagement, das ist großartig. Sie ermutigen und trösten ihre eigenen Kinder. Auch das ist normal und wunderbar. Leider bleibt es nicht bei positiver Verstärkung; einige Spielereltern lassen kein gutes Haar an der gegnerischen Mannschaft und kritisieren die meisten Schiedsrichter-Entscheidungen. Zudem kennen sie sich in allem besser aus als der Rest und sind laut dabei: Wann ist der Ball im Abseits; was ist ein Foul – und was nicht; wie, was und wann sollte der Schiedsrichter pfeifen? Am Spielrand sind ebenfalls Emotionen `im Spiel´: Wut, Begeisterung, Überheblichkeit, Aggression, Schadenfreude wechseln sich ab – manchmal binnen weniger Minuten. All das mag normal sein, ist aber keineswegs wunderbar, sondern unsportlich: Es sorgt eher für schlechte Stimmung.

Auch ich schaue zu und bin emotional beteiligt. Trotzdem halte ich mich verbal zurück. Ich kenne mich nicht genug aus und empfinde viele Bemerkungen als unsportlich. Vor allem ich weiß, dass mein Sohn die meisten Einmischungen vom Spielfeldrand nicht schätzen würde – sie wären ihm peinlich …

Ins Wort schreiben

Gespräche laufen besser, wenn man sich gegenseitig ausreden lässt: erst reden, dann zuhören, dann antworten. Leider wird heutzutage in Talkshows genau das Gegenteil praktiziert. Obwohl das wahrscheinlich alle Teilnehmer nervt und noch dazu die Zuschauer am heimischen Bildschirm, scheint es selten anders zu gehen – was vielleicht mit Einschaltquoten zu tun hat.

In der schriftlichen Konversation ist das Nacheinander einfacher zu praktizieren: Wenn ich einen Brief erhalte, ist der andere `fertig´; ich kann zwar zügig antworten, ihm aber nicht `ins Wort schreiben´. Selbst schnell übertragene Mails laufen nach dem Schema: erst schreiben, dann lesen, dann antworten.

Unterhaltungen per SMS, WhatsApp, Threema etc. sind eine Mischung: persönlichen Gesprächen im Tempo sehr ähnlich, aber schriftlich geführt. Sie eignen sich hervorragend für den schnellen Austausch zwischendurch – und leider auch wunderbar zum Unterbrechen: Da diese Kurznachrichtendienste vor allem für spontane Mitteilungen genutzt werden, versendet man leichter auch Gedanken, die vielleicht nicht gut überlegt und vor allem nicht fertig gedacht sind. Mir geht es jedenfalls so. Dann `lege ich nach´ und schreibe den nächsten Gedanken direkt hinterher – und versende ihn ebenso. Gleichzeitig trudelt aber manchmal schon die erste Antwort meines Gegenübers ein. Daraus entwickelt sich bisweilen ein lustiges Hin-und-Her-Geschnattere am Handy: schreiben (1), schreiben (2), lesen (1), antworten (auf 1), lesen (2), schreiben (3 auf Antwort 1), antworten (auf 2), lesen (3), antworten (auf 3) …

Sich digital `ins Wort zu schreiben´, überfordert nach kürzester Zeit auch den versiertesten Kommunikator. Ich verliere dabei schnell den Überblick und breche ab – oder rufe den anderen an. Sich im persönlichen Gespräch ins Wort zu fallen, ist ebenso unübersichtlich und außerdem ziemlich unhöflich – übrigens auch in Talkshows.

Folgenschwer

„Ich habe das nicht gemacht“, sagt eins meiner Kinder zu mir. Es ist gelogen – und das wissen wir beide. Ich bin enttäuscht und staune gleichzeitig, wie wenig diesem Kind die Lüge auszumachen scheint: Immerhin habe ich mehrmals nachgefragt und um Blickkontakt gebeten.

Die Tat selbst hat keine Folgen – weder finanziell noch in anderer Hinsicht. Die Lüge dagegen `macht´ etwas: Sie beschädigt unser Vertrauen. Das ist ein hoher Preis angesichts dessen, worum es geht. Es kann aber sein, dass nur ich das weiß.

Zermürbungstaktik

Ein Hauptstadt-Korrespondent wettert in unserer Tageszeitung schon seit einiger Zeit gegen die Ungeimpften. Gestern las ich von ihm, dass offenbar nur noch diejenigen sich nicht impfen lassen, die sich `grundsätzlich verweigern, weil sie irren Verschwörungstheorien glauben oder Impfungen generell ablehnend gegenüber stehen´. Und bei denen helfe nur noch eins, nämlich eine Zermürbungstaktik– `als befänden wir uns im Krieg´, denke ich.

Drei Gründe führt er an: Die Geimpften fürchten sich vor einer Infektion durch die Ungeimpften. Die Ungeimpften verhindern, dass die Geimpften ihre Normalität wieder bekommen. Drittens müssen die Geimpften die `exorbitanten Kosten´ mittragen, die Ungeimpfte im Falle einer schweren Covid-19-Erkrankung verursachen.

Er findet daher, dass nicht weiter auf die Befindlichkeiten der Ungeimpften Rücksicht genommen werden könne. Es helfe nur, den Druck zu erhöhen – durch 2G, durch kostenpflichtige Tests, durchs Streichen der Lohnfortzahlung im Falle von Quarantäne. Zermürbungstaktik eben.

All das klingt, als würden sich Menschen nicht impfen, weil sie die Geimpften irgendwie ärgern wollen: Ließen sich mehr Leute impfen, ginge es den anderen Geimpften in jeder Hinsicht besser. Die Geimpften denken in dieser Diskussion offenbar sehr an sich – und die Ungeimpften sollten möglichst auch sehr an sie denken.

Es funktioniert: Mich zermürbt diese Denke, diese Schuldzuweisung, dieser ständig spürbare Druck, dieses Stigmatisieren. Ich bin ein bisschen wütend, aber – ganz ehrlich – eher traurig, dass wir hierzulande so mit Andersdenkenden umgehen. Die meisten Ungeimpften sind keine Verschwörungstheoretiker oder generelle Impfgegner. Sie haben andere Gründe, sich (vielleicht im Moment) nicht impfen zu lassen. Das scheint nicht mehr ihr gutes Recht zu sein, sondern Grund, sie fortwährend und immer massiver in die Ecke zu drängen. Es ist sicherlich nur eine Frage der Zeit, bis der eine oder andere aufgibt – und sich doch impfen lässt. Das würde die Impfquote erhöhen, aber ich bezweifle, dass man das einen `Erfolg´ nennen sollte: Langfristig stärkt es eine Gesellschaft mehr, wenn man unterschiedliche Befindlichkeiten nicht ignoriert, sondern ernst nimmt.

PS: Unter `Zermürbungstaktik´ finde ich auf der Seite eines Anwalts folgende Sätze: „Sie glauben nicht, mit welchen Methoden man Arbeitnehmer zermürbt, sie bei der Arbeit solange madig macht, bis sie Fehler begehen, krank werden oder entnervt von selbst kündigen! Man nennt sie Zermürbungstaktiken, und sie sind im Standardrepertoire der fiesesten Arbeitgebertricks.“ (Alexander Bredereck, anwalt.de)

Kurze Frage – lange Antwort

„Wie geht es dir?“ ist eine Frage, die ich mit einem Wort nur unzureichend beantworten kann. „Gut“, könnte ich sagen, und es wäre die Wahrheit: Wem geht es so gut wie mir? Ich habe von allem genug oder sogar mehr. Andererseits finde ich sicherlich immer etwas, was mir gerade nicht 100-prozentig behagt. Ebenso zutreffend wäre also: „Gerade nicht so gut.“ Ich nenne das dann zwar `Jammern auf hohem Niveau´, aber ein bisschen meine ich es doch auch ernst. Die Wahrheit liegt wie so oft irgendwo dazwischen. Wenn ich diese in einem Wort zusammenfassen soll, käme „Durchwachsen!“ heraus – treffend, aber nicht besonders aufschlussreich. Wer mehr wissen will, muss nachfragen und Zeit mitbringen.

Linientreu oder Voltaire?

Die Tochter meiner Freundin geht zur Berufsschule. Ein Lehrer fragte dort kürzlich (während des Unterrichts) den Impfstatus ab. Er sprach von einem `sensiblen´ Thema – und forderte dennoch nur die (vier) Ungeimpften auf, ihre Entscheidung zu begründen.

Eine Lehrerin meines Sohnes bezeichnet (während des Unterrichts) die nicht geimpften Schüler als `verantwortungslos´.

Die empfohlenen Maskenpausen (während des Unterrichts) werden an der Schule meiner Kinder nur von wenigen Lehrern erlaubt.

Mitschüler fordern sich (während des Unterrichts) gegenseitig dazu auf, ihre Maske `ordentlich´ über die Nase zu ziehen – es heiße schließlich Mund-Nasen-Schutz.

Meinungsäußerungen sind nicht verboten, ich weiß. Ist es aber momentan ebenso möglich, als Lehrer oder Schüler (während des Unterrichts) andere Ansichten zu äußern? Interessante Diskussionsansätze könnten sein:

`Geimpfte sollten sich ebenso testen wie Ungeimpfte, weil sie ebenfalls infiziert und Überträger sein können.´
`Offiziell haben wir keine Impfpflicht. Aber der inoffiziell gefühlte Impfzwang – ausgelöst durch die Berichterstattung, die Maßnahmen und den Rechtfertigungsdruck – passt nicht zu einer demokratischen Gesellschaft.´
`Ich halte es für bedenklich/angebracht, die weitergehenden Einschränkungen der Grundrechte mit einer zu geringen Impfquote zu rechtfertigen.´

Ich habe den Eindruck, mittlerweile gilt: Wenn man linientreu ist, darf man alles (sagen). Unangepasst wäre es, wir hielten es mit Voltaire: „Mein Herr, ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, dass Sie sie äußern dürfen.“
Voltaire (1694-1778)

Minderheiten

Immer wieder geht es zur Zeit um korrekte Sprache; jeder soll sich angesprochen fühlen (und auch jede oder besser: jede:r). Das Ziel dabei ist, Minderheiten gegenüber rücksichtsvoll zu formulieren. Diese werden dabei gern zusammengefasst unter LGBTQIA – oder (für die Minderheit unter uns, die mit dem Englischen nicht so vertraut ist: LSBTIQ für Lesbisch-Schwul-Bisexuell-Transgender-Intergeschlechtlich-Queer). Sprache soll sich an alle richten: Das hört sich sehr positiv an, den Ansatz kann ich verstehen. Wie viele Menschen sich hinter dieser Minderheit verbergen – ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass sich 85 Prozent als heterosexuell bezeichnen. Von den restlichen 15 Prozent machen die meisten keine Angaben. Dennoch wollen sie sprachlich berücksichtigt werden – und fordern dies vehement ein.

Immer wieder geht es zur Zeit auch ums Impfen; auch hier werden alle angesprochen: Der Tenor lautet, dass die Geimpften sich solidarisch verhalten. Auf die Ungeimpften wird verbal – und künftig wahrscheinlich auch finanziell – Druck ausgeübt. Ein Journalist schrieb in diesem Zusammenhang, die Mehrheit (= die Geimpften) sollten sich nicht länger von einer Minderheit bestimmen lassen müssen. Rücksichtsvolles Formulieren würde ich das nicht nennen. Wie viele Menschen sich hinter dieser Minderheit der Ungeimpften verbergen – ich weiß es: Die Daten dazu gehen fast täglich durch die Presse. Mittlerweile sind 63 Prozent der Deutschen zumindest einmal gegen das Corona-Virus geimpft – 37 Prozent also noch nicht, ein Drittel.

Sicherlich kann man die Größenordnung für eine „Minderheit“ unterschiedlich festlegen. Es mögen 15 oder 37 Prozent sein, das ist mir egal. Aber ich wünschte mir, mit allen Minderheiten würde gleichermaßen rücksichtsvoll umgegangen werden.

Frage und Antwort

Wir schreiben eine Mail an einen Bundestagsabgeordneten unseres Wahlkreise. Darin schildern wir, wie wir als Bürger die Corona-Politik der Regierung empfinden, und formulieren konkrete Fragen.

Zwei Tage später erhalten wir eine Antwort. Der Abgeordnete (oder sein Mail-Schreiber) bezieht sich nicht konkret auf unsere Fragen, sondern verliert sich in allgemeinen Aussagen. Um unsere Anliegen geht es nicht; wir fühlen uns nicht gehört oder gesehen.

Es ist schön, dass wir eine Antwort erhalten haben – und irgendwie doch nicht. Der Inhalt enttäuscht uns und bestätigt zweierlei: Zum einen können Politiker viel reden, ohne etwas zu sagen. Zum anderen scheinen sie sich nicht wirklich für die Fragen von Bürgern zu interessieren.

Normalerweise ist es gut, wenn eine Mail beantwortet wird. DIESE Antwort hat wahrscheinlich niemandem und nichts so richtig gut getan …

Werben …

Der `Druck auf Ungeimpfte wächst´ lautet eine Zeitungsüberschrift. Das geschieht durch die neuesten Corona-Regelungen für den Herbst und die tägliche Berichterstattung: Wer sich nicht impfen lässt und dafür keinen triftigen medizinischen Grund hat, ist ein `verantwortungslos handelnder Impfverweigerer´. (Ich bin auch eine von denen.) Mit unserer Haltung belasten wir die Steuerzahler und gefährden unsere Mitmenschen, außerdem verlängern wir die Pandemie. Wir müssen unsere Entscheidung rechtfertigen, werden stigmatisiert und bald zur Kasse gebeten.

Angela Merkel sagt in diesem Zusammenhang in einer Pressekonferenz: „Wir müssen dafür werben, dass geimpft wird.“ Ich schlage das Wort `werben´ nach. Es bedeutet:

– jemanden für sich oder eine Sache gewinnen;
– sich um etwas oder jemanden bemühen
– etwas anbieten und seine Vorzüge lobend hervorheben, für etwas Anhänger suchen

Ich fühle mich zu Unrecht beschuldigt, massiv bedrängt und nicht akzeptiert – umworben fühle ich mich nicht.