Berühmte Menschen

Als ich ein Kind war, spielte ich einige Sommer lang mit zwei Schwestern, die ihre Sommerferien in der Nähe meiner Oma bei einer alten Großtante verbrachten. Eine von ihnen war etwas jünger als ich, eine etwas älter. Danach trennten sich unsere Wege. Die beiden Frauen machten anders Karriere und sind Jahrzehnte später berühmter als ich. Wahrscheinlich haben sie unsere gemeinsamen Sommer vergessen, denke ich. Weil sie berühmt sind (und ich nicht), erscheint es mir unmöglich, jemals wieder Kontakt mit ihnen zu haben. Sie leben zwar weiterhin in Deutschland, aber wir teilen keine gemeinsamen Schnittmengen.

Fast 40 Jahre später tritt mein Bruder mit beiden Schwestern in Kontakt, sehr förmlich per Mail. „Was macht eigentlich Dagmar?“, kommt als prompte Antwort – unprätentiös und normal, als sei es logisch, dass man sich nach einer alten Spielfreundin erkundigt. Ich bin erstaunt; ich hatte nicht damit gerechnet. Stattdessen hatte ich den beiden Starallüren unterstellt, die sie im direkten Kontakt gar nicht zu haben scheinen. Hinter jeder Berühmtheit steckt ein Mensch. Und der war auch mal Kind und saß mit dir oder mir im Sandkasten – beziehungsweise (wie in unserem Fall) am Badesee. Vorurteile sind vielleicht seltener berechtigt, als wir so denken.

Bier oder Käse, das ist nicht die Frage

`Don´t worry beer happy´ steht auf dem T-Shirt eines Mannes, der mit einem leeren Einkaufswagen an der Ampel wartet. Er scheint schon ein paar Jahre mit diesem Motto unterwegs zu sein – unterm Shirt ist nicht mehr viel Platz für noch mehr (Bier-)Bauch. Vielleicht holt er sich gerade die nächste Ladung, denke ich, und auch: Was geht es mich an? Wenn er tatsächlich zufrieden ist so oder sogar glücklich? Sein Leben mit viel Bier ist nicht besser oder schlechter als mein Leben ohne Bier und mit viel Käse (oder was ich sonst noch schätze).

Gegen Sorgen hilft meiner Ansicht nach weder Bier noch Käse. Daher wäre ich eher für ein Shirt mit der Aufschrift `Don´t worry, keep praying´ zu haben: Sorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitten in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden! (Phil 4, 6)

Ein Rätsel

Von unseren Nachbarn bekommen wir ihre ZEIT – immer eine Woche nach Erscheinen. Ich lese sie gern, aber selektiv. Um das berühmt-berüchtigte ZEIT-Rätsel machte ich bisher immer einen großen Bogen: Es soll so schwer sein. Mein Schwiegervater knobelt jede Woche daran herum – und hat ein viel umfassenderes Allgemeinwissen als ich.

Warum, weiß ich nicht, aber letzte Woche probierte ich es einfach mal aus. Einige Anläufe (etwa drei bis vier Stunden) später habe ich heute tatsächlich fast alles erraten, um die Ecke gedacht beziehungsweise im Netz recherchiert. Zwei Buchstaben eines Wortes am Rande fehlen mir. „Dann kannst du ja jetzt das nächste machen“, sagt mein Schwiegervater am Telefon. Mal sehen, denke ich, vielleicht war das ein absoluter Glücksfall.

Gerade brachte die Nachbarin die neue alte ZEIT. Das Rätsel ist schrecklich leer, denke ich; es ist frustrierend, wieder bei Null anfangen zu müssen. Ich schaue trotzdem rein und weiß sofort, wer Holz splittern und Datenschützer zittern lässt: Hacker natürlich, dafür reicht mein Allgemeinwissen – geradeaus und ohne Google. Vielleicht gibt´s ja einen zweiten Glücksfall; ich schau mal, wie weit ich komme.

Haustiere mit Stachel

Vor unserer Tür ist ein Wespennest direkt unterm Dach. Die Wespen fliegen hektisch drumherum, rein und raus. Das stört mich nicht wirklich – nur wenn sich doch eine oder zwei ins Haus verirren: zum Beispiel durchs Badezimmerfenster. Kürzlich umsurrten mich gleich zwei Wespen beim Zähneputzen; mein Mann blieb herausfordernd gelassen. Irgendwann hatten wir die beiden wieder nach draußen befördert – dort ist mir ihr hektisches Gesumme egal. Irgendwann im Herbst wird´s den Wespen zu kalt und sie werden ihr Nest verlassen: Bis dahin muss ich wohl noch mit gelegentlichen Besuchen unserer Haus-Wespen leben. 

Eigentlich

Wenn ich in Wald und Wiese unterwegs bin, habe ich kein Handy dabei. Ich will und muss nicht ständig erreichbar sein; das ging ja früher auch. Die zwei Frauen, die ich ab und an treffe, haben ihre Handys eigentlich auch selten dabei, sagen sie. Heute ist uneigentlich, denn: Nur so könnten sie sich spontan mit anderen Hundebesitzern zum gemeinsamen Gassi-Gehen verabreden. Aber eigentlich fänden sie es auch schöner, mal ganz ohne digitales Endgerät unterwegs zu sein. Da sei man mehr für sich, das habe was. Aber uneigentlich wäre es eben sehr praktisch, spontan noch mit anderen in Kontakt zu treten.

Ich kenne das Dilemma auch. Da will man zwar eigentlich ganz für sich sein, aber uneigentlich könnte es doch sein, dass irgendetwas wirklich Wichtiges passiert. Was aber ist so wichtig, dass es nicht eine Stunde (oder auch zwei) warten kann? Und wie viele eigentlich eher unwichtigen Nachrichten erreichen mich stattdessen, obwohl ich doch einfach mal meine Ruhe haben will?

Meist bin ich jedenfalls ganz vergnügt ohne Handy unterwegs – und habe nicht den Eindruck, etwas oder jemanden zu verpassen. Und eigentlich besteht immer noch die Möglichkeit, sich vorher mit jemandem zum Spazierengehen zu verabreden. 

Hauptsache großzügig

Mit meinem Nachbar rede ich über Gefälligkeiten beziehungsweise Freundschaftsdienste, die aus vielerlei Gründen buchstäblich unbezahlbar sind. Manchmal ist die einzige Möglichkeit, sich zu revanchieren, dem anderen ebenfalls einen Gefallen zu tun. „Da gibt´s dann eine großzügige Grillung, und dann passt das wieder“, sagt er. Ich horche seinen Worten hinterher. Mir gefällt diese neue Wortschöpfung: Du hilfst mir / leihst mir was – und ich vergüte das nicht monetär, sondern anders. Im Sommer mit einer Grillung, im Winter gibt´s vielleicht eine Kochung oder – je nach Geschmack – eine Backung … Ganz egal was, Hauptsache großzügig!

Ich glaub´, es geht los!

„Ja, das hast du mir heute Morgen schon erzählt“, unterbricht mich meine Tochter nach den ersten zwei Sätzen. Erst wundere ich mich ein bisschen, dann fällt es mir wieder ein – sie hat recht. Wenig später frage ich sie etwas anderes. Erstaunt schaut sie mich an und sagt, dass wir darüber doch gestern Abend schon gesprochen hätten. Dieses Mal fällt es mir in dem Moment selbst wieder ein – sie hat recht. Ich glaub´, es geht los, denke ich mir, ich werde älter.

Es soll normal sein, dass man Dinge vergisst, wenn man älter wird: Was man nochmal im Keller holen wollte zum Beispiel oder wie doch gleich die Bekannte hieß, die man so selten trifft (Kirsten und Kerstin werfe ich gern durcheinander, Anke und Antje oder Jeanette und Jaqueline sind auch geeignete Kandidaten). `Älter werden´ ist dabei ziemlich relativ – was heißt das schon? Wir werden alle jeden Tag älter; und manche Vergesslichkeit hat mit dem Alter nichts zu tun: Ich habe schon in der Grundschule wahnsinnig oft meine Hausaufgaben vergessen; und zu unseren Finanzen könnte mein Mann mir alle drei Monate dasselbe erzählen – und es wäre immer (fast ganz) neu für mich.

Die beiden aktuellen Situationen mit meiner Tochter fallen weder unter `lästig´ (Hausaufgaben), noch ist es `Desinteresse´ (Finanzen). Sie sind vielleicht dadurch erklärbar, dass ich in beiden Fällen keine Antwort auf meine Kommentare bekommen hatte. Ohne Klärung kann ich keinen mentalen Haken dranmachen und wiederhole mich. Das darf sein, würde ich sagen, das ist dann weniger vergesslich als vielmehr hartnäckig. Allerdings ist auch das eine Eigenschaft, die eher dem Alter zugeschrieben wird – Alterssturheit. Es hilft nichts; ich glaub´, es geht los: das Alter, in dem man alles Mögliche mit dem Alter erklären kann. 

Kummer aller Art

Ich lese ein Büchlein von Mariana Leky, es heißt: Kummer aller Art. Sie beschreibt – auf humorvolle Art – verschiedene Situationen, in denen Menschen Kummer haben. Habe ich schon Kummer erfahren? Sicher, auch wenn ich es nicht so nennen würde. Kummer ist weniger stark als Leid; von Niedergeschlagenheit ist im Internet die Rede. 

Momentan bin ich verständlicherweise, aber doch unspezifisch kummervoll: Mein drittes Kind zieht aus. Zunächst geht sie für ein Jahr weg aus Deutschland; sie wird woanders Menschen guttun, helfen und sich nützlich machen. Danach kommt sie zurück – aber doch nicht wirklich. Ihr Weggehen ist nicht nur für ein Jahr, sondern natürlich in gewisser Weise endgültig. Unsere Tochter verlässt ihr Elternhaus. Kinder tun das irgendwann – wie sonst sollen sie fliegen lernen?

Und obwohl ich das weiß und mich mit ihr freue und stolz auf sie bin, ist da auch eine gewisse Niedergeschlagenheit: Der nahende Abschied bekümmert mich – meine Tochter hinterlässt hier eine große Lücke. Das Neue, das für uns kommt, kennen wir noch nicht. Ich stelle es mir eher langweilig vor, es `riecht´ vorrangig nach Verlust.
Unserer Tochter geht es ähnlich: Der nahende Abschied bekümmert sie – sie lässt hier viele gute Freunde und eine angenehm vertraute Umgebung zurück. Das Neue, das für sie kommt, kennt sie noch nicht. Sie stellt es sich eher spannend vor, es `riecht´ vorrangig nach Gewinn.

Aus Erfahrung weiß ich, dass nichts nur eine Seite hat. Unsere Zeit ohne diese Tochter wird nicht nur doof; ihre Zeit weit weg von uns wird nicht nur super sein. Am Ende des Jahres werden wir alle sowohl Freude als auch Kummer aller Art erlebt haben.

Immer das gleiche Schema: stolpern – fallen – landen

Es ist mir schon wieder passiert; auf meiner Laufrunde bin ich gestürzt. Kurz zuvor dachte ich noch, wie gut es uns geht und dass gerade in solchen Zeiten gern Unerwartetes geschieht und schwupps – falle ich hin. Die Abfolge ist festgelegt: Erst stolpere ich über eine der zahlreichen Wurzeln auf meiner Wald-und-Wiesen-Runde. Als nächstes versuche ich, mich mit ein, zwei raumgreifenden Schritten abzufangen: leider erfolglos. Zum Schluss strecke ich die Hände aus und lande – nie auf den Knien, sondern – auf der linken Hüfte und bewahre den Oberkörper mit ausgestreckten Händen davor, aufzuschlagen.

Unten angekommen, gilt der erste Gedanke meinen Handgelenken, denn die kann man sich in meinem Alter gern mal kompliziert brechen. Gleichzeitig hoffe ich, dass just an meinem Landeort kein Hundestinker liegt. Und danach schaue ich, ob unfreiwillige Zuschauer in der Nähe sind. Dreimal Nein ist ein super Ergebnis: kein Bruch, keine Hundesch… und auch keine Zuschauer. Ich stehe auf, einigermaßen würdevoll, und laufe langsam wieder los – auf den ersten 100 Meter mit bewusst angehobenen Füßen. Spätestens dann weicht die etwas ärgerliche Verwunderung über meine Flugeinlage einer tiefen Dankbarkeit für deren glimpflichen Ausgang.

Last Minute

Ein Kind fliegt morgen weg – für vier Wochen, das andere am Sonntag – für elf Monate. Bis heute hatten beide die Ruhe weg und fangen jetzt mit dem Packen an. Was mit muss, ist klar, nicht aber, wie alles am besten auf die insgesamt vier Koffer verteilt werden sollte. Als wäre das nicht genug Unsicherheit, fallen den Reisenden dann doch noch Last-Minute-Mitbringsel-Ideen ein. „Die kleinen Gummibärchentüten in den großen Packungen werden auch immer weniger“, klagt mein Sohn. Er hat recht: Dinge werden teurer und gleichzeitig kleiner. Egal; da, wo unsere beiden hinfliegen, sind Gummibärentüten so selten, dass wir gern eine Sammeltüte mehr mit auf die Reise schicken.

Interessanterweise habe ich als Mutter die Ruhe weg – jedenfalls bis heute. Mal sehen, ob mich auf den letzten Metern noch ein Last-Minute-Abschiedsschmerz überfällt.