In guten Händen

Schon lange ließen sich die Gänge an meinem Fahrrad nicht mehr rund schalten. Beim ersten Besuch in der Werkstatt tauchte der Mitarbeiter die gesamte Gangschaltung – das müsse man nach einer gewissen Laufleistung tun, meinte er dazu. Danach liefen die Gänge, wenn überhaupt, nur minimal besser. Was die Monteure beim zweiten Mal gemacht haben, weiß ich nicht. Das Ergebnis war ähnlich ernüchternd. Die dritte Diagnose lautete: alles neu.

Mein Mann besorgt also, gebraucht, eine neue Felge und eine neue Kette. Nach dem Einbau geht es nicht minimal besser, sondern maximal schlechter; ich drehe noch auf der Heimfahrt wieder um. Auf dem Hof der Werkstatt steht der Seniorchef – eigens für den kommenden Urlaub wieder akquiriert. Nach kurzer Prüfung sieht er mich mitleidig an: „Es liegt am Schaltzug, der ist hier (kurzes Hindeuten) abgeknickt. Das hat der Monteur wohl nicht gesehen.“

Einen Tag später hole ich das Rad wieder ab und bedanke mich ausdrücklich bei meinem neuen persönlichen Fahrrad-Helden. „Wenn nochmal was ist, kommen Sie bitte direkt zu mir“, verabschiedet er mich. Auf der Fahrt nach Hause läuft alles wie geschmiert und ich denke: So bald werden wir uns wahrscheinlich nicht wiedersehen – obwohl ich diesem Monteur gern wieder mein Rad anvertrauen würde.

Verlockende Angebote

Je älter ich werde, umso weniger kaufe ich mir: Ich habe alles, was ich brauche und gehe sorgsam mit meinen Sachen um. Aber Lebensmittel brauchen wir immer, und gerade hier verschieben sich die Preise immer mehr – zu unseren Ungunsten. Insofern ist es noch schlauer als früher, Artikel möglichst `im Angebot´ zu kaufen.

Es ist erstaunlich, um wie viel die Waren teilweise reduziert sind; 40 Prozent sind keine Seltenheit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Supermarkt-Betreiber derart agieren, weil sie so kundenfreundlich sind. Wahrscheinlich verdienen sie zwar weniger, rechnen dafür aber (buchstäblich) damit, dass ich noch andere Artikel kaufe – wenn ich schon mal da bin. Sollte letzteres eine Verlockungsstrategie sein, perlt sie an mir ab. Wenn beispielsweise mein Lieblingswein im Angebot ist, kaufe ich nur diesen – kistenweise. Zu `wenn-ich-schon-mal-da-bin-Einkäufen´ lasse ich mich auch vom tollsten Angebot nicht verlocken. 

Vom erfolgreichen Schreiben?

Im wöchentlichen Wechsel schreiben Journalisten einer Tageszeitung einen Newsletter. Diese Woche kommt einer der freien Mitarbeiter zu Wort. Ich `kenne´ ihn; er ist einer derjenigen, deren Texte ich ganz gern lese – auch wenn sie meist etwas zu lang sind für meinen Geschmack. Bisher hat mich das nicht sehr gestört, aber dieser Newsletter gibt mir zu denken: Hierin beschreibt besagter Autor in epischer Breite einen seiner Tage, an denen er nichts Vernünftiges zu Papier bringt. Er braucht etwa 11.000 Zeichen dafür. Schon die ersten 2.000 Zeichen bestätigen eine Vermutung, die ich schon länger hege: Wenn man erst einen gewissen Namen hat als Autor, kann man buchstäblich schreiben, wie man will und wird dafür gefeiert. Das ist an sich nicht schlimm; vor der Narrenfreiheit, die mit dem Ruhm kommt, sind wohl gerade erfolgreiche Schreiber nicht gefeit. Wäre ich an ihrer Stelle, würde mir der Ruhm sicher auch zu Kopf steigen – und sich negativ auf die Güte meiner Arbeit auswirken. Ich hoffe jedoch, ich wäre nicht auch noch stolz darauf und es wäre mir peinlich, damit hausieren zu gehen!

Ausgeknobelt

Für eine Feier soll ich einen Programm-Ablauf zusammenstellen, nur acht Seiten. Es kann so schwer nicht sein, denke ich, und gehe fröhlich ans Werk. Die acht Seiten befinden sich auf zwei ineinander liegenden A4-Blättern, vorn und hinten bedruckt. Die Reihenfolge der Seiten ist daher nicht chronologisch – und vor allem nicht gleich der Reihenfolge im Word-Dokument.

Mit der Zeit bin ich weniger fröhlich als ernsthaft konzentriert und zwischendrin auch mittelprächtig frustriert. Denn so ein Programm-Ablauf erfordert mehr Um-die-Ecke-Denken als das ZEIT-Rätsel, das ich schon dreimal erfolgreich gelöst habe. Daher bleibt diese Woche für letzteres weder Zeit noch Hirn: Ich bin mit meinem Ablauf-Plan buchstäblich stundenlang beschäftigt und am Ende habe ich für meinen Geschmack genug geknobelt. Dass der Rätsel-Stapel wächst, ist nicht zu verhindern. Entweder ich habe nächste Woche wieder frische Energie oder aber Mut zur Lücke – und lasse einfach zwei Rätsel unangetastet. 

Der erste Zweig und das halbe Nest

Der erste Schritt ist der halbe Weg, sagen wir uns und nutzen zwei schöne Nachmittage für kleine Herbst-Einsätze im Garten. Am zweiten Tag widmen wir uns dem Efeu an der Terrasse, Motto: ein bisschen die Treppe frei-schneiden. Dabei finden wir ein vor Jahren verlassenes Vogelnest. Nicht zum ersten Mal staunen wir über dieses stabile Kunst-Werk. Wie genau machen die das, fragen wir uns, wie fangen sie an die Vögel? So ganz ohne Hände muss so ein Nestbau schwer sein, denken wir, und viel Geduld erfordern und Ausdauer. Schließlich fängt jedes Nest an mit einem Zweiglein – aber wie bitte bleibt das liegen? Ob der Vogel ahnt, dass der erste Zweig nur ein klitzekleiner, mühseliger Start ist, dem eine fleißige Bau-Phase folgen muss?

Während unser Rückschnitt-Aktion beschließen wir spontan, uns ganz von dem Efeu zu trennen. Auch die verholzten Efeu-Ranken müssen weichen; wir kappen die Verbindung direkt oberhalb der Wurzeln. Der Berg der zu häckselnden Biomasse wächst schnell; der Häcksler und ich, wir geben unser Bestes, kommen aber nicht hinterher. Dennoch ist am Ende des Sams-Tages alles abgeschnitten und fast alles gehäckselt – und meine Stimmung nach einigen Tiefpunkten wieder im grünen Bereich. NUR (haha) die Wurzeln selbst sind noch unberührt. Nach 20 Jahren ähneln sie dem Teil des Eisberges, der die Spitze trägt, aber in seiner umfassenden Größe unsichtbar bleibt. In diesem Fall ist der erste Schritt bei weitem nicht der halbe Weg, sondern nur ein klitzekleiner, mühseliger Start. Wir ahnen: Da kommt noch einiges auf uns zu …  

Buchstäblich Zweck-los

Jeder lernt in der Fahrschule, dass Hupen nur einen Zweck hat: darauf hinzuweisen, wenn ich oder andere gefährdet sind – als Warnung. Hupen aus Protest ist ebenso wenig erwünscht oder erlaubt wie Hupen aus Freude über einen Sieg der Fußball-Nationalmannschaft. Letzteres passiert selten, ist meist vorhersehbar und stört wohl die wenigsten. Anders geht es zumindest mir, wenn (meist ungeduldige) Autofahrer ihrem Ärger buchstäblich lautstark Nachdruck verleihen: weil der ganz vorn an der Ampel nicht schnell genug losfährt, ein Fußgänger zu langsam die Straße überquert oder ein Spurwechsler dafür länger braucht, als der hinter ihm Fahrende für notwendig erachtet.

Ich persönlich war mit derart zwecklosem Gehupe noch nie gemeint; ohnehin bin ich als vorbeifahrender Radfahrer meist gänzlich unbeteiligt. Aber als solcher höre ich das Ärger-Hupen besonders gut, erschrecke und bezweifle jedes Mal, dass es etwas bringt, sprich: seinen Zweck erfüllt.

Für die Mannschaft

Da brennt der FC Bayern ein Tor-Feuerwerk ab und gewinnt in der Champions League 9:2 gegen Dinamo Zagreb. Natürlich wird das auch medial gefeiert, klar, der höchste Sieg für den FCB in der CL und so. In unserer Zeitung klingt es so, als hätte Harry Kane das ganz allein hinbekommen: drei Elf-Meter und ein Tor aus dem Spiel heraus.

Ich bin kein Kenner, wenn´s um Fußball geht. Aber ich weiß, dass dieses Spiel nur mit elf Spielern funktioniert – Mannschaftssport halt. Am wichtigsten sind daher diejenigen, die mannschaftsdienlich spielen. In der Hinsicht denke ich nicht als erstes an Harry Kane. Es ist ein anderer, der Tore vorbereitet, für die Mannschaft läuft und sich (ohne Selbstdarstellung) mit den anderen freut. Er spielt super Fußball, ist jung und trotzdem nicht abgehoben, das muss man auch erstmal schaffen. In unserer Zeitung wird er mit keinem Wort erwähnt, aber für mich war er – wieder einmal – Spieler des Tages: Jamal Musiala.

Ausgesprochener Vorteil

Spontan werfe ich nicht nur mein Kärtchen in den Briefkasten, sondern klingele, um persönlich zu gratulieren. Das Geburtstagskind freut sich und bittet mich herein; drei andere Spontan-Gäste sitzen schon bei Sekt und/oder Kaffee. Wir kennen uns nicht und fragen uns, was wir machen. „Ich bin Texter“, sage ich und werde sofort unterbrochen: „Texterin heißt es – ich bin Gleichstellungsbeauftragte!“ Ich bin perplex und würde gern widersprechen, lasse es aber: Geburtstagskinder dürfen mehr als andere.

Hinterher googele ich, was eine Gleichstellungsbeauftragte so macht – und in wessen Auftrag. Sie `hat allgemein die Aufgabe, die Beschäftigten vor Benachteiligungen aufgrund ihres Geschlechtes zu schützen und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz durchzusetzen´, lese ich im Internet. Offenbar umfasst die Tätigkeit, Vorteile auch durch Sprache zu gewährleisten – im Job und privat. Was aber, wenn ich als Frau keinen Wert darauflege? Wenn ich mich selbst nicht als Ingenieurin bezeichne, sondern als Ingenieur, als Texter und nicht als Texterin, als Rad- beziehungsweise Autofahrer oder Fußgänger …? Muss ich aus Rücksicht auf alle anderen, die eventuell Wert darauflegen, mitmachen bei dieser Art bemühter Gleichbehandlung? Ich weiß es nicht, lasse mir aber ungern vorschreiben, was oder wie ich zu reden habe – und sei es noch so sehr zu meinem Vorteil.

Der Herbst, der Herbst … 

„Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß“, so fängt der Herbsttag an bei Rilke. Traurig geht das Gedicht zu Ende: „Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben, wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben …“ 

Der Herbst ist da. Noch sind die Blätter nicht braun, gelb oder orange, sondern hängen dunkelgrün an den Bäumen. Aber es regnet öfter, der Himmel hängt voller Wolken – und vor allem ist es kalt. Muss ja, ich weiß. Trotzdem sind diese ersten Herbsttage nach dem Sommer jedes Mal gewöhnungsbedürftig für ein Sommerkind wie mich.

Währenddessen

Hinterher ist man immer schlauer; hinterher war eine schwierige Lebensphase `doch nicht so schlimm´ oder sogar `eine gute Erfahrung´, aber währenddessen? Währenddessen sind Situationen manchmal richtig doof und alles andere als gut. Schönreden ist etwas für hinterher; währenddessen ist es so, wie es eben ist.

Daran denke ich fast jedes Mal, wenn Menschen in unserer Gemeinde von dem erzählen, was sie mit Gott erlebt haben. Fast immer sind es unangenehme Situationen mit einem guten, versöhnlichen Ausgang – meist zeitnah: Gott hat eingegriffen und geheilt, Vergebung ermöglicht, Frieden im Herzen geschenkt und Zuversicht … Das alles ist ermutigend, ohne Frage.

Aber ich selbst erlebe bisweilen Phasen, in denen Gott sich diskret zurückhält: jemand nicht spontan gesund wird, meine Wut sich nicht in Luft auflöst, ich keinen Frieden finde und sich mir keine zufriedenstellende Perspektive bietet. Ich hänge in unangenehmen Situationen fest und bitte Gott, einzugreifen – und es tut sich einfach GAR NICHTS. Nur Gott gehört der Dank, wenn ich währenddessen trotzdem darauf vertrauen kann, dass Gott sich schon kümmern wird. Es wäre ermutigend, wenn ich merkte, dass ich mit DIESER Erfahrung nicht allein dastehe, weil sie auch für andere NORMAL ist.