Kommunikation `leicht´

Meist schreibe ich Textnachrichten. Nur selten nutze ich die Aufnahmefunktion, denn in der Regel finde ich Sprachnachrichten zu lang. Wenn ich doch eine verschicke, versuche ich deshalb, mich sehr kurz zu fassen. Zufällig bin ich dabei, als mein Sohn eine Sprachnachricht von mir abhört – in anderthalbfacher Geschwindigkeit. Ach ja, denke ich, kann man machen.

Meine Stimme klingt fröhlich, schwungvoll bis leicht hektisch und wie durch Lachgas verändert: Ich höre mich an wie Mickey Mouse, ein wenig außer Atem. Zwar verstehe ich nicht alles auf Anhieb, aber der Inhalt ist zweitrangig. Allein schon die Geschwindigkeit bringt mich zum Schmunzeln; es kann sich nicht um ein trauriges oder ernstes Thema handeln. Nur die Hälfte verstehen und ein Audio-Erlebnis im Comic-Stil: Könnte man ohne technische Hilfsmittel so reden, wäre für Trübsal wenig Platz – und Kommunikation immer von einem Lächeln begleitet.

Oh Mann!

Ich begleite meine Tochter zu einem Seminartag fern der Heimat. Während sie sitzt und zuhört (oder so), beantworte ich Mails, schreibe Texte und gehe spazieren (und so). Die Gegend ist schön; wir sind im Bergischen.

Aus Celle bin ich ähnlich plattes Land gewohnt wie die Ostfriesen. Hier dagegen geht es munter hoch und runter – zum Wandern schön, beim Radfahren und Laufen sicherlich herausfordernd bis nervig. „Nimm deine Wanderschuhe mit“, hatte mein Mann mir vorher geraten. Da ich inzwischen meistens auf ihn höre, bin ich bestens gerüstet.

Als ich mich das zweite Mal auf den Weg mache, biege ich gleich am Anfang anders ab, ohne es zu merken. Nach einer Weile erscheint mir alles fremd und neu, was nicht verwundert. Irgendwann finde ich den alten Weg wieder – und biege später noch einmal anders ab … Ich will nicht behaupten, dass ich die Gegend dadurch besser kennenlerne; aber anschließend wirkt die vierstündige Rückfahrt wie eine schöne (und gemütliche) Perspektive.

Formal – für wen?

Ich beherrsche kein Amtsdeutsch. Wenn ich so schreibe, wie ich es für verständlich halte, erhalten meine Mails (auch die offiziellen) leicht einen nahbaren Ton. Es fällt mir einfach schwer, mich förmlich und formal auszudrücken – und ich mag es auch nicht. Schließlich ist der Empfänger meiner Nachricht immer noch ein Mensch!

Kürzlich telefonierte ich mit der Pressestelle einer Behörde, weil ich ein paar Fragen hatte. Der Mann am anderen Ende der Leitung war sehr freundlich: „Schicken Sie mir mal Ihre Fragen“, sagte er, „ich schreibe Ihnen dann eine Antwort.“ Wir verabschiedeten uns auf baldiges Wiederlesen. Normal halt. Einen Tag später kam seine Antwort: kein persönliches Wort bis auf die Anrede und das übliche `Mit freundlichen Grüßen´ am Ende. Dazwischen nur absolut steifes Behördendeutsch. Oh, Mann, dachte ich, muss das sein? Wenn ich mich konzentriere, verstehe ich zwar auch diese leicht gestelzte Sprache. Dennoch frage ich mich, warum mancherorts der Form derart Genüge getan werden muss – buchstäblich. Es klingt schön offiziell, einheitlich und ist nicht angreifbar. Aber wer, bitte, mag sowas lesen? Ich kenne niemanden! 

Sanftmut

„Die Frucht aber des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Keuschheit.“
Galater 5, 22

Ich höre eine Predigt von Timothy Keller, einem amerikanischen Theologen, der vergangenes Jahr gestorben ist. Es geht um die Frucht des Geistes, nämlich Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Keuschheit. Laut Timothy Keller ist das ein bunter Blumenstrauß großartiger Eigenschaften. Sie sind in jedem Christen vorhanden, sagt er, allerdings unterschiedlich stark ausgeprägt. Jeder könne sich fragen, in welchem Charakterzug er am meisten Luft nach oben sieht.

Ich denke eine Weile darüber nach. Verglichen zu früher bin ich sicher geduldiger geworden und gelassener (habe deutlich mehr inneren Frieden), vor allem in Bezug auf Dinge, die ich nicht kontrollieren kann. Wachstumspotential sehe ich unter anderem bei Sanftmut, dieser schwer greifbaren Wesensart: sich selbst zurücknehmend, wohlwollend und gnädig umzugehen mit der Andersartigkeit seiner Mitmenschen. Zwar bin ich längst nicht mehr so schnell auf 180 wie vor zwanzig Jahren, aber Sanftmütigkeit ist noch immer nicht `mein Gefährt´.

Ich erzähle meinem Mann davon; insgeheim wünschte ich mir den Zuspruch, ich sei viel zu kritisch mit mir. Aber er ist wie immer ehrlich, lächelt und bestätigt meine nicht ganz so angenehme Selbsterkenntnis. Gleichzeitig vermittelt er, dass er mich sehr liebt. Ohne Parallelen ziehen zu wollen: Gott sieht mich ebenso. Ich könnte mich also zurücklehnen, wissend, dass ich halt so bin – in bestimmten Fragen mit Luft nach oben. Aber interessanterweise motiviert mich genau diese sanftmütige Akzeptanz dazu, mich selbst genau in dieser Richtung weiterzuentwickeln.

Wie gewohnt

Einer unserer Supermärkte schließt von Samstagmittag bis einschließlich Mittwoch – es wird umgebaut. Entsprechend sind am Samstagmorgen die Regale nicht mehr wie gewohnt vollständig gefüllt. Dafür bekommt man Produkte aus der SB-Kühltheke zum halben Preis. Es herrscht schon jetzt eine gewisse Hektik, die Verkäufer wirken leicht gestresst. Denn das Abbauen und Verrücken der Regale hat an einigen Stellen bereits begonnen. Ab heute Mittag werden die Mitarbeiter ausräumen, umbauen, neu installieren und am Ende wieder einräumen, was das Zeug hält. Mindestens einer muss den Überblick behalten, damit am Donnerstag alles wieder zu finden ist – wie gewohnt kundenfreundlich hübsch drapiert.

„Hier bekommen wir heute nicht mehr alles, was wir suchen“, raunt eine Bekannte mir enttäuscht zu. Ich erinnere sie daran, dass wir in unmittelbarer Nähe, nämlich weniger als einen halben Kilometer entfernt, ZWEI weitere Supermärkte haben. „Ja, das stimmt“, sagt sie und klingt ergeben in ihr Schicksal: Manches gibt es eben nur hier genauso, wie wir es gewohnt sind.

Die Schließung wirft ihre Schatten voraus und an den Kassen drängen sich ein paar mehr Kunden als an einem gewöhnlichen Samstagmorgen. Uns nähert sich ein Bewohner einer in der Nähe befindlichen Behinderteneinrichtung. Er spricht `meine Kassiererin´ an – ohne höfliche Zurückhaltung, sprich: ohne abzuwarten, dass sie fertig abkassiert hat. Die Kassiererin bleibt freundlicherweise freundlich und hört ihm zu, ein Kunde in der Schlange nicht. „Hey“, ruft er ungeduldig, „die Frau kassiert doch gerade.“ Allerdings scheint es ihm weniger um die Frau an der Kasse zu gehen als darum, dass seine Wartezeit sich verlängern könnte.

Nachdenklich fahre ich nach Hause. Normalerweise macht man etwas neu oder baut um, damit es hinterher schöner ist als vorher. In diesem Fall sind wir als Kunden die Zielgruppe dieser Verschönerungsmaßnahme. Einige von uns waren heute Morgen weder voller Vorfreude noch verständnisvoll, sondern einfach nur genervt: Weil es kurzzeitig mal nicht so läuft wie gewohnt. 

Keine Zeit?

„Dafür habe ich keine Zeit“, sagt eine Freundin: Sie komme einfach nicht dazu, sich die Hände einzucremen. Auch ich creme mir nicht oft die Hände ein, aber es liegt nicht an der fehlenden Zeit – die hätte ich. Ich putze mir schließlich auch dreimal am Tag die Zähne (vielleicht etwas übertrieben), treibe regelmäßig Sport (völlig freiwillig), schreibe Briefe an meine Kinder (anrufen ginge schneller), gehe spazieren, lese heute Nachrichten (die morgen schon wieder von gestern sind) … – und tue noch viel unnötigeren Kram.

Wenn man´s genau nimmt, hat jeder von uns `alle Zeit der Welt´. Es ist nur die Frage, wofür wir sie nutzen. Ich jedenfalls nehme mir ab und zu Zeit, meine Hände einzucremen.

Ganz ehrlich? Interessiert mich nicht!

„Ich weiß nicht, wie Kamala Harris aussieht“, sagt sie, „und es ist mir auch egal.“ Eine junge Frau, die sich nicht für Politik interessiert – und noch weniger für die amerikanische: Das kommt wahrscheinlich nicht so selten vor, nur geben die wenigsten das offen zu. Aus gutem Grund: Mit dieser Art von Ehrlichkeit macht man sich angreifbar. Von ihren Freunden wird die junge Frau dafür belächelt oder sogar mit verständnislosem Kopfschütteln bedacht.  „Aber wieso sollte ich wissen müssen, wie Kamala Harris aussieht?“, fragt sie sich, „Wäre es nicht wichtiger, zu wissen, welche Politik sie macht?“ Damit hat sie recht: Wer Kamala Harris erkennen würde, aber keine Ahnung hat, welche Positionen sie vertritt – weiß letztlich auch nicht wirklich etwas.

Die junge Frau, von der ich spreche, will nicht nach Amerika auswandern oder auch nur eine Weile dort leben. Sie will nicht Politik studieren oder sonst etwas. Denn Politik interessiert sie nur sehr, sehr begrenzt. Angesichts der Reaktionen in ihrem Umfeld fragt sie sich: Darf ich das? Die Antworten darauf sind wahrscheinlich so unterschiedlich wie das Interesse für Politik selbst.

Eins ist für mich klar: Die ehrlich zugegebene Ignoranz hinsichtlich politischer Fragen ist nicht alles, was sich über diese junge Frau sagen lässt. Bittet man sie um Hilfe, lässt sie einen nicht im Regen stehen – oder hat auf halber Strecke etwas Besseres zu tun. Sie ist humorvoll und freundlich, begegnet älteren Menschen respektvoll und wertschätzend und kümmert sich gern und zuverlässig um ihr anvertraute Kinder. Praktische Aufgaben erledigt sie gründlich und scheut sich nicht, ihre Finger schmutzig zu machen. Sie ist grundsätzlich ehrlich und an Menschen interessiert. Als Freundin fragt sie nach, hört zu und hält sich mit Urteilen zurück; sie ist verschwiegen, einfühlsam und noch viel mehr.

Im täglichen Miteinander spielt das Interesse für Politik eher auf den hinteren Rängen. Finde ich – und bin dabei ganz voreingenommen. Denn zwar weiß ich, wie Kamala Harris aussieht (und dass sie die Wahl verloren hat), aber sonst? Die richtige Zuordnung – Demokraten oder Republikaner – fällt auch mir schwer. Wofür sie sich stark machen? Meine Antwort wäre spärlich und überlagert davon, wie peinlich mir Donald Trump als `wichtigster Mann der Welt´ ist. Ganz ehrlich: Ich interessiere mich eben auch nur sehr begrenzt für Politik!

Nicht wahr?

Ein Mensch, der mir nahesteht, sagt etwas, was nicht wahr ist. Angesichts der Unaufrichtigkeit denke ich: `Das kann doch nicht wahr sein!´
Zu denen, die wir am meisten lieben, haben wir schon eine besondere Beziehung, nicht wahr? 

Ganz schön großartig – und mühsam

Ich sehe eine Doku über eine junge Frau, Cathy. Mit ihrer Zwillingsschwester Bella und ihrem Mann Max zusammen will sie einen Ultratrail laufen – den Zugspitzlauf: 106 Kilometer, über 5.000 Höhenmeter. Die beiden Schwestern trainieren oft zusammen, Bella ist schneller. Das wurmt Cathy ein bisschen; sie würde bei sich selbst gern mehr Fortschritte sehen.

Die Kamera begleitet die Frauen; Intervall-Läufe sind gut für Fitness und Tempo. Cathy möchte vor allem schneller werden, denn beim Zugspitzlauf würde sie gern unter 20 Stunden bleiben. Zur Probe läuft sie drei Monate vorher 69 Kilometer in Kroatien – und zweifelt hinterher, ob sie sich ein bisschen zu viel vorgenommen hat.

Einige Male fragt die junge Frau sich: „Warum tue ich mir das an?“, aber als es endlich soweit ist, packt sie begeistert ihre Sachen und ist vor dem Start ganz hibbelig. Die Läufer starten am Abend, sind also die ersten sechs Stunden im Dunkeln unterwegs. „Ich bin müde und will ins Bett“, sagt Cathy nachts um drei und schiebt ein paar Stunden später noch ein „Ich will nach Hause“ hinterher. Der Sonnenaufgang ist spektakulär, einige halten an und fotografieren – um Bestzeiten geht es offenbar den wenigsten. Dann fängt es auch noch an zu regnen und wird rutschig. Einige Anstiege sind brutal; bergab ist auch kein Spaziergang.

Die drei bleiben zusammen und ermutigen Bella, der es ab Kilometer 80 oder so nicht gut geht. „Ich mach das nie wieder“, sagt sie und Cathy antwortet: „Musst du auch nicht!“ Sie werden nicht unter 20 Stunden bleiben, finden aber: „Das ist Latte.“ Sie schaffen es entweder zu dritt, vor der Cut-Zeit von 27 Stunden ins Ziel zu kommen – oder gar nicht. Die letzten Meter laufen sie Hand in Hand und zumindest Cathy strahlt. „Dass ich das mit den beiden Menschen zusammen machen konnte, die in meinem Leben am wichtigsten sind“, sagt sie, „das ist großartig.“ 

Ich mag das auch, denke ich: so eine sportliche Grenzerfahrung in guter Gesellschaft. Natürlich würde ich (laufend) keine solche Distanz schaffen – und auch nicht dafür trainieren wollen. Stattdessen erinnere ich mich an meine kurze, unspektakuläre und großartige Triathlon-Vergangenheit. Beim ersten Mal wurde ich zweite – und war enttäuscht. Später kam ich immer ins Ziel, aber nie mehr aufs Treppchen. Währenddessen fragte ich mich (wie Cathy), wieso ich mir das antue: Todesangst beim Schwimmen braucht kein Mensch. Danach sind die Beine eigentlich zu schlapp und schwer fürs Radfahren – und du fährst trotzdem. Selbst das sonst von mir so geliebte Laufen war nie ein Selbstläufer: „Das jetzt auch noch, ich muss verrückt sein.“

Ein Zugspitzlauf oder ein Triathlon. Beides ist toll und von (ziemlich weit) vorn bis hinten mühsam; andere erleben es genauso und tun es trotzdem. Denn ohne die Mühe kein Zieleinlauf – auch das ist die Wahrheit.