Währenddessen

Hinterher ist man immer schlauer; hinterher war eine schwierige Lebensphase `doch nicht so schlimm´ oder sogar `eine gute Erfahrung´, aber währenddessen? Währenddessen sind Situationen manchmal richtig doof und alles andere als gut. Schönreden ist etwas für hinterher; währenddessen ist es so, wie es eben ist.

Daran denke ich fast jedes Mal, wenn Menschen in unserer Gemeinde von dem erzählen, was sie mit Gott erlebt haben. Fast immer sind es unangenehme Situationen mit einem guten, versöhnlichen Ausgang – meist zeitnah: Gott hat eingegriffen und geheilt, Vergebung ermöglicht, Frieden im Herzen geschenkt und Zuversicht … Das alles ist ermutigend, ohne Frage.

Aber ich selbst erlebe bisweilen Phasen, in denen Gott sich diskret zurückhält: jemand nicht spontan gesund wird, meine Wut sich nicht in Luft auflöst, ich keinen Frieden finde und sich mir keine zufriedenstellende Perspektive bietet. Ich hänge in unangenehmen Situationen fest und bitte Gott, einzugreifen – und es tut sich einfach GAR NICHTS. Nur Gott gehört der Dank, wenn ich währenddessen trotzdem darauf vertrauen kann, dass Gott sich schon kümmern wird. Es wäre ermutigend, wenn ich merkte, dass ich mit DIESER Erfahrung nicht allein dastehe, weil sie auch für andere NORMAL ist.

Ein Mensch – zwei Rollen

Bei der Arbeit zählen vor allem meine Fähigkeiten. Ich bin emotional nicht für andere verantwortlich und entsprechend unabhängig. Am Ende gehe ich nach Hause und weiß: Im Notfall kann ein anderer meinen Job übernehmen.

Zu Hause ist vor allem meine Beziehungsfähigkeit gefragt, und die kennt keinen Feierabend. Was ungeklärt ist, kann manchmal auch bis morgen warten – aber irgendwann muss ich mich darum kümmern.

Wahrscheinlich bin ich überall ersetzbar. Aber privat ist es ungleich schwieriger als beruflich.

Ich komme auch ohne Auto klar!

Weil ich Freunde zum Flieger gebracht habe und auch wieder abholen werde, steht deren Auto in der Zwischenzeit bei uns vor der Tür. Wir dürfen es benutzen, aber ich komme auch ohne Auto klar. Heute Morgen kam der Herbst mit Macht – und Regen. Die beiden Schul`kinder´ konnten mit einem Freund zur Schule HINfahren; ZURÜCK braucht zumindest der Jüngere einen anderen Chauffeur. „Wie gut, dass wir das Auto hier haben“, hatte meine Tochter gesagt. Jaja.

Bis zur Schule komme ich ohne besondere Vorkommnisse. Mich wundert nur das leuchtende runde Zeichen im Armaturen-Display und die Tatsache, dass sich der Kleinwagen schwer lenken lässt. Mittags ist nicht viel los in der Kleinstadt, auf dem Parkplatz vor der Schule aber tanzt der Bär: täglich, vor allem bei Regen (also heute)? Ich weiß es nicht, ich bin hier normalerweise NIE. Es kostet mich zwei Anläufe und mühevolle Armbewegungen, in eine der wenigen schmalen Parkbuchten zu gelangen.

Leider kommt mein Sohn fast sofort; um mich herum hat sich die Auto-Enge noch überhaupt nicht gelichtet. Diesmal in einer Lenkbewegung, aber wieder mühevoll, setze ich zurück und fahre nach Hause. In den nächsten beiden Tagen mag es regnen oder schneien – völlig egal. Vor der Tür steht das Auto (sehr gut). Wir dürfen es benutzen, aber ich komme auch ohne Auto klar. Und für den Transfer vom Flieger nehme ich unseres: Bei dem funktioniert die Servolenkung einwandfrei!

Es war einmal … 

In einem kurzen Text erinnert sich jemand, wie es war, während der Corona-Pandemie einkaufen zu gehen: eine Einkaufswagenlänge Abstand zum Vordermann, Plexiglas-Scheiben vor dem Kassierer, Menschen, die mich super höflich vorlassen – um mir nicht zu nah zu kommen etc. Die Autorin denkt außerdem noch heute daran, dass man sich so lange die Hände waschen sollte, wie es dauert, Happy Birthday zu singen. Was in dem Artikel durchschimmert ist einerseits die Angst, die damals herrschte, und andererseits das Gefühl, dass Isolation zwar unangenehm, aber notwendig war.

Ich habe dasselbe erlebt, aber meine Erinnerung ist anders: Zum einen hatte ich keine reale Angst – weder, jemanden zu infizieren, noch, ihn anzustecken. Deshalb wehrte ich mich (wo und wie ich konnte) gegen die übervorsichtige Zurückhaltung, die von ganz oben verordnet und mit kollektiver Angst begründet wurde – fast so als wäre jede soziale Interaktion vor allem eins: nämlich gefährlich. Außerdem empfand ich das auf Abstand ausgerichtete Miteinander als eine große Verarmung, fast wie einen Angriff auf unser Mensch-Sein. 

Es war mir fremd, wie selbstverständlich gesunde, junge Menschen Plastikhandschuhe benutzten und sich ständig die Hände desinfizierten. Und Happy Birthday sang ich auch damals (wenn überhaupt) nur als ein Geburtstagsständchen. Am negativsten in Erinnerung sind mir kleine Kinder mit Maske. In Ausnahmefällen gab es sicherlich besondere Gründe dafür, beispielsweise eine sterbenskranke Uroma oder ein immungeschwächtes Geschwisterkind zu Hause. Dennoch versetzte der Anblick maskierter Kleinkinder  mir jedes Mal einen Stich: auch weil unser Kinderarzt mir erzählt hatte, Babys würden weniger fremdeln – und keine Gesichter mehr lesen können.

Ebenso wie die Autorin freue ich mich, dass die Zeit vorbei ist. Aber anders als sie erinnere ich mich nicht vorrangig an ein gemeinschaftliches Wir-müssen-da-durch-Gefühl. Für mich ist da mindestens ein schaler Beigeschmack nach alternativloser Panikmache und dem von vielen Medien und Politikern befeuerten Motto: Wer sich nicht kritiklos an die Regeln hält, gehört ausgeschlossen.

Jenseits und diesseits 

Ich habe eine Karte in meinen Vorräten, die ich gern verschicken würde. Darauf `redet´ ein (offenbar) älteres Huhn, über eine bestimmte Übung aus `Yoga für Senioren´. Diese verhindere nicht nur frühe Verkalkung, sagt es, sondern auch: „ein paar andere Sachen, die ich aber schon wieder vergessen habe.“ Natürlich bezieht sich der Spruch (sehr humorvoll) auf die Vergesslichkeit im Alter. Ich finde das witzig – schon jenseits der 50 erkenne ich mich wieder.

Während ich die Karte lese, fallen mir einige Leute ein, die älter sind als ich. Und sofort sehe ich das Dilemma: Gerade sie könnten die Karte durchaus als persönliche Anspielung und also miss-verstehen. Nicht jeder kann über etwas lachen, wovon er selbst betroffen ist. Was aber tun mit der Karte, die ich nicht böse meine, sondern einfach nur treffend und witzig finde? Die Rettung ist meine Nichte, die bald Geburtstag hat. Selbst wenn sie vergesslicher wäre als ich – diesseits der 30 ist sie ein sicherer Empfänger!

Weise Worte? Was man eben so sagt …

Es ist nicht zu fassen, wie alt wir aussehen, wenn wir versuchen, in den Mokassins eines anderen zu laufen. Denn stattdessen sind wir Meister darin, uns um uns selbst zu drehen. Dabei wäre es klug, öfter mal die Perspektive zu wechseln und etwas Neues auszuprobieren, denn: Wer nicht wagt, gewinnt nicht. Vorsicht mag zwar besser sein als Nachsicht, andererseits gilt, dass Mut sich auszahlt. Im schlimmsten Fall macht man sich die Hände schmutzig und lässt Federn. Wo gehobelt wird, fallen nun mal Späne. Dafür steht am Ende vielleicht die Einsicht, dass andere auch nur mit Wasser kochen und das Gras hinterm Zaun doch nicht grüner ist als der eigene Rasen. Deshalb: Einfach niemals nie sagen wäre schon eine großartige Idee, die das ganze Leben verändern kann.

Obwohl Alter (angeblich?) nicht vor Torheit schützt, sollten gerade Ältere sich nicht in ihrem Tatendrang bremsen lassen. Von den Jungen können sie lernen, dass nicht nur frühe Vögel Würmer fangen – selbst wenn Morgenstund tatsächlich Gold im Mund haben sollte. Mit Dienst nach Vorschrift holt man niemanden hinterm warmen Ofen hervor. Alternativ wäre Mut zur Lücke eine gute Idee: die Beine in die Hand nehmen und alles auf eine Karte setzen. Viele Wege führen nach Rom – und auch der weiteste beginnt mit dem ersten Schritt. Außerdem sind die meisten Wege ohnehin schon das Ziel, Übung macht den Meister und am Ende kommt sowieso alles, wie´s kommt! Oder aber auch ganz anders!

Wie der Autor – so die Figur

In einem Buch, das ich gerade gelesen habe, fährt die Protagonistin nach 15 Jahren wieder zurück in ihre alte Heimat. Die Stadt, die sie damals verlassen hatte, sieht anders aus: Aber sie findet sich grundsätzlich zurecht und vermisst `abblätternde Farbe´ und `verwahrloste Vorgärten´. Ich wundere mich und bewundere sie ob ihrer besonderen Erinnerungsgabe.

Bezüglich des Orientierungssinns spielt mein Mann in einer anderen Liga als ich, aber auch ich bin unterwegs nicht völlig verloren. Dennoch frage ich mich bisweilen: Hier soll ich schon einmal gewesen sein? Und bei Straßennamen bin ich sowieso raus.

Vor einigen Jahren besuchten wir alte Freunde von mir in Freising. 20 Jahre zuvor hatte ich dort vier Jahre lang studiert, gewohnt und mich gut ausgekannt. Jetzt war mir alles fremd:
der Markt, auf dem ich verkauft hatte – mindestens verkehrt herum positioniert;
der Weg zu meiner Studentenbude außerhalb – von Umgehungsstraßen durchkreuzt und ohne Navi oder Karte nicht zu finden;
die Stadt an sich – irgendwie ganz anders und fremd.

Vielleicht gehöre ich zu den fünf Prozent der Bevölkerung, die sich nur vage und lückenhaft an Orte erinnern. Vielleicht geht es aber auch mehr Menschen so wie mir, zumal gerade Städte sich heutzutage schnell verändern. Eins ist sicher: Eine Heimkehrerin aus meiner Feder würde sich nach 15 Jahren nie und nimmer zurechtfinden – von abblätternder Farbe oder verwahrlosten Vorgärten ganz zu schweigen.

Phasenweise grüß-bar

Manche Menschen lassen sich einfach nicht grüßen; ich weiß nicht, woran es liegt. Wir kennen und er-kennen uns, aber sie grüßen einfach nicht zurück. Da sind zum einen ein paar ältere Leute aus der Nachbarschaft, die ernst und unzufrieden wegschauen: zumindest, wenn ich ihnen begegne. Die andere Gruppe der nicht Grüßenden bilden Teenagern, die ich über meine Kinder kenne. Als sie noch jünger waren, sagten sie höflich `Guten Tag´ – wahrscheinlich auf Hinweis ihrer Eltern. Sind sie zunehmend allein unterwegs, schauen sie geflissentlich an mir vorbei oder tun so, als würden sie mich nicht kennen. Erfahrungsgemäß wächst sich das aus; trotzdem finde ich es irgendwie blöd. Ich hoffe, dass meine Kinder die eine Phase übersprungen haben – und ich in die andere nicht hineinrutsche.

Glücklich für immer? So lieber nicht!

In der Stadt sitzen zwei ältere Frauen mit Kopftuch auf einer Bank. Sie halten Hefte mit Botschaften vor ihrem Körper: `Glücklich für immer´. Ich gehe langsam weiter, bis ich begreife, was an der Szene nicht passt. Dann drehe ich mich noch einmal um und schauen den beiden ins Gesicht. Es kann an der Hitze liegen, aber sie sehen müde aus, sehr ernst, vielleicht sogar frustriert. Jedenfalls kein klitzekleines bisschen fröhlich – geschweige denn glücklich. Am liebsten würde ich zurückgehen und sagen: „Gehen Sie nach Hause, mit diesen Gesichtern überzeugen Sie niemanden.“ Aber ich weiß, dass die zu erwartende übliche Diskussion in einer Sackgasse enden würde – und gehe weiter. Zwar bin ich weniger sicher als sie, ein Patentrezept für fortwährendes Glücklichsein zu kennen. Aber ihr Beispiel überzeugt mich nicht.

Ein Fest

Nehmen wir an, jemand feiert ein Fest. Hinterher fragt man, wie es war – und bekommt drei völlig unterschiedlich Antworten:

Ein Gast fand es richtig gut,
für einen anderen waren es `nicht so ganz meine Leute´
und die Eltern der Gastgeberin sind / der Gastgeber ist froh, dass es vorbei ist.

Wir nahmen unsere 50sten Geburtstage zum Anlass, kein Fest zu feiern, sondern zu zweit auf Wanderreise zu gehen.

Hinterher waren wir beide richtig begeistert – und würden vier Jahre später am liebsten nochmal losziehen.