Zungenmächte

„So ist auch die Zunge ein kleines Glied und richtet große Dinge an. Siehe, ein kleines Feuer, welch einen Wald zündet`s an!“
Jakobus 3, 5

In der Bibel steht einiges über die Macht der Zunge: Worte kann man nicht wieder einfangen, sind sie einmal ausgesprochen. Noch dazu sind es vor allem die negativen Kommentare, die hängenbleiben: Es mag stimmen, dass ich jemanden als selbstgefällig empfinde oder ihn mit „eitler Fatzke“ sehr treffend beschreibe. Allerdings besteht die Gefahr, dass diese Einschätzung alle anderen (ebenso wahren) Aspekte seiner Persönlichkeit überlagert. Den Schwerpunkt auf nur eine Nuance zu legen, ist immer unklug – sicher ist es aber besser, wenn so etwas wie „blitzgescheiter Kopf“ oder „ausgesprochen geduldig“ hängenbleibt.

In der Familie versuchen wir, einem „Du bist…“ immer etwas Positives folgen zu lassen oder es durch ein „Du verhältst dich…“ zu ersetzen. Mein Verhalten kann unfair oder dumm sein; mein Wesen machen diese Attribute deshalb noch lange nicht aus. Unfaires und dummes Verhalten lassen sich ändern. Ob ich mich aber um Fairness bemühe und mir etwas zutraue, wenn ich weiß, dass ich unfair und dumm bin? Ich bezweifle es.

„Tod und Leben stehen in der Zunge Gewalt…“
Sprüche 18, 21

Jogginghosen

„Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“
Karl Lagerfeld

Jetzt ist Karl Lagerfeld gestorben, aber ich hätte ihn auch vorher schwerlich fragen können, ob er das wirklich ernst gemeint hat. Oder ob dieser Satz ebenso zu seiner ganz persönlichen Performance in der Öffentlichkeit gehört hat wie sein Outfit mit Sonnenbrille, gepudertem Zopf und hohem Hemdkragen. Natürlich alles in schwarz/weiß.

Es ist ein Satz, der einen schmunzeln lässt – egal ob man Jogginghosenträger ist oder nicht. „Ist da was dran?“, frage ich mich. Ich habe den Wechsel vom absoluten Jogginghosen-Gegner zum Jogginghosenträger schon vor Jahren vollzogen – und keinen Kontrollverlust dabei empfunden. Vielleicht sieht man den auch nur von außen, keine Ahnung. Ich lasse meinen Sohn sogar mit Jogginghose in die Schule. Solange er die Teile bequem findet und nicht peinlich, gibt es andere Dinge, die mir deutlich wichtiger sind für sein Auftreten in der Öffentlichkeit. Und auch für sein Selbstbild.

Der Satz selbst beschreibt einen Massenzwang – selbst auferlegt -, dem ich mich nur ungern beugen möchte. Solange wir derartige Sätze „chic“ finden, haben wir nicht verstanden, wie viel wichtiger unser Verhalten als unsere äußere Erscheinung ist. In Verbindung mit Karl Lagerfeld ist der Satz aber auch ein Vermächtnis – selbst auferlegt -, dem er sich vielleicht gar nicht wirklich gebeugt hat: Ich will ihm nicht unterstellen, dass er ein oberflächlicher Mensch war. Es kann sogar sein, dass er seinen Worten deutlich weniger Gewicht beigemessen hat als die Welt um ihn herum. Sie sind nur (leider) die ersten und vielleicht einzigen, die uns zu Karl Lagerfeld einfallen.