Nicht zu sprechen!

Ich suche mir die Nummer eines Bekannten heraus und rufe ihn an. Am anderen Ende ertönt das fragende und leicht mürrische „Hallo?“ eines Menschen, dessen Stimme ich nicht kenne. Unsicher und ein bisschen eingeschüchtert stelle ich mich vor und frage, ob das die Nummer meines Bekannten ist. „Sicher nicht“, sagt die Stimme – deutlich weniger mürrisch als amüsiert. Ich bin verwirrt und entschuldige mich: „Oh, das tut mir leid, ich habe mich verwählt.“ Mein Gesprächspartner reagiert entspannt und inzwischen ausgesprochen freundlich: „Alles gut, macht gar nichts. Einen schönen Tag noch und viel Glück!“ Ich lege lächelnd auf: Wie schnell sich die Stimmung ändern kann!

Hinterher frage ich mich, ob ich Anrufe von unbekannten Nummern ebenfalls in leicht mürrischem Tonfall entgegennehme. Sicher ist, dass auch ich ehrlich freundlich auf jeden reagiere, der mich fälschlicherweise oder aus Versehen anruft.

Nur sehr selten erhalte ich Telefonanrufe, die mich wirklich nerven (Vertreter oder Verkäufer) oder tatsächlich stören (ich gehe nicht ran, wenn ich nicht abkömmlich bin). In Zukunft will ich darauf achten, mit einem Lächeln in der Stimme ans Telefon zu gehen. Der Anrufer freut sich – ob er mich nun sprechen will oder nicht.

Begegnung am Telefon

Ob ich an einer telefonischen Umfrage teilnehmen würde, bitte, bitte, fragt mich der Anrufer – in gebrochenem Deutsch. Ich lehne erst ab, aber er hakt fast flehend nach: für seinen Job, bitte, es gehe auch ganz schnell, vier oder fünf Minuten vielleicht. Zögerlich stimme ich zu. Im Verlauf der Befragung geht es immer wieder auch um meine Haltung zu Migration, Flüchtlingen, Fachkräften aus dem Ausland, deren Integration … Die Fragen sind Legion und komplex, meine Antworten nicht einfach; oft entscheide ich mich für `keine Angaben´. Am anderen Ende der Leitung müht sich offenbar ein Migrant, seinen Job gut zu erledigen und sich auch dadurch hier bei uns zu integrieren. Ich möchte das Gespräch zweimal abbrechen, bringe es aber nicht fertig. Immer wieder bittet der Anrufer mich um noch ein wenig Geduld – es gehe doch um seinen Job.

Letztlich dauert es deutlich länger als angekündigt; mein Gegenüber tut sich schwer mit den langen Fragen und meinen Antwort-Optionen: Nach 13 Minuten sind wir fertig, zum Schluss antworte ich nur noch kurz, knapp und fast schon unhöflich. Anschließend bedankt sich der junge Mann für das `freundliche Gespräch´; ich gehe zurück zu meiner Familie. „Warum hast du nicht früher aufgelegt“, fragt mich meine Tochter, die meine Ungeduld wohl durch die Tür wahrnehmen konnte. Ich weiß es selbst nicht, denke aber an eine der Fragen: Ob ich finde, dass von der Regierung genug für die Integration von Migranten getan werde. „Eher nicht“, hatte ich geantwortet und merke: Integration ist nicht nur etwas für die Regierungsebene, sondern für das persönliche Miteinander – manchmal auch am Telefon.

Ungestört

Kleine Kinder können sich super allein beschäftigen – es sei denn, die Aufsichtsperson telefoniert. Der Telefonhörer an meinem Ohr schien zumindest für unsere Kinder das Signal auszusenden: „Fragt mich was; habt Hunger oder Durst; seid ab sofort gelangweilt oder streitet euch …“ Ungestörtes Telefonieren geht nur, wenn Kinder schlafen.

Ein Handy am Ohr scheint andere Signale zu senden: Beim Spazierengehen begegne ich einer jungen Frau mit Kleinkind. Die Mutter spricht angeregt mit weiß-ich-wem; das Kind schaut rum und brabbelt vor sich hin. Ungestört geht das nur, wenn Mama telefoniert.

In Kontakt bleiben

In den 80er Jahren im ländlichen Raum nahe Potsdam: Wir haben Telefon, aber das nutzt einem manchmal gar nichts, weil so viele andere kein Telefon haben. Briefe von Kleinmachnow nach Ziesar brauchen circa fünf Tage – in der Zeit könnte man die Strecke auch zu Fuß zurücklegen. Mehrmals. Wir schreiben trotzdem Briefe.

1991 in Australien: Überall Telefonzellen; mit einer Visa- oder Mastercard kann man sich um die Unmengen an Kleingeld drücken, die man bräuchte, um nach Deutschland zu telefonieren. Nach 50 Dollar wird man automatisch unterbrochen – gut für den Geldbeutel. Meine vollfotografierten Filme habe ich mit der Post unentwickelt nach Deutschland geschickt – die lieben Verwandten haben dann mit leichter Verzögerung nacherleben können, was mir so passiert ist.

1994 in Tansania – Dar-es-Salaam: Irgendwo in einer Art Telefoncenter morgens ein Gespräch nach Deutschland angemeldet, stundenlang auf ein Durchkommen gewartet, abends wieder abgemeldet. Briefe dauern drei Wochen. Als ich in Tegel lande, erwarten meine Eltern eine zum Skelett abgemagerte Afrika-Reisende, dabei war mein vor Wochen im Brief erwähnter Durchfall schon längst wieder Geschichte.

1998 in Deutschland: „Fernbeziehung“ zwischen Heidelberg und Celle. Briefe dauern in der Regel einen Tag (und man schreibt sie immer noch), Telefonieren ist vergleichsweise teuer – Telefonkarten für die noch existierenden Telefonzellen sind in verschiedenen Preis-Kategorien erhältlich: Ich nehme immer die `ganz teuren´ für 50 DM und verbrauche mehrere im Monat.

2017 in Deutschland: Telefonzellen sind über die Jahre verschwunden. Manche Leute haben überhaupt keinen Festnetzanschluss mehr! Postboten bringen hauptsächlich Rechnungen oder Werbe-Dinge, selten Postkarten – gehäuft meist um Geburtstage oder Weihnachten herum. Briefe brauchen noch immer einen Tag – wenn nicht, regen wir uns auf. Telefone sind weniger zum Telefonieren da als zum Kommunizieren in anderer Form. ALLES wird geteilt, sofort und immerzu, meist mit Foto. Haben wir deshalb jetzt mehr Kontakt?