Ganz ehrlich? Interessiert mich nicht!

„Ich weiß nicht, wie Kamala Harris aussieht“, sagt sie, „und es ist mir auch egal.“ Eine junge Frau, die sich nicht für Politik interessiert – und noch weniger für die amerikanische: Das kommt wahrscheinlich nicht so selten vor, nur geben die wenigsten das offen zu. Aus gutem Grund: Mit dieser Art von Ehrlichkeit macht man sich angreifbar. Von ihren Freunden wird die junge Frau dafür belächelt oder sogar mit verständnislosem Kopfschütteln bedacht.  „Aber wieso sollte ich wissen müssen, wie Kamala Harris aussieht?“, fragt sie sich, „Wäre es nicht wichtiger, zu wissen, welche Politik sie macht?“ Damit hat sie recht: Wer Kamala Harris erkennen würde, aber keine Ahnung hat, welche Positionen sie vertritt – weiß letztlich auch nicht wirklich etwas.

Die junge Frau, von der ich spreche, will nicht nach Amerika auswandern oder auch nur eine Weile dort leben. Sie will nicht Politik studieren oder sonst etwas. Denn Politik interessiert sie nur sehr, sehr begrenzt. Angesichts der Reaktionen in ihrem Umfeld fragt sie sich: Darf ich das? Die Antworten darauf sind wahrscheinlich so unterschiedlich wie das Interesse für Politik selbst.

Eins ist für mich klar: Die ehrlich zugegebene Ignoranz hinsichtlich politischer Fragen ist nicht alles, was sich über diese junge Frau sagen lässt. Bittet man sie um Hilfe, lässt sie einen nicht im Regen stehen – oder hat auf halber Strecke etwas Besseres zu tun. Sie ist humorvoll und freundlich, begegnet älteren Menschen respektvoll und wertschätzend und kümmert sich gern und zuverlässig um ihr anvertraute Kinder. Praktische Aufgaben erledigt sie gründlich und scheut sich nicht, ihre Finger schmutzig zu machen. Sie ist grundsätzlich ehrlich und an Menschen interessiert. Als Freundin fragt sie nach, hört zu und hält sich mit Urteilen zurück; sie ist verschwiegen, einfühlsam und noch viel mehr.

Im täglichen Miteinander spielt das Interesse für Politik eher auf den hinteren Rängen. Finde ich – und bin dabei ganz voreingenommen. Denn zwar weiß ich, wie Kamala Harris aussieht (und dass sie die Wahl verloren hat), aber sonst? Die richtige Zuordnung – Demokraten oder Republikaner – fällt auch mir schwer. Wofür sie sich stark machen? Meine Antwort wäre spärlich und überlagert davon, wie peinlich mir Donald Trump als `wichtigster Mann der Welt´ ist. Ganz ehrlich: Ich interessiere mich eben auch nur sehr begrenzt für Politik!

Volksvertreter

`Von der schwäbischen Alb aus ist Berlin weit weg´, lautete vor einigen Wochen eine Überschrift in einer Zeitung. Eine Frau von der Alb schrieb darüber, wie wenig sie sich von der Berliner Umwelt- und Klimapolitik berücksichtigt fühle. Ökostrom und Car-Sharing funktionieren auf der Schwäbischen Alb nicht ebenso wie in Berlin. Ich konnte sie gut verstehen.

In der gleichen Zeitung stand kürzlich ein Porträt über einen deutschen Politiker. Er ist kein `hohes Tier´ in der Bundespolitik – außerhalb seines Bundeslandes kennen ihn wahrscheinlich nicht so viele. Er ist trotzdem besonders, weil er nahbar ist und sich selbst treu geblieben. Jeder, der will, kann seine Festnetz-Nummer haben und ihm persönlich seine Anliegen schildern: „Wenn mich einer anruft, bin ich dran. So war das, so ist das, und so wird das bleiben“, so lautet das Motto von Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales in NRW. Aber viel wichtiger als sein Name ist etwas anderes. In dem Artikel heißt es: „Er spricht über das, worin er den Kern der Demokratie sieht: dass einer, der das Volk vertritt, das Volk auch verstehen muss.“

Dem stimme ich zu. Verständnis für Menschen wächst nur, wenn man ihre Probleme kennt. Dazu muss man dort mit den Menschen sprechen, wo sie leben und arbeiten – als Mit-Mensch. Nur wenige Politiker können sich dieses Kümmern zeitlich erlauben: Das Arbeitspensum eines Berufspolitikers ist immens – Schreibtisch-Arbeit, Sitzungen, Vorträge, Debatten. Ob sich Bürgernähe so erreichen lässt, weiß ich nicht. Den `Menschen aufs Maul zu schauen´, ist deutlich kleinschrittiger, glanzloser. Aber vielleicht sollten Politiker es versuchen? Menschen würden sich von ihnen dann sicher besser verstanden und vertreten fühlen – in der Schule, in Arztpraxen, auf dem Bauernhof und auf der schwäbischen Alb.

Von Ärzten und Politikern

„Kinder und Jugendliche sollten geimpft werden, damit sie am sozialen Leben teilnehmen können“, meint ein Arzt, wenn unsere Zeitung ihn richtig zitiert. Und gleich danach: „Wer geimpft werden will, den impfe ich.“ Ich bin verwundert und erschrocken, denn diese Sätze klingen nach politischen Aussagen, nicht nach medizinischen. Daher hätten sie mich aus dem Mund eines Politikers nicht verwundert und noch weniger erschrocken. Politiker entscheiden über das große Ganze und berücksichtigen dabei diverse fachliche Ratschläge und Interessen. Für mich mit meinem begrenzten Überblick sind politische Entscheidungen daher nicht immer nachvollziehbar – und müssen es auch nicht sein.

Ärzte dagegen sind Fachleute und für die Gesundheit des gesamten Menschen zuständig. Vielleicht müssen sie dazu manchmal die körperliche Unversehrtheit gegenüber der mentalen abwägen, das gebe ich zu. Dem Zitat dieses Arztes kann ich ein solches medizinisches Abwägen nicht entnehmen: Stattdessen klingt er, als wäre sein Fachwissen in dieser Frage nicht entscheidend. Ärztliche Unabhängigkeit hört sich für mich anders an. Vielleicht ist es das, was mich am meisten verwundert und erschreckt.

Komplex oder kompliziert?

Ich bin kein politischer Mensch, ich beobachte die Lage in der Welt eher mit einer schlichten Allerwelts-Schlauheit. Politische Zusammenhänge sind mir nicht klar, politisches Kalkül keine Sache, die ich durchschaue. Politik ist mir zu komplex, das können andere besser.

Es fällt mir sogar schwer, politische Entscheidungen zu bewerten: Dass die Briten aus der EU austreten wollen, kann ich weder begründet nachvollziehen noch ablehnen – ich finde es einfach nur schade. Sie mögen ihre Gründe haben. Es macht jedoch eher den Eindruck, die Entscheidung für den Brexit geht auf das Konto einiger weniger: Diese Leute nutzten in einem unbedachten Augenblick die Schwächen einer funktionierenden Demokratie aus. Es gelang ihnen, einem latent wütenden und beeinflussbaren Teil dieses ansonsten entspannten und humorvollen Volkes Macht und eine Stimme zu geben. Dies mündete in einer spontanen, reichlich unüberlegten Entscheidung. Mit deren komplizierten Folgen müssen jetzt nicht nur die Briten leben, sondern ganz Europa. Heerscharen von Abgeordneten beschäftigen sich seit Jahren mit einem zu lösenden „gordischen Knoten“, den es vor dem Brexit-Referendum überhaupt nicht gab.

In den letzten Monaten und Wochen beobachte ich aus der Ferne, wie Politiker den mit dem Brexit verbundenen Kollateralschaden möglichst in Grenzen halten wollten. Hin und her, Verhandlungen hier und da, Kommentare von dem oder der. Dann die – für mich so nicht absehbare – Niederlage von Theresa May und ihr Rücktritt. Danach die Wahl von Boris Johnson: Ausgerechnet derjenige, der für das ganze Schlamassel federführend (mit) verantwortlich ist, soll es jetzt richten? Offenbar befürworten doch mehr Briten, als ich dachte, den Austritt aus der EU.

Wie es dann aber so ist: Johnson verhält sich so offensichtlich unpolitisch – wenig kompromissbereit und vor allem sehr Ich-orientiert -, dass selbst britische Politiker es nicht mehr aushalten und ihm die Gefolgschaft verweigern. Das macht die Sache nicht einfacher, eher komplizierter. Das Parlament ist zerstritten, der Brexit – wie auch immer – schwieriger realisierbar als je zuvor. Aber es gibt mir meinen Glauben an die Politik zurück, vielleicht sogar an die Demokratie. In einer solchen sollten Leute am Ruder sein, die mutig genug sind, kluge Entscheidungen um des großen Ganzen willen zu treffen. Dafür müssen sie komplex denken und weitsichtig handeln können sowie bereit und in der Lage sein, ihre eigenen Interessen in den Hintergrund zu stellen, um den Menschen zu dienen, die sie gewählt haben. Im Fall der Briten beobachte ich weiter aus der Ferne, wie sie hoffentlich von „unlösbar kompliziert“ zurück zu „komplex, aber machbar“ kommen.