Endlich

Wenn etwas eintrifft, worauf man lange gewartet hat, freut man sich und ist gleichzeitig erschöpft: Endlich ist die Anspannung vorbei. Das Neue, was kommt, kann zwar herausfordernd werden – ist aber trotzdem befriedigender als die Warterei vorher. Die Geburt am Ende einer Schwangerschaft ist ein wunderbares Beispiel dafür, eine Job-Zusage nach vielen erfolglosen Bewerbungen ein anderes.

Neues Jahr

Die Schulkinder in der Familie haben Ferien, sind viel unterwegs – und sehr beschäftigt.
Wasser im Keller beeinträchtigt den normalen Alltag: Das einzige Paar Gummistiefel, das wir (glücklicherweise seit Weihnachten) besitzen, passt am besten mir. Die meisten anderen müss(t)en barfuß ins kühle Nass und bleiben hübsch oben.
Eine Tochter ist eine knappe Woche lang überhaupt nicht da; zwei Söhne verbringen ihre Semesterferien dafür bei uns.
Morgens, wenn fast alle noch schlafen, fahre ich zur Arbeit …

Irgendwie präsentiert sich das Neue Jahr diesmal anders als normalerweise: besondere Zeiten.

Vom Überarbeiten

Ein Freund bittet mich um einen Gefallen: Ich soll einen Text für ihn überarbeiten und darf `alles verändern´. Normalerweise mache ich so etwas gern – und habe nach einiger Zeit ein Ergebnis, mit dem wir beide zufrieden sind. Diesmal stoße ich an meine Grenzen. Ich verstehe nur rudimentär, was er sagen will; außerdem empfinde ich seine Vorlage als redundant und frage mich: „Darf der Text nachher nur noch halb so lang sein?“ Nach zwei Stunden bin ich einer verständlichen, gut lesbaren Fassung keinen Schritt näher als vorher und mache eine Pause.

Richtig hinter mir lassen kann ich diesen Auftrag jedoch nicht: Ich formuliere im Kopf hin und her und schlage mich einen halben Tag lang gedanklich damit herum; dann setze ich mich erneut hin. Jetzt wird mir schnell klar, dass die Vorlage zu unvollständig ist. Ich kann sie nicht überarbeiten, sondern muss ganz neu schreiben – `alles verändern´ eben. Dazu kenne ich mich aber im Thema zu wenig aus, weshalb ich beschließe, abzusagen. Ich könnte auch kein Auto durch Waschen wieder zum Glänzen bringen, das nicht lackiert ist. DAS allerdings wäre mir sofort klar gewesen …

Neu?

„Geschieht etwas, von dem man sagen könnte: `Sieh, das ist neu?´ Es ist längst vorher auch geschehen in den Zeiten, die vor uns gewesen sind.“
Prediger 1, 10

Von einigen Dingen gibt es sehr viel – Bücher und Fernseh-Krimis zum Beispiel. Die schiere Masse kann einen erschlagen. Dass Menschen immer noch neue Geschichten einfallen, wundert mich. Natürlich ist Fantasie unbegrenzt; aber es muss ja realistisch bleiben – ausgenommen im Genre „Fantasy“.

Wir haben keinen Fernseher; aber durch Mediatheken und Video-Dienste im Internet wissen auch wir ein wenig, was läuft, und merken zweierlei. Erstens: Es gibt eine fast unüberschaubare Anzahl „erzählter“ Geschichten. Zweitens: Bestimmte Grundmuster tauchen immer wieder auf. Schwierigkeiten, Höhenflüge beziehungsweise alle möglichen und unmöglichen Konfliktlösungsstrategien – das Repertoire an menschlichen Aktionen und Reaktionen ist begrenzt. Die Geschichten sind nicht ganz neu, sie werden nur neu erzählt.

Im echten Leben ist es so ähnlich: Kinder glauben ihren Eltern nur ungern. Schließlich haben diese keine Ahnung von aktuellen Gegebenheiten. „Ihr seid anders aufgewachsen, ihr versteht das nicht“, ist ein häufiges Argument aus dem Mund meiner Kinder. Wir alle halten unser eigenes Leben für einzigartig, unsere Erfahrungen für „neu“ – und für uns ganz persönlich stimmt das auch.

Andererseits gibt es gewisse universale Grund-Erkenntnisse wie „Feuer ist heiß“, „Lügen haben kurze Beine“, „Ohne Vertrauen ist das Leben steril“, „Unter den Teppich gekehrte Konflikte sind kein Frieden“, „Begeisterung ist oft kurzlebig“. Und so weiter, und so fort. Eltern möchten ihren Kindern manche dieser allgemein gültigen Wahrheiten unbedingt mitgeben und ihnen andere gern ersparen. Aber Weisheit lässt sich nicht vererben – außer vielleicht beim Umgang mit echtem Feuer. Dass „wirklich neu“ nur selten zutrifft, versteht man erst, wenn sich die eigenen Erfahrungen wiederholen oder zumindest ähneln.

Nur ein Auto

Ein Freund meines Sohnes hat zu seinem 18. Geburtstag ein nagelneues Auto geschenkt bekommen. Damit kann er jetzt zur Schule fahren, wenn es zu kalt ist oder nieselt und auch, wenn er einfach nur keine Lust zum Radfahren hat. Mein Sohn findet das großartig, in mir löst dieses Geschenk eine gewisse Resignation aus und ich sage: „Da können wir nicht mithalten.“ „Stimmt nicht“, sagt mein Sohn, „da wollt ihr nicht mithalten, ihr könntet schon.“

Wahrscheinlich hat er recht: Wir könnten ihm ein Auto kaufen; aber stattdessen legen wir Geld zurück für seine Ausbildung und die seiner vier Geschwister. Auch wenn wir das Geld dafür nicht bräuchten, würden wir es nicht in ein Sohn-Auto stecken. Wir finden, dass ein 18-Jähriger, der zu Hause wohnt und in die Schule geht, kein Auto braucht und dass ein derartiges Geschenk eher „gut gemeint“ ist als „gut“.

So wird das schwierig mit Klima und Nachhaltigkeit, mit einem bewussten Umgang mit Ressourcen oder einem geringeren CO2-Ausstoß. Abgesehen davon zählt ein Auto in meinen Augen nicht zur klügsten Investition anlässlich der Volljährigkeit: Ist nicht auch Verzicht wichtig und die Erfahrung, dass ich mich für Träume anstrengen muss? Worauf freue ich mich noch, wenn das Besondere immer selbstverständlicher wird? Wenn ich mit diesen Argumenten komme, schüttelt mein Sohn jedoch den Kopf. Er will nicht verantwortlich sein für die gesamte Klima-Misere und auch nicht an den Werten seiner Eltern gemessen werden. Es handelt sich „nur um ein neues Auto“ – und wir nutzen das Teil gleich wieder zum Belehren, Erziehen und zur Charakterbildung.

Was länge währt, wird mehr geschätzt?

Für die Kinder-Zimmer haben wir neue Türen gekauft. Gestern und heute wurden sie eingebaut. Die Türen sind weiß, sehen toll aus, schließen wunderbar und lassen Flur und Zimmer heller und geräumiger erscheinen. Schade, dass wir das nicht schon früher gemacht haben!

Die Kinder staunen, wie Türen auch aussehen und schließen können. Der Unterschied macht den Unterschied: Die Erfahrung von vorher und nachher ist es, die für die Kinder den Begriff „neu“ mit Leben erfüllt – und sie selbst mit Begeisterung und Dankbarkeit. Gut, dass wir das erst jetzt gemacht haben!

Heute neu – morgen alt

Letztens war ich mit zwei Kindern einkaufen: Ein Kind brauchte eine Hose, das andere eine Jacke. Etwas zum Anziehen zu kaufen gehört nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Für meine Kindern mache ich es aber gern – in klaren zeitlichen Grenzen. Als wir erfolgreich den letzten Laden verließen, war ich versucht, für mich selbst die Kleiderständer „abzuscannen“: Ich habe mir schon lange nichts Neues mehr gekauft. Die Bedingungen waren sicherlich nicht die besten – ich war innerlich schon ein bisschen leer-gekauft und eher lustlos. Abgesehen davon beschlich mich ein mir vertrauter Gedanke: Ich bin ganz dankbar, dass ich im Grunde nichts brauche von dem ganzen Kram hier. Wäre schön – ja. Muss aber nicht sein.

Dazu kommt: Zu Hause entrümpeln wir ständig und trennen uns nach ein paar Jahren schon wieder von dem einen oder anderen Spielzeug. Die Schleich-Tiere, die vor wenigen Jahren noch hoch im Kurs standen, liegen in der Ecke; Lego-Sets werden von ihren Besitzern mittlerweile eher nach deren finanziellem Zeit-Wert beurteilt; manchen Büchern sind die jugendlichen Leser entwachsen. Nur wenig von allem werde ich für zukünftige Enkelkinder aufheben. Und so lerne ich am Beispiel Spielzeug, dass mein Besitz nicht zu umfangreich werden darf. Es lebt sich besser mit leichtem Gepäck. Diese Erkenntnis auf Kleidung auszuweiten, fällt mir nicht schwer…

Als Kundin nur bedingt geeignet

Ich kaufe mir selten etwas neu. Vieles kann man gebraucht erwerben, ich habe schon ziemlich viel Zeugs, und mir fallen Entscheidungen grundsätzlich nicht so leicht. Die nahezu grenzenlose Auswahl an Konsum-Artikeln in unserer Kleinstadt, in ganz Deutschland und – durchs Internet – weltweit überfordert mich eher, als dass sie mich zum Zuschlagen motiviert.

Ich erinnere mich noch an den Kauf unseres Küchentisches – aus Holz. Der hatte mit damals vier kleinen Kindern relativ schnell die ersten Macken. Das stört mich nicht, wir wohnen hier. Es ist leichter für mich, mit Gebrauchsspuren zu leben, als einen neuartigen Status quo aufrecht zu erhalten. Mit dieser Einstellung fällt es schwer, viel Geld für neue Dinge auszugeben. Außerdem widerstrebt es mir, Dinge wegzuwerfen, die ihren Zweck erfüllen.

Dabei beobachte ich in mir einen gewissen Widerstreit von Gefühl und Verstand, was den Konsum betrifft: Technische Geräte stellen nur bedingt eine Versuchung für mich dar – deren Halbwertzeit ist mir zu kurz. Nur ein zweites Objektiv für meine Kamera könnte ich gut gebrauchen. Geht aber auch schon seit Jahren ohne. Andere Dinge haben durchaus einen Reiz für mich, vor allem schöne, zweckmäßige Klamotten. Nach einer gewissen Anzahl Jahren in einem sich wenig verändernden Outfit käme mir das eine oder andere neue Teil gerade recht. Wenn aber für den emotional motivierten Spontankauf Muße oder Gelegenheit fehlen, hat der Verstand Zeit zur Argumentation: „Brauchst du das wirklich? Du weißt doch, dass der Zauber des Neuen schnell verfliegt. Du hast genug.“

Manchmal frage ich mich, inwieweit mein Konsumverhalten meinen Lebensumständen geschuldet ist: Hätte ich mehr Geld oder Zeit und ersetzte ich regelmäßiger Altes durch Neues – wäre ich dann den Versuchungen des Konsums zugeneigter? Auch die Nähe zu einer Shopping Mall und modebewusstere Freundinnen wären sicher meinem eigenen Einkaufsverhalten zuträglicher. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier: Ich habe mir die Lust auf etwas Neues abgewöhnt wie den gedankenlosen Einsatz von Zucker. Vielleicht reicht meine jetzige Lebensphase aus, mich des Konsums an sich überdrüssig zu machen. Als Kundin bin ich derzeit nur für Edeka und Co. geeignet.