Ich treffe eine Bekannte, die mit dem Rad zur Arbeit fährt – durch die Wiesen und Felder. Wir gehen ein Stück gemeinsam. Sie erzählt mir, wie gut ihr morgens diese halbe Stunde auf dem Rad tue: „Da hinten stehen Kühe auf der Weide, da halte ich manchmal an“, sagt sie. „Die holen mich runter, wenn ich Stress habe, die stehen da einfach.“ Letztes Jahr habe sie die Kühe sogar fotografiert und das Foto dann gerahmt. Sie hätte es dem Bauern gern gegeben mit ein paar Pralinen, erzählt sie. „Die machen sich solche Arbeit, die Bauern, damit die Tiere es gut haben – und ihr Anblick ist dann auch noch eine Wohltat für mich.“ Weil sie aber nicht weiß, welchem Bauern die Kühe gehören, steht das Foto jetzt bei ihr zu Hause – und erinnert sie daran, dass Stress nichts bringt.
Haustiere mit Gefühlen
Eine Freundin von mir hat Kühe, Rinder und Kälber. Nicht irgendwelche. Ihre Tiere sind in der Lage, Gefühle zu zeigen: Freude über frische Einstreu, Frust über unangenehme Fress-Nachbarn und – wie ich beobachtet habe – Neugier. Letztere Gefühlslage betrifft vor allem die Halbwüchsigen, die altersgemäß noch neugierig sind.
Dieselbe Freundin hat kürzlich schlau festgestellt, dass wir in unserer Gesellschaft heutzutage zwei Dinge tun: Haustiere vermenschlichen und Nutztiere versachlichen. Ich kann nur zustimmen. Auf der einen Seite gibt es Adventskalender für Hunde und Geburtstagskuchen für Katzen; auf der anderen Seite wollen wir zwar Milch trinken, aber weder mit den Gerüchen eines Kuhstalles noch mit den Geräuschen bäuerlicher Landwirtschaft konfrontiert werden.
Die Kühe meiner Freundin haben Ohrmarken – wie alle anderen Kühe in Deutschland – und Namen – wie nur vergleichsweise wenige andere Kühe in Deutschland. Sie erhalten keine Geburtstagstorte, aber die neu geborenen Kälber werden nicht sofort von der Mutter getrennt. Meine Freundin will eine gute Milchleistung. Sie weiß, dass ihre Kühe dafür artgerecht gehalten werden müssen und sorgt dafür. Aber sie behandelt ihre Kühe eben nicht nur wie Unternehmenskapital, sondern gesteht ihnen eine Würde zu. Sie hat ihre Kühe im Blick. Wie sie das macht? Es ist nicht zu beschreiben, aber sie kann gar nicht anders. Und ihre Kühe können nicht anders, als sich würdevoll zu verhalten – sichtlich froh über neue Einstreu, stur, wenn es um Fress-Nachbarn geht und in jungen Jahren eben auch altersgerecht neugierig…