Wenn alles zu spät ist

Ich kann nicht nähen, überhaupt nicht. Zum einen habe ich es nie gelernt und besitze keine Nähmaschine. Zum anderen sind mir auch das Sockenstopfen und Knopf-Annähen ein Gräuel. Es kommt nichts Schönes dabei heraus, wenn ich Nadel und Faden in die Hand nehme.

Dafür kenne ich Frau P., eine begabte Schneiderin: Reparatur- oder Korrekturarbeiten in Sachen Stoff sind bei ihr bestens aufgehoben. Frau P. war schon häufig der letzte Rettungsanker für Löcher in Hosen, sich öffnende Nähte, zu lange oder zu weite Sachen oder für Jackenärmel, die durch Kaninchenzähne geschädigt sind. Ich bezahle, Frau P. repariert – und alle sind zufrieden.

Ab und zu reißt jedoch etwas entzwei, was den normalen Beanspruchungen des Alltags einfach nicht mehr gewachsen ist. Mir geschieht das häufig mit Oberteilen, die ich gern, viel und lange getragen habe. Irgendwann kommt der Tag, da geben diese Sachen nach: Es braucht keine große Strapaze, und schon ertönt das mir bekannte Geräusch zerreißenden Stoffes. Meist ignoriere ich es und schaue nicht gleich hin, denn ich weiß instinktiv: Was sich meinen Augen bietet, ist ein Zustand, den man mit „nicht mehr zu retten“ treffender nicht beschreiben könnte. Es ist bedauerlich, aber dann ist es selbst für die Rettungsbemühungen einer begabten Schneiderin zu spät!

Kaputt

Bei uns im Wohnzimmer hängt eine Lampe von IKEA in der Ecke. Genauer gesagt: Sie hing – viele Jahre. Letzte Woche ist mein Sohn mit dem Kopf so dagegen gestoßen, dass der Lampenschirm in irreparabel viele Teile zersprungen ist. Mein Sohn hat mit einem Tennisball Fußball gespielt – vor der Schule. Ich hatte ihn schon zweimal aufgefordert, aufzuhören und sich fertig zu machen. Genau dann passierte es. Es war nicht vorherzusehen und hätte zu jeder anderen Zeit geschehen können. Der Tennisball war nicht involviert; und dass mein Sohn meiner Aufforderung zum Fertigmachen nicht sofort gefolgt ist, war auch nicht die Ursache für den Zusammenstoß von Kopf und Lampe. Ich sagte trotzdem leider nicht: „Ist nicht schlimm, kann jedem passieren, ich weiß, dass es nicht Absicht war“, sondern: „So, und jetzt machst du dich fertig und fährst in die Schule.“ Was mitklang, war: „Siehste!“ Was ankam, war: „Du bist schuld.“

Mein Sohn hat sich nicht verletzt, obwohl die Lampenreste, die noch hängen, sehr scharfkantig sind. Weil er aber gehört hat, was ich nicht gesagt habe, ist er mit hängenden Schultern (nicht Gram-, sondern Scham-gebeugt) abgezogen, hat sich unverzüglich fertiggemacht und ist aus dem Haus. Ich habe ihm noch hinterher gerufen: „Mein Schatz, es ist nur eine Lampe, ich habe dich lieb!“ Ich bin aber nicht sicher, ob der angerichtete Schaden damit behoben werden konnte. Es ist nicht nur die Lampe kaputtgegangen…

Natürlich brauchen wir eine neue Lampe: So kann es nicht bleiben. Eine meiner Töchter sagte zwar: „Mama, wir könnten es so lassen – es sieht ein bisschen aus wie Kunst“, aber das ist Quatsch. IKEA hat das Modell nicht mehr im Programm. Im Klartext: Es wird dauern, bis hinten im Wohnzimmer in der Ecke wieder etwas anderes hängen wird als eine Glühbirne. Ich hoffe, die Scham meines Sohnes ist schneller wieder verflogen.