Gesprächig

Es ist nicht gut oder schlecht, viel oder wenig zu reden – beides hat seine Berechtigung, Menschen sind unterschiedlich. Mir fällt es nicht schwer, ein Gespräch anzufangen und am Laufen zu halten. Es reicht ein Telefonanruf einer Freundin oder ein Treffen mit jemandem, den ich länger nicht gesehen habe. Schon sprudele ich los: über mein Leben, gelesene Bücher, interessante Ansichten schlauer Leute. Ich spekuliere oder verbinde Erfahrungen anderer mit meinen eigenen. Während ich rede, sortiere ich meine Gedanken.

Das war schon immer so, aber erst seit einigen Jahren nehme ich mich als gesprächig war. Wahrscheinlich rede ich sogar weniger als früher, aber heutzutage weiß ich, dass mein Redebedarf eher hoch ist. Deshalb frage ich mich heute manchmal nach einem Gespräch, ob ich zu viel geredet habe. Woran liegt das?

Mein Bezugssystem hat sich verändert: Ich bin mit einem Mann verheiratet, der sparsam mit Worten umgeht. Verglichen mit ihm bin und fühle ich mich sehr gesprächig, manchmal sogar zu gesprächig – selbst wenn er gar nicht dabei ist.

Gesprächig

Unser ältester Sohn macht momentan ein Praktikum und geht morgens als Letzter aus dem Haus. Dementsprechend sitzt er allein – mit mir – am Frühstückstisch. Es interessiert mich, wie ihm sein Praktikum gefällt, wie lange er arbeiten muss, ob er nächste Woche tatsächlich die Abteilung noch einmal wechselt und warum er heute Obst mit Müsli isst. Er: „Mama, ich will dir mal was erklären. Es gibt Menschen, die morgens schon sehr gesprächig sind. Zu dieser äh … Sorte Menschen gehöre ich nicht. Wenn die gesprächigen die nicht so gesprächigen morgens ansprechen, ist es für beide anstrengend. Da wäre es dann besser, wenn man einfach mal den Mund hält.“

Ich muss lächeln, denn eine Erinnerung zieht durch mein Hirn: Studienzeiten in Freising. Ich habe nicht nur studiert, sondern auch gearbeitet. Meist bin ich morgens mit einer befreundeten WG-Mitbewohnerin aufgebrochen in unseren Gartenbaubetrieb zum „Schaffen“. Später, als ich geheiratet habe, hat sie mir ein selbst gedichtetes Lied vorgesungen. Auf Schwäbisch, denn sie „schwätzt halt so“. Eine Strophe darin lautet:

„Woisch no, wia mir boide zamma on Jaibling zum ersten Mal gfrühstück hend – es war so gega dreiviertel sechse, dass mir morgens do gsessa send.
Wia an Wasserfall hosch do scho gschprudelt, noch ra Frag aber glei erkennt, dass morgens früh zo sora Uhrzeit net alle Leit so gschprächig send.“

Der Kern der Persönlichkeit ist unveränderlich, vielleicht sogar genetisch. Allerdings scheint Gesprächigkeit nicht dominant vererbt zu werden.