Gefühl

Immer öfter lese ich, dass Menschen sich in ihrem Körper nicht richtig fühlen: „Ich fühle mich wie eine Frau“, erklärt zum Beispiel ein (muss ich jetzt schreiben: biologischer?) Mann. Um die äußerlichen Merkmale, ein Körper-Gefühl im gebräuchlichen Sinn, scheint es dabei nicht zu gehen. Aber worum geht es dann und woran kann man dieses Frau-Gefühl festmachen? Fühle ich mich weiblich, wenn (oder weil) ich emotionaler reagiere, mich Autos weniger interessieren und ich mehr rede als die meisten Männer? Und was heißt es dann eigentlich, ein Mann zu sein oder sich wie einer zu fühlen – unabhängig von den rein körperlichen Merkmalen? Sind etwa Sachargumente für Männer überzeugender, macht ihnen Wettbewerb mehr Spaß und kämpfen sie lieber als die meisten Frauen? Damit komme ich heute nicht mehr durch: Stereotype sind zwar eindeutig, aber vollkommen überholt. Nicht stereotype, neue Klassifizierungen sind dagegen häufig unkonkret und – ganz schön beliebig. Das wundert mich nicht, macht aber das mit dem `Fühlen wie ein(e) …´ ziemlich schwierig.

Gefühle sind kompliziert, schwer zu begreifen und nicht besonders stabil. Das weiß jeder, der es schon einmal mit einem Teenager zu tun hatte. Aber auch im Erwachsenenalter tut sich emotional einiges. Ich jedenfalls (dachte und) fühlte vor 30 Jahren noch anders als heute: Das Muttersein, das Alter, meine Erfahrungen, viele Gespräche und Begegnungen mit Menschen und nicht zuletzt mein Umfeld haben mich beeindruckt, geprägt und verändert. Manches, was in meinen Zwanzigern dringlich für mich war, empfinde ich heute als unwichtig. Außerdem kenne ich Frauen, die offenbar ganz anders (denken und) fühlen als ich: Ich sehe unterschiedliche Begabungen und konzentriere mich gern auf meine eigenen; sie wittern Abhängigkeit und männliche Dominanz. Wo ich mich über zuvorkommende Männer freue, fühlen sie sich belehrt und bevormundet. Wie also fühlt man sich als Frau? Ich habe keine Ahnung, aber ich weiß, dass ich eine bin.

Grundgefühl

Im Wald treffe ich eine Frau mit Hund, die ich vom Sehen kenne. Normalerweise gehen wir kurz grüßend aneinander vorbei. Diesmal bleibt sie stehen und fängt ein Gespräch mit mir an: „Na, kann man sich wieder in den Wald trauen?“ Es ist total windstill, die Sonne scheint, um uns herum stehen Bäume, zu unseren Füßen liegen herunter gewehte Äste … und ich denke: `Ja, klar, wir sind ja hier.´ Die Frau wirkt grundsätzlich vorsichtig bis ängstlich: Sie sei die vergangenen Tage immer nur auf baumfreien Feldwegen unterwegs gewesen, sagt sie. Nach einer Weile verabschieden wir uns.

Das Gespräch überrascht mich; ich selbst war nicht auf die Idee gekommen, den Wald zu meiden. Im Gegenteil: Gleich am Tag nach dem Sturm stiefelte ich neugierig drauflos und wollte sehen, was der Wind auf `meiner´ Hausrunde angerichtet hat. Die Schäden halten sich in Grenzen; die wald-artigen Streifen bei uns hier fallen ohnehin eher unter `urig-vernachlässigt´. Schon länger steht hier so manch alter Baum schräg oder liegt ganz am Boden.

Ich halte mich nicht für leichtsinnig; aber der Gedanke, dass mir etwas auf den Kopf fallen könnte, kommt mir schlicht und ergreifend nicht. Mein Grundgefühl ist vertrauensvoll bis neugierig, dafür bin ich dankbar.