Die Menschen

In einer Broschüre lese ich die Reiseberichte zweier Australien-Spezialistinnen, die schon öfter down under waren. Eine der Frauen war bereits 50-mal in Australien, weil es ihr so gut gefällt. Wirklich? 50-mal ist außerhalb meines Vorstellungsbereiches: zu weit weg, zu teuer und daher zu zeitintensiv. Finde ich. Beide Frauen empfehlen Urlaube im Wohnmobil: So habe man erstens das Gefühl grenzenloser Freiheit; außerdem garantierten die Einkäufe in örtlichen Supermärkten und Begegnungen an Übernachtungsplätzen den Kontakt zu Einheimischen. Und oftmals sei es das, was als Eindruck nach der Reise bleibt.

Das wiederum kann ich verstehen; deshalb war ich gerade zum zweiten Mal in Australien. Ich wollte die Menschen wiedertreffen, die ich vor 31 Jahren dort kennengelernt hatte – nicht die Orte. Entsprechend verbrachte ich Zeit mit diesen alten Freunden, arbeitete bei und redete mit ihnen. Ich weiß jetzt wieder, wie sie ihre Tage gestalten und was sie beschäftigt: wie sie versuchen, nachhaltig und sparsam zu leben, sich mit wenig oder viel Regen arrangieren und ihr Land gegen Feuer schützen. Wir teilen die Begeisterung für Worte und ihre Kraft, schmunzeln über dieselben Dinge, vertreten ähnliche Werte – und haben doch sehr unterschiedliche Glaubensüberzeugungen. In ihren Herzen habe ich (jetzt wieder neu) einen Platz (und sie in meinem) – selbst wenn wir uns wahrscheinlich nie wieder sehen werden.

Klar, Flora und Fauna in Australien sind fantastisch, die Vögel klingen anders (und sehr laut), der Himmel hängt (scheinbar?) viel mehr voller Sterne als der bei uns. Sicher sind auch die Strände wunderbar, ist die Kultur der `First Nation´-Leute sehr alt und interessant, staunt man auch nach vier Wochen noch über Kängurus und bleibt das Outback gleichzeitig faszinierend und gefährlich. Die Eindrücke am anderen Ende der Welt sind allesamt fremdartig, speziell und wunderbar. Aber für mich sind die Menschen dort entscheidend: ihre Freundlichkeit, ihre großzügige Gastfreundschaft, ihr unkompliziertes Vertrauen, ihre offenen Häuser, ihr trockener Humor. All das wird mir am längsten im Gedächtnis bleiben; die Menschen sind es, die mich an Australien am meisten begeistern.

Hallo Kookaburra!

Ich lande in Brisbane – früh am Morgen mit acht Stunden Zeitverschiebung. Beim Landeanflug verzieht sich meine Müdigkeit nach 24 Stunden Reise und zwei durchwachsenen Nächten im Flieger. Der Fensterplatz beschert mir einen wunderbaren Blick auf die Weite unter mir. Ein Freund von vor 31 Jahren holt mich ab; wir erkennen uns sofort. Eine Stunde später bei ihm zu Hause: Ich höre einen für Australien typischen Vogel; er singt oder zwitschert nicht, er lacht – der Kookaburra oder Lachender Hans. Ich bin sowohl berührt als auch begeistert, dass mehrere seiner Art im `Garten´ meiner Freunde wohnen und sich hören und später auch sehen lassen. Ein noch besseres Willkommen hätte ich mir nicht ausdenken können.

Vom Wegfahren

Ich fliege am Wochenende für viereinhalb Wochen nach Australien; das wirft seine Schatten voraus: Ich schreibe Zettel mit Hinweisen zum Haushalt, notiere meine Flugnummer und Notfall-Kontaktdaten vor Ort, falls das mit dem mobilen Telefonieren außerhalb von Europa zu kompliziert ist für mich. Ich bügele, sauge, wasche … – alles ein VORERST letztes Mal; morgen gehe ich noch einmal einkaufen.

Heute habe ich meine Sachen zurechtgelegt; es hat nicht lange gedauert. Normalerweise beschäftigt mich das Packen sehr, weil ich fürchte, etwas zu vergessen – und viel zu viel mitnehme. Dieses Mal ist es anders: Ich möchte gern mit so wenig wie möglich auskommen. Dort ist es warm, es gibt Waschmaschinen und man kann Dinge kaufen oder leihen. Schwieriger wird es, mich innerlich auf die Reise zu machen. Es wird ein paar Tage dauern, bis ich gedanklich nicht mehr bei meinen Lieben bin, sondern ganz bei mir – und bei denen, die ich dort treffe. Darauf freue ich mich am meisten; es ist eine Weile her, dass ich das zum letzten Mal erlebt habe.

Einfach machen!

Mit 21 wollte ich gern nach Australien. Zwar sprach einiges dagegen: Es war teuer, die Organisation zu analogen Zeiten einigermaßen kompliziert, ich brauchte Zeit – und die Freiheit, mein Leben hier hinter mir zu lassen. Aber letztendlich habe ich es einfach gemacht: Ich bin für einige Monate hingeflogen, habe in Familien gelebt und auf deren Höfen mitgearbeitet. Heute – 30 Jahre später – erinnere ich mich sehr gern an diese Zeit und die Leute dort.

Durch Briefe (total altmodisch) bin ich noch immer unregelmäßig in Kontakt und erhalte weiter einen Einblick in das Leben in `Down Under´. Gerade lese ich außerdem ein Buch mit demselben Titel – ein Reisebericht von Bill Bryson. Er beschreibt Australien so freundlich, humorvoll und authentisch, dass ich sehnsüchtig werde, noch einmal hinzufliegen. Aber ich tue es nicht – bisher. Denn ich würde gern einige Wochen bleiben, in Familien leben und auf ihren Höfen mitarbeiten. Derartig unterwegs ist man aber eher mit Anfang 20 als mit Anfang 50. Heute spricht zu viel dagegen: Es ist teuer, kompliziert (nicht nur durch Corona), und ich habe zu wenig freie Zeit – und nicht die Freiheit, mein Leben hier hinter mir zu lassen.

Manches sollte man einfach machen und nicht auf später verschieben – wie gut, dass ich damals den Mut hatte.